Favoritenwechsel an den Märkten: Wie „out“ sind Tech-Aktien?

Eigentlich hat sich während der Sommermonate fundamental nichts verändert: Nvidia und Co. produzieren fette Gewinne und die KI-Revolution bleibt das große Thema an den Märkten. Allerdings brodelt es unter der Oberfläche: Seit Ende Juni bahnt sich ein Favoritenwechsel an: Tech-Aktien werden abverkauft, klassische Branchen machen ein Comeback. Was Anleger wissen sollten.

Wenn Anleger nach einer ausgedehnten Sommerpause das Geschehene Revue passieren lassen, werden sie keine großen fundamentalen Veränderungen seit Ende Juni feststellen. Das Datenhaus Factset hat eine Nachlese veröffentlicht zur Berichterstattung der US-Unternehmen im zweiten Quartal. Demnach lag das Gewinnwachstum der Unternehmen im S&P 500 zwischen April und Juni bei 10,8 Prozent. Das war die höchste Steigerung seit dem vierten Quartal 2021, als die Corona-Krise einen perfekten Basiseffekt lieferte: 31,4 Prozent waren die Unternehmensgewinne seinerzeit nach oben geschnellt. Weil es 2024 keinen derartigen Basiseffekt gab, ist diese Bilanz mehr als ordentlich.

Auch das Umsatzwachstum der US-Unternehmen war mit einem Plus von 5,2 Prozent im zweiten Quartal zufriedenstellend – zwar leicht unter dem Fünfjahresdurchschnitt, aber über dem Mittel der letzten zehn Jahre (5,1 Prozent). Beim Wachstum führend sind nach wie vor die Unternehmen aus dem Tech-Sektor, die alle anderen Branchen mit Abstand anführen, wie die untere Grafik zeigt.

Tech-Aktien bröckeln im dritten Quartal

Und was machen die Märkte daraus? Anfang August brachen die Aktienkurse weltweit ein, was sich einen Monat später – zwar mit weniger Wucht – wiederholte. Man muss allerdings diese Aussage qualifizieren. Nicht DIE Aktienkurse haben verloren, sondern vor allem ein Marktsegment: Tech-Aktien, genauer gesagt: Nvidia und Hyperscaler wie Alphabet, Amazon, Meta und Microsoft, also die wichtigsten Träger der KI-Hype. Es lohnt sich, hier einen Moment innezuhalten. Im abgelaufenen Quartal hat Nvidia erneut Rekordzahlen vorgelegt: Der Umsatz ist gegenüber dem Vorquartal noch einmal um 15 Prozent gestiegen. Der Umsatz hat sich im Vorjahresvergleich mehr als verdoppelt. Selbstredend wurden erneut die Analystenschätzungen erneut übertroffen. Die Cashflow-Marge liegt bei sensationellen 45 Prozent.

Was früher mit einem satten Kursplus quittiert worden wäre, fiel bei Anlegern dieses Mal durch: An den vier Handelstagen nach Bekanntgabe der Quartalszahlen Ende August verlor Nvidia 500 Milliarden Dollar an Marktwert an der Börse. Auch andere Tech-Giganten sackten ab, wenn auch nicht so kräftig wie Nvidia. Die Financial Times hat ausgerechnet, dass Nvidia, Apple, Microsoft, Alphabet und Meta bisher im dritten Quartal einen Börsenwert von 1,8 Billionen Dollar eingebüßt haben.

Branchenrotation jetzt in diesem Kino

Das Bemerkenswerte an Regimewechseln ist, dass man erst in Nachhinein realisiert, dass sie sich vollzogen haben. Wenn sie im Gange sind, verharren die meisten Anleger noch in der „alten Zeit“. Das ist nicht verwunderlich, denn in aller Regel vollziehen sich Trendwechsel nicht gradlinig. Erst wenn sich ein Trend verstetigt hat, akzeptieren wir, dass sich die Lage grundlegend verändert hat. Bis der Regimewechsel vollzogen ist, zeichnen Anleger anhand von Fundamentaldaten Kontinuitätslinien weiter. So könnte das Fazit zu den Factset-Zahlen oben auch lauten, dass fundamental die Tech-Branche noch immer am besten dasteht.

Ein guter Gradmesser für Veränderungen ist – Sie haben es geahnt: der Aktienmarkt. Die Börse ist ein klassischer Frühindikator für fundamentale Veränderungen. Anleger antizipieren die Zukunft, das Heute ist für Investoren quasi die Performance von gestern. Vor diesem Hintergrund geben Sektoren-Indizes eine gute Indikation für die Erwartungen von Anlegenden. Sowohl in Europa als auch in den USA haben sich in den vergangenen zwei Monaten auf Branchenebene interessante Verschiebungen ergeben, wie die untere Tabelle zeigt.

Tech-Aktien

12-Monats-KGV per Ende August, Renditen in Prozent und in Euro, 5 Jahres-Performance annualisiert, je grüner die Renditezahlen, desto besser im Branchenvergleich, je röter, desto schlechter, Europa wird von ETFs auf MSCI-Sektoren abgebildet, USA von ETFs auf S&P-Sektoren, Daten per 5.9.2024, Quelle: Morningstar.

