China Aktien Aufschwung

Herausforderung für Emerging-Markets-Anleger: Comeback China-Aktien?

Anleger aus dem globalen Norden haben in den vergangenen Jahren China-Aktien aus ihren Portfolios geworfen. Das dürfte weniger mit moralischen Vorbehalten, denn mit der Performance der Vergangenheit zu tun haben. Steht jetzt der Comeback von China-Aktien bevor? Und wie sollten Anleger die Situation einschätzen?

Wer in den vergangenen Jahren China-Aktien aus seinem Portfolio verbannte, hat nicht nur eine gute Anlageentscheidung getroffen, sondern konnte sich als moralisch integre Persönlichkeit verstehen. Seit einigen Jahren hat es die Kommunistische Partei Chinas geschafft, das Land vom Quasi-Paulus zum Voll-Saulus zu drehen. Für Entsetzen haben die Berichte gesorgt, dass China die muslimischen Uiguren unterdrückt und millionenfach in Lagern interniert. Die aggressive Außenpolitik Chinas gegenüber Taiwan und im südchinesischen Meer sowie die Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg haben die westliche Öffentlichkeit aufgeschreckt. Selbst Finanzinvestoren, die gegenüber der großen Politik in der Regel indifferent sind („politische Börsen haben kurze Beine“), haben sich von China abgewendet.

Underperformance und Moralinsäure = "ex China"

Seit einigen Jahren flüchten Anleger in Scharen aus China-Aktien und China-Fonds. Im Gegenzug investieren sie immer mehr in Emerging Markets-Aktienfonds, die China ausschließen. Das beschränkt sich nicht nur auf aktiv verwaltete Fonds, sondern auch auf ETFs. Gab es vor 2022 allenfalls eine Handvoll Emerging Markets Fonds ex China, so sind allein seit der russischen Invasion der Ukraine und der Verschärfung der Spannungen zwischen China und dem Westen nicht weniger als 17 „ex China“-Fonds und -ETFs auf den Markt in Europa  gebracht worden.

Werden Anleger von moralischen Bedenken getrieben? Stellen Sie die Menschenrechte über die Performance ihrer Portfolios? Hier sind Zweifel angebracht. Denn nicht in China zu investieren, war in den vergangenen Jahren eine gute Entscheidung. Denn Aktien aus China haben seit 2021 miserabel performt: In den vergangenen drei Jahren legte der MSCI Emerging Markets ex China um 5,1 Prozent pro Jahr zu, während der Index MSCI Emerging Markets nur um 1,5 Prozent pro Jahr stieg. Erster Index ist China-frei, der zweite hat eine China-Quote von rund 25 Prozent.

Bis weit ins zweite Jahrzehnt dieses Millenniums war ein Investment in Emerging-Markets-Aktien faktisch eine Wette auf die Region „Greater China“ – und damit ein No-Brainer. Die Märkte Lateinamerikas, Osteuropas und Afrikas waren krisenanfällig, China dagegen wuchs und wuchs und wuchs. Bis 2020 machte Südostasien knapp die Hälfte eines typischen globalen Schwellenländer-Aktienportfolios aus.

Doch dann kamen Corona und der harte Regulierungsschritt der Kommunistischen Partei Chinas, die Anleger verschreckten. Die Verschärfung der Spannungen zwischen Europa und den USA einerseits und China andererseits haben chinesischen Unternehmen geschadet, weil sie immer mehr von westlicher Hochtechnologie abgeschnitten wurden. China-Aktien waren out, jedenfalls bis Ende letzter Woche.

Chinesische Notenbank macht den Super-Draghi

Anfang dieser Woche wurden Anleger weltweit dann aufgeschreckt: Nach einer längeren Zeit halbherziger geldpolitischer Lockerungsübungen kam sie dann doch noch, die geldpolitische und fiskalpolitische Bazooka aus Beijing. Zinssenkungen, mehr Liquidität für Banken, größere Anreize, Immobilien zu kaufen und die Ankündigung eines Staatsfonds zum Kauf von Aktien: All das haben die chinesische Notenbank sowie die Führung unter Xi Jinping angekündigt. Der Staat wird auf Pump den Kauf von Aktien finanzieren.

Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: China-Aktien sind in den vergangenen Tagen regelrecht durch die Decke gegangen. Der FTSE China 50 Index legte in den vergangenen sieben Tagen um 13,5 Prozent zu, der CSI Overseas China Internet ging mit einem Plus von 18 Prozent regelrecht durch die Decke. Demgegenüber traten andere Emerging Markets Indizes entweder auf der Stelle oder verbuchten Verluste. Die untere Grafik zeigt die Performance einer Auswahl an Schwellenländer- und China-Indizes im vergangenen Monat.

