Die neuesten Zahlen aus dem US-Arbeitsmarkt zeigen eine deutliche Abkühlung. Im November fielen 32.000 Stellen weg – ein erneuter Rückschlag für kleine Unternehmen, während große Konzerne noch leicht wachsen. Dieses Muster passt zur sogenannten K-shaped Economy. Doch wie lange kann diese Zweiteilung andauern, und was sind die mögliche Folgen für die Märkte?
Einordnung der aktuellen Arbeitsmarktdaten
Der jüngste Rückgang im ADP-Bericht ist bereits der dritte negative Wert innerhalb weniger Monate und der schwächste seit der Zeit nach der Pandemie-Erholung. Besonders kleine US-Unternehmen mit knappem Kapitalpolster stehen unter Druck, während große, finanzstarke Firmen weiterhin Personal einstellen oder zumindest keine größeren Kürzungen vornehmen. Diese Divergenz ist typisch für späte Konjunkturphasen, in denen die Spreizung zwischen Gewinnern und Verlierern zunimmt.
Weil offizielle Arbeitsmarktdaten aufgrund des Government Shutdowns verzögert erscheinen, erhält der private ADP-Indikator derzeit mehr Aufmerksamkeit als üblich. Für die Federal Reserve entsteht damit ein Dilemma: Der Arbeitsmarkt wird schwächer, die Inflation ist aber noch nicht endgültig unter Kontrolle. Zinssenkungserwartungen bleiben indes bestehen, was den Finanzmärkten kurzfristig Auftrieb verschafft – gleichzeitig signalisiert die Schwäche im unteren Teil des Arbeitsmarkts aber, dass die Konjunktur verwundbarer wird.
Was eine K-shaped Economy ausmacht
Die K-shaped Economy beschreibt eine Wirtschaftsstruktur mit zwei entgegengesetzten Entwicklungspfaden. Auf dem oberen Ast befinden sich große Unternehmen, Tech-Plattformen, hoch qualifizierte Arbeitskräfte und Haushalte mit nennenswertem Vermögen. Sie profitieren von Skaleneffekten, Produktivitätsgewinnen und vom Anstieg der Vermögenspreise. Auf dem unteren Ast stehen kleine Firmen, niedrigere Einkommen und arbeitsintensive Sektoren, die stärker von Kostensteigerungen, Zinsniveau und Nachfrageeinbrüchen getroffen werden.
Aus finanzwissenschaftlicher Sicht ist besonders die unterschiedliche Konsumneigung entscheidend. Haushalte mit niedrigerem Einkommen geben zusätzliche Einnahmen überproportional für Konsum aus, während wohlhabendere Haushalte eher sparen oder investieren. Wenn also gerade die unteren Einkommensschichten unter Druck geraten, bremst das die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stärker, als es die aggregierten Durchschnittszahlen vermuten lassen. Gleichzeitig können Unternehmensgewinne im oberen Segment und Aktienindizes dennoch sehr gut aussehen, weil die großen gelisteten Konzerne eher zum oberen Ast gehören.
Warum dieses Muster so hartnäckig ist
K-förmige Strukturen verschwinden nicht durch ein paar Zinsschritte. Digitalisierung, Plattformökonomie und steigende Marktkonzentration begünstigen kapitalstarke Unternehmen mit Zugang zu Technologie, Daten und globalen Märkten. Kleine und mittelgroße Firmen haben es schwerer, in dieser Umgebung mit den Margen und den Investitionsbedarfen mitzuhalten.
Hinzu kommt, dass Lebenshaltungskosten in den USA – insbesondere Mieten, Gesundheitsausgaben und zum Teil auch Kreditzinsen – für viele Haushalte schneller gestiegen sind als die Löhne. Das führt dazu, dass konsumnahe Unternehmen, die vom Budget der unteren Einkommensschichten leben, besonders sensibel auf konjunkturelle Dellen reagieren. Genau dort zeigt der ADP-Bericht derzeit die größten Stellenverluste.
Politisch kann eine solche Struktur länger stabil bleiben, als man intuitiv erwartet. Transferprogramme, Steuergutschriften und Subventionen können den unteren Ast zeitweise stabilisieren, während der obere Ast über steigende Vermögenswerte und hohe Gewinne kaum Druck verspürt, grundlegende Reformen zu unterstützen. Ökonomisch steigt aber mit der Zeit die Fragilität, weil ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung die dynamische Nachfrage trägt.
Wie lange kann eine K-shaped Economy bestehen?
Eine exakte zeitliche Prognose, wann diese prekäre Situation kippt. Punktprognosenwären schlicht unseriös – ich weiß es nicht. Es gibt keine saubere empirische Formel, die sagt: In Jahr X bricht das System. Man kann aber die Bedingungen beschreiben, unter denen eine K-shaped Economy erstaunlich lange funktionieren kann.
