2020: Ein einschneidender Wendepunkt? (Teil 2: Aktien)

2020: Ein einschneidender Wendepunkt? (Teil 2: Aktien)

Nachdem wir uns im ersten Teil unserer Serie „2020: Ein einschneidender Wendepunkt?“ mit Zinsen und Inflation beschäftigt haben, betrachten wir diesmal die Situation an den Aktienmärkten. Dabei werden wir uns insbesondere dem Phänomen der FAANG-Aktien widmen.

FAANG – Ein amerikanischer Traum von digitaler Weltherrschaft

Value Investoren, also Anleger, die sich bei der Aktienauswahl vom fundamentalen Wert bzw. der Bewertung von Unternehmen leiten lassen, blicken auf ein desaströses Jahrzehnt zurück. Fast unabhängig davon, auf welche fundamentale Kennzahl man schaut: “Teure” Unternehmen haben “billige” Unternehmen systematisch und in der Regel um Längen geschlagen.

Hintergrund dieser Entwicklung war die zunehmende Euphorie bezüglich global agierender Technologieunternehmen mit Unternehmensstrategien, die sich durch zwei Eckpfeiler charakterisieren lassen: Entwicklung eines skalierbaren, weil größtenteils digitalen Geschäftsmodells, in Kombination mit der Fokussierung auf die Errichtung einer marktbeherrschenden Stellung, bzw. Schaffung eines neuen, natürlicherweise abgeschotteten digitalen Marktes.

Bei erfolgreicher Umsetzung einer solchen Strategie entstehen Unternehmen, die einerseits über eine hohe Preismacht, andererseits aber auch über eine extrem günstige Kostenfunktion verfügen und daher unglaublich profitabel agieren können. Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google, die sogenannten FAANG, waren die erfolgreichen Prototypen dieses Unternehmenstypus und ihre Geschichte ist der Stoff aus dem Anlegerträume bis heute gemacht werden: Beinahe aus dem Nichts errichteten sie digitale Quasi-Monopole mit hunderten Millionen Kunden auf dem gesamten Globus. Trotz ihres weiterhin starken Fokus auf Umsatzwachstum generieren die fünf Unternehmen – angeführt von Apple – mittlerweile einen Jahresüberschuss von über 70 Milliarden US$ und damit mehr als alle börsennotierten Unternehmen Deutschlands zusammen.

Blühende Phantasie bewirkt abenteuerliche Bewertungen

Es ist angesichts dieser spektakulären Erfolgsgeschichten logisch, dass die Phantasie der Anleger angeregt wird. Und so billigen sie den FAANG-Aktien einen Börsenwert von über vier Billionen US$ zu. Dieser Wert entspricht dem 60-fachen des kombinierten Jahresgewinns der fünf Unternehmen.

Und hier liegt das Problem: Diese Bewertung unterstellt enormes weiteres Gewinnwachstum: Der Jahresgewinn der FAANG müsste sich auf 250 Mrd. US$ erhöhen, um die Bewertung der FAANG in Einklang mit der durchschnittlichen Bewertung aller anderen Standardwerte weltweit (16,5-fach) zu bringen.

Um sich die Absurdität dieser impliziten Annahme zu vergegenwärtigen, sollte man im Hinterkopf behalten, dass jeder Erdenbürger etwa 25 US$ zu diesem Gewinn beisteuern müsste.

Selbst bei einer unterstellten Gewinnmarge von 10% bedürfte das wiederum eines zusätzlichen jährlichen Umsatzes von 250 US$ pro Erdbewohner, und zwar nicht nur in einem Jahr, sondern Jahr für Jahr.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Unternehmen in vielen Bereichen bereits heute miteinander konkurrieren und zudem weltweit – insbesondere in China – mächtige globale Konkurrenten entstehen: Alibaba, Baidu oder Tencent sind die prominentesten Beispiele.

Auch ein Blick in die Geschichte stimmt nachdenklich: Ihr Verlauf ist nämlich gepflastert mit zeitweise dominanten Technologieunternehmen, die dann doch von der Konkurrenz ein- oder von der nächsten Welle des Fortschritts überholt wurden: Radio Corporation of America, IBM, Sony, NTT Docomo, Cisco, Nokia…

Reif für eine Korrektur

Es ist unbestritten, dass es sich bei den FAANG Unternehmen um hervorragende Firmen mit brillanten Mitarbeitern und intelligenten Geschäftsmodellen handelt. Doch mit ihrem märchenhaften Erfolg haben sie eine Euphorie ausgelöst, die sich heute in gefährlichen Übertreibungen in vielen Bereichen der Kapitalmärkte widerspiegelt.

Zum einen sind es die Bewertungen der FAANG selbst, die eine drastische Korrektur als beinahe unausweichlich erscheinen lässt. Bedeutsamer als dieser isolierte Effekt dürfte aber eine Korrektur dreier eng mit dem Aufstieg der FAANG verknüpften Phänomene sein: Der Aufstieg der “Unicorns”, der scheinbar unaufhaltsame Siegeszug einfacher passiver Anlagestrategien und die Dominanz amerikanischer Aktien in globalen Aktienindizes.

Diesen Trends sowie den möglichen Folgen ihrer Umkehr werden wir uns in den nächsten Wochen zuwenden.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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