Die obere Tabelle zeigt, von links nach rechts, zunächst die Bewertungen (12-Monats-Kurs-Gewinn-Verhältnisse). In den Spalten weiter rechts geht es um die Renditen der in den großen Sektor-Indizes vertretenen Aktien. Auf den ersten Blick fällt auf, dass in den USA (weiter unten in der Tabelle) und Europa (oben) die Branchen Gesundheit und Technologie die mit Abstand höchsten Bewertungen aufweisen. In Europa sind die Sektoren Finanzen, Energie, Versorger und Luxuskonsumgüter am günstigsten bewertet. In den USA finden sich die günstigsten Bewertungen in den Sektoren Energie, Finanzen, Telekoms und Versorger. Dass US-Aktien eine Prämie gegenüber europäischen Aktien aufweisen, ist nichts Neues. Auch die hohe Bewertung von Pharma- und Tech-Aktien geben ein vertrautes Bild ab. Bewertungen mögen mit Blick auf die erwarteten künftigen Renditen eine Rolle spielen, aber dass eine Branche teuer ist, bedeutet nicht, dass die Kurse auf der Kippe stehen.  

In Kombination mit dem neuen Zinsumfeld lässt der Renditeumschwung allerdings aufhorchen: Die Performance der Sektoren deutet in den vergangenen Monaten einen Umschwung an, und zwar weg von den langjährigen Gewinnern und hin zu einigen vernachlässigten Branchen. In den USA waren in den vergangenen fünf Jahren Tech-Aktien die großen Gewinner, wie das annualisierte Plus von 21,5 Prozent zeigt. Energie-Aktien profitierten – nach einer langjährigen Dürre – von einer rasanten Erholung 2021 und 2022 im Zuge der steigenden Inflation. In Europa war das Bild ähnlich, wenngleich Tech-Aktien bei weitem nicht so erfolgreich waren wie in den USA. Zwischen 2019 und heute waren neben Tech-Aktien in Europa die Gewinner bei Industrie- und Finanzaktien zu finden. Auch der Healthcare-Sektor lag vorn.

Schwach entwickelten sich dagegen in den USA langfristig Aktien aus den Sektoren Basiskonsum und Versorger. In Europa waren die Verlierer ebenfalls Basiskonsum, Telekoms und Luxuskonsum.

Wenden wir nun den Blick auf die Gewinner des laufenden Jahres. In den USA stachen von Anfang Juli bis Anfang September Versorger mit einem Plus von gut 8,5 Prozent hervor. Finanzaktien und Basiskonsum-Titel konnten ebenfalls ordentlich zulegen. Gesundheitstitel notierten in den vergangenen zwei Monaten ebenfalls bequem in positivem Terrain. Dagegen brachen US-Tech-Aktien seit Beginn des dritten Quartals um gut zehn Prozent ein. Auch Energie-Aktien und Telekoms entwickelten sich schwach. Bei letzteren ist zu beachten, dass Tech-Plattformen wie Meta und Alphabet seit 2019 zum Bereich Telekommunikationsdienstleister gezählt werden.

In Europa waren die Gewinner des dritten Quartals bisher ebenfalls Versorger. Sie stiegen sogar um gut elf Prozent seit Anfang Juli. Telekoms und Basiskonsumgüter-Aktien zählten ebenfalls zu den Gewinnern. Die Verlierer von gestern sind also die Gewinner von heute. Europäische Tech-Aktien brachen dagegen sogar um gut 13,5 Prozent seit Juli ein. Energie- und Luxuskonsum zählten ebenfalls zu den Verlierern in diesem Quartal.

Fazit: Dieses Mal könnte es anders sein

Mögen die Bewertungen ein vertrautes Bild bieten und auch die Renditen für das Gesamtjahr kein eindeutiges Bild ergeben: Die Sektorrotation scheint in Gang zu kommen. Während Techwerte auf seit Anfang Juli verlieren, kommen die klassischen, langweiligen Branchen wie Versorger, Finanzaktien und Konsumgüter bei Anlegern wieder in Mode. Gestützt wird die These des Favoritenwechsels von der Outperformance von Nebenwerten, die wir ebenfalls seit Anfang Juli beobachten können. So konnte in den USA seit Juli der Nebenwerte-Index Russell 2000 den gleichgewichteten S&P 500 outperformen, der wiederum den (kapitalisierungsgewichteten) S&P 500 übertraf.

Fehlsignale sind bei solchen zeitnahen Betrachtungen nicht ausgeschlossen, aber es erscheint wahrscheinlich, dass es dieses Mal doch anders kommen wird und wir im Zuge der angekündigten Zinswende vor einer Renaissance der klassischen Branchen stehen. Das muss kein Crash von Tech-Aktien bedeuten und auch ein Ende des KI-Hypes ist nicht wahrscheinlich. Aber Tech-Aktien könnten in den nächsten Monaten eine signifikante Underperformance bevorstehen. Anleger sollten dieses Szenario zum Anlass nehmen, um sicherzustellen, dass ihre Portfolios auf breiten Füßen stehen.  

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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