Solange die oberen Einkommens- und Vermögensgruppen genug konsumieren, investieren und Vermögenspreise hochhalten, bleibt der Eindruck einer robusten Wirtschaft bestehen. Das Finanzsystem kann den unteren Teil eine Zeit lang über Kredite, „Buy now, pay later“-Modelle und staatliche Programme stützen. Und wenn die Politik größere Umverteilungen vermeidet oder nur sehr dosiert einsetzt, bleiben die Grundstrukturen unverändert. Historische Phasen steigender Ungleichheit haben oft über viele Jahre oder sogar Dekaden angedauert, bevor es zu einer Korrektur kam.
Gleichzeitig wächst mit der Zeit das Risiko, dass sich Spannungen entladen – entweder in Form einer Finanzkrise am unteren Rand (etwa durch Kreditausfälle, Pleiten im kleinteiligen Unternehmenssektor und anhaltende Konsumschwäche) oder in Form eines politischen Kurswechsels mit stärkerer Regulierung und Umverteilung. Wann genau dieser Kipppunkt erreicht ist, lässt sich heute nicht belastbar bestimmen.
Bedeutung für Anleger
Für Investoren hilft das Konzept der K-shaped Economy, die scheinbare Diskrepanz zwischen Rekordständen an den Aktienmärkten und einer gefühlt schwachen Realwirtschaft vieler Menschen zu erklären. Die großen Index-Schwergewichte sind typischerweise globale, kapitalstarke Konzerne mit hoher Profitabilität, Preissetzungsmacht und Zugang zu günstiger Finanzierung. Sie sitzen auf dem oberen Ast der K-Economy und profitieren besonders, wenn die Federal Reserve im Zweifel die Zinsen wieder senkt.
Für die Portfoliokonstruktion spricht historisch vieles für einen klaren Qualitätsfokus. Unternehmen mit robusten Bilanzen, hoher Eigenkapitalrendite, stabilen Cashflows und strukturellem Wachstum haben in diesem Umfeld einen systematischen Vorteil. Empirisch wissen wir, dass sogenannte Quality-Faktoren und defensive Strategien in Phasen erhöhter Unsicherheit tendenziell stabilere Rendite-Risiko-Profile liefern als reine Wetten auf zyklische Turnarounds. Allerdings sind hier die Bewertungen bereits hoch und damit verbunden auch das Risiko einer erheblichen Korrektur.
Gleichzeitig bleiben Geschäftsmodelle, die stark vom Budget der unteren Einkommensschichten abhängen, weiter unter Druck. Zyklische Konsumwerte, kleinteilige Dienstleister oder Unternehmen mit hoher Abhängigkeit von kreditfinanziertem Konsum sind in einer K-shaped Economy strukturell verletzlicher. Das heißt nicht, dass es dort keine Chancen gibt – aber das Chance-Risiko-Verhältnis ist deutlich binärer und erfordert sorgfältiges Einzeltitel-Research und striktes Risikomanagement.
Sinnvoll erscheint eine barbellartige Allokation: Auf der einen Seite hochwertige Wachstums- und Qualitätsunternehmen, die vom oberen Ast der K-Economy und von möglichen Zinssenkungen profitieren. Auf der anderen Seite defensive, cashflowstarke Titel und gegebenenfalls qualitativ hochwertige Anleihen, die Puffer bieten, falls die K-Struktur schneller bricht als erwartet. Gleichzeitig empfiehlt sich eine reduzierte Allokation in Aktien.
K-shaped Economy – kein kurzfristiges Phänomen
Die aktuellen Signale aus dem ADP-Bericht bestätigen die Zweiteilung des US-Wirtschaftsbildes: Während große, kapitalstarke Unternehmen relativ robust durch das Umfeld navigieren, geraten kleine Betriebe und einkommensschwächere Haushalte zunehmend unter Druck.
Wie lange diese Struktur hält, ist offen. Ökonomisch ist jedoch plausibel, dass eine K-shaped Economy über Jahre bestehen kann, solange Politik und Finanzsystem die Bruchlinien überdecken und Vermögenspreise hoch bleiben. Gleichzeitig steigt mit der Dauer die Wahrscheinlichkeit einer Anpassung – sei es durch einen politischen Kurswechsel, sei es durch eine handfeste wirtschaftliche Korrektur im unteren Segment.
Für Anleger bedeutet das: Es ist sinnvoller, mit der Logik der K-shaped Economy zu arbeiten, als gegen sie zu wetten. Wer Qualitätsunternehmen mit soliden Bilanzen, strukturellem Wachstum und überschaubarer Abhängigkeit vom marginalen Konsumenten bevorzugt, ist in diesem Regime besser aufgestellt. Ergänzend können selektive Engagements in derzeit geschwächten Bereichen interessant sein, sofern die Geschäftsmodelle strukturell tragfähig sind und das Risiko bewusst begrenzt wird. Insgesamt empfiehlt sich eine moderate Allokation in Aktien.
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Autor
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Steffen Gruschka ist CFO und Co-Geschäftsführer von Envestor. Er ist seit über 25 Jahren Fondsmanager für Emerging-Markets-Aktien, zunächst bei der DWS, heute bei Pyfore Capital, wo er als Berater für den Emerging Markets Digital Leaders verantwortlich zeichnet.
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