Investment Bilanz 2021: Performance, Nervosität, Unsicherheit

Ein denkwürdiges Jahr neigt sich dem Ende entgegen, und wir ziehen (noch nicht ganz final) Investment Bilanz 2021. Auf den ersten Blick sah es bei Risiko-Anlagen 2021 ziemlich gut aus. Doch die Lage ist wackeliger, als es die Performance-Zahlen bei großen Indizes suggerieren. Was in diesem Jahr passiert ist und was Anleger 2022 erwarten könnte.

Investment Bilanz 2021: Ist das Glas halb leer oder halb voll?

Hätte das Jahr am 30. Juni geendet, würde ich heute in viele strahlende Gesichter blicken. Der DAX hatte zwischen Januar und Juni ein Plus von 13,21 Prozent erzielt. Bedenkt man, dass der deutsche Leitindex in den vergangenen 15 Jahren im Schnitt nur ein Plus von knapp sechs Prozent erzielte, dann wäre per Mitte Juni ein ganz vorzügliches Jahr gewesen. Doch Halbjahresbilanzen zählen bekanntlich nicht, abgerechnet wird zum Schluss.

Seit Ende Juni ist einiges passiert. Blicken wir auf den DAX-Stand per 17. Dezember, steht unter dem Strich ein Jahres-Plus von … ebenfalls 13,21 Prozent! Dieselbe Zahl, doch die Einschätzung der Lage dürfte anders ausfallen als per 30. Juni. Das liegt nicht nur daran, dass die Märkte im zweiten Halbjahr bestenfalls auf der Stelle traten. Mitte Juni war das Glas halb voll, heute ist es nach allgemeiner Wahrnehmung eher halb leer. Warum? Ist das gerechtfertigt? Wo stehen wir, und womit sollten wir 2022 rechnen? Wir wollen anhand unserer Jahresendbilanz versuchen, diese Fragen zu beantworten. Ganz am Schluss wagen wir einen Ausblick auf das kommende Jahr.

Per Saldo gab es nichts zu meckern

Blickt man auf die Märkte von ganz oben, dann ist in diesem Jahr alles in bester Ordnung. Noch besser als die gut 13 Prozent beim DAX haben Aktien weltweit performt. Der MSCI World hat per 17. Dezember ein Plus von gut 20 Prozent erzielt. Zum Vergleich: Im langjährigen Durchschnitt lag das Plus bei globalen Aktien bei rund 7,5 Prozent pro Jahr. Auch andere wichtige Aktien-Indizes lagen in diesem Jahr satt im Plus: Knapp 20 Prozent beim MSCI Europe, der NASDAQ 100 stieg um gut 23 Prozent, und der S&P 500 um über 24 Prozent. Ausreißer nach unten war der MSCI Emerging Markets mit einem Minus von rund einem Prozent. (Alle Performance-Angaben in lokaler Währung; wer in Euro rechnet, muss auf die Dollar-Performance knapp neun Prozent draufschlagen).

Dabei haben lange Zeit schwach performende Investments 2021 endlich einmal nicht enttäuscht. Wer seinem Portfolio vor einem Jahr einen Value-Schluck in Gestalt von Energie-Aktien oder Finanztiteln gönnte, hat vieles richtig gemacht. Energie-Aktien, aber auch physische Rohstoff-Investments, haben 2021 zwischen 30 und 40 Prozent zugelegt. Finanztitel reüssierten ebenfalls. Einer der besten Trades wären Österreich-Aktien gewesen: Allein OMV und Erste Bank machen im ATX rund ein Drittel des Gewichts aus, und auch sonst finden sich dort einige Finanzdienstleister und Energietitel, die den Turbo zündeten. Der MSCI Austria legte in diesem Jahr bisher um knapp 50 Prozent zu.

MSCI World gut, Value gut, alles in bester Ordnung also? Nicht ganz. In den vergangenen Jahren haben immer mehr Marktteilnehmer nicht (nur) auf Standardindizes gesetzt, sondern haben sich an riskantere Nischen-Investments gewagt, Stichwort: High Growth-Aktien. Deren Investment Bilanz 2021 fiel ziemlich schwach aus. Anlegers Lieblinge im Pandemie-Jahr 2020 gerieten in der zweiten Jahreshälfte unter die Räder. Die Gewinner der sogenannten Stay@Home Rally konnten die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Das ist insofern interessant, als nach wie vor viele dieser Growth-Unternehmen durch Umsatzwachstum glänzen – genauso, wie im Jahr 2020. Doch das reicht Anlegern offenbar nicht; sie erwarten nunmehr profitables Wachstum. (Eine aufschlussreiche Einschätzung hat der Fondsmanager des The Digital Leaders Funds, Baki Irmak, vorgenommen, das Sie hier lesen können).

Unter dem Wellenschlag tobt das Seebeben

Ein Blick jenseits der großen Indizes zeigt, dass die Situation in einigen Marktsegmenten ziemlich prekär ist. Das spiegelt sich in der Performance etlicher ehemaliger Highflyer Fonds wider. Hart erwischte es die Wachstumsportfolios der US-Growth-Anlegerin Cathie Wood, deren Strategie-ETFs auch in Europa repliziert werden: Wer Ende 2020 in den Nikko AM ARK Disruptive Innovation Fonds investierte, hatte mutmaßlich das Plus von 125 Prozent 2020 im Blick. Dass man sich von Vergangenheits-Performance nichts kaufen kann, zeigt der bisherige Jahresverlust von über 20 Prozent. Das Cathie-Wood-Flaggschiff ARK Innovation in den USA büßte sogar rund 25 Prozent ein. Top Holdings wie Teladoc, Zoom oder Coinbase verloren in den vergangenen Wochen zwischen 20 und 30 Prozent. Auch das ARK Top Holding Tesla verlor im vergangenen Monat rund 15 Prozent.

Vergleichbare Fonds erwischte es ähnlich hart. Der BIT Global Internet ist zwar noch mit rund 17 Prozent in diesem Jahr im Plus, hat aber in den vergangenen 30 Tagen einen Verlust von rund 23 Prozent hinnehmen müssen. Der von Frank Thelen verantwortete 10XDNA Disruptive Technology, der erst Anfang September aufgelegt wurde, verlor in den ersten drei Monaten seines Bestehens gut sieben Prozent – bei einem Minus von knapp 17 Prozent allein im vergangenen Monat. Auch die inzwischen mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit ausgestatteten Fonds von Baillie Gifford mussten kräftig Federn lassen. Die meisten liegen in diesem Jahr deutlich im Minus. Die Liste der Growth-Fonds, die in diesen Zeiten jeden Tag zwei oder drei Prozent verlieren, ist lang und wird immer länger. Hier ist die Investment Bilanz 2021 verheerend.