China Aktien 1 Montjh

Performance in lokaler Währung und Prozent zwischen dem 20. und 27.9.2024, Quelle: Morningstar

Bemerkenswert ist, wie stark die Kursbewegungen im September gegenüber dem langjährigen Trend abweichen. Die untere Grafik zeigt die Performance der identischen Indizes in den fünf Jahren bis Ende vergangener Woche. Besonders auffällig ist die Outperformance Indiens gegenüber China. Der MSCI India legte zwischen September 2019 und September 2024 um 155 Prozent zu, der MSCI Brazil stieg immerhin um 32 Prozent. Indes sackten die China-Indizes um 22 Prozent (FTSE China) bzw. 32 Prozent (CSI Overseas Internet) ab. 

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Performance kumuliert und in lokaler Währung, in Prozent und in den fünf Jahren bis zum 21.9.2024, Quelle: Morningstar

Das Ziel der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) ist es, den Konsum anzukurbeln. Vor allem die seit bald drei Jahren wütende Immobilienkrise hat nicht nur Verbraucher verunsichert, sondern auch massiv volkswirtschaftliches Vermögen vernichtet. Angesichts niedriger Sparzinsen und hoher Aktienvolatilität hatte sich der Immobilienbesitz in China zum wichtigsten Wertspeicher für Chinas Einwohner entwickelt. Das Bild hat sich seit 2022 gedreht, die chinesischen Verbraucher halten ihre Portemonnaies geschlossen, was sinkende Verbraucherpreise mit sich bringt. Da die Immobilienbranche bis zu einem Drittel zur Bruttowertschöpfung der chinesischen Wirtschaft beiträgt, wird erst die Bewältigung der Krise die chinesische Wirtschaft auf Trab bringen.

Bisher waren die Maßnahmen der Politik und der Notenbank PBOC, eher homöopathisch dosiert und waren in Summe wenig wirksam. Es wurden zunächst nur Minischritte zur Entlastung des Immobiliensektors getroffen, größere Investitionen sind nicht geplant, und die zweimalige Senkung des einjährigen Kreditzinses um jeweils zehn Basispunkte im Januar und März 2024 auf 3,55 Prozent gehört in die Rubrik „Symbolpolitik“. Jetzt soll die Politik der Wohnungsbeschränkungen, die im Zuge des ungezügelten Baubooms der Vergangen verhängt wurden, angepasst und die Hypothekenzinsen gesenkt werden. Dabei sollen die Zinsen laut Zentralbankchef Pan Gongsheng „energisch“ gesenkt werden. Werden die Interventionen reichen, um China aus dem Tal der Tränen zu führen? Weil die Ankündigungen bisher wenig Konkretes enthielten, kann man daran glauben – oder auch nicht.

Erst der Kursgewinn, dann die Moral?

Wie werden die Anleger aus dem globalen Norden auf den Kurswechsel in Beijing reagieren? Wer sich an Mario Draghis „Whatever it Takes“-Statement aus dem Jahr 2012 erinnert, könnte gerade ein Déjà-vu erlebt haben: Der chinesische Zentralbankchef, Pan Gongsheng, hat vor einigen Tagen mutmaßlich den Auftritt seines Lebens: Man werde weitere Zinsschritte einleiten, und falls die Maßnahmen nicht ausreichten, würden weitere folgen, so Gongsheng auf einer Pressekonferenz. 

Meine These ist, dass sich viele Anleger nicht lange bitten werden und angesichts der zweistelligen Kursgewinne chinesischer Indizes und Portfolios recht zügig in China-Aktienfonds und -ETFs einsteigen werden – Uiguren hin oder her.

Wir wollen nicht die moralische Frage aufwerfen, sondern nur die Moral der Anlegergeschichte ansprechen. Investoren, die  – aus welchen Gründen auch immer – Märkte oder bestimmte Marktsegmente prinzipiell ausschließen, beschränken so ihr Anlageuniversum. Damit berauben sie sich Chancen, denen sie irgendwann hinterherrennen werden.  Die ultimative Binse, wonach das Risiko von heute die Chance von morgen ist, bewahrheitet sich erneut – auch bei China-Aktien.

Es ist sinnvoll, dass Anleger politische Risiken in ihr Kalkül mit einbeziehen und bei Märkten mit hohen Risiken eine Risikoprämie verlangen bzw. einen Abschlag auf den ermittelten fairen Wert von Aktien vornehmen. Manche werden zur Entscheidung stehen, nicht in China-Aktien zu investieren, andere dagegen nicht. Ex cathedra-Ausschlüsse sind selten eine gute Idee aus Anlegersicht, zumal dann nicht, wenn sie anhand der Sicht in den Rückspiegel auf die Märkte erfolgen.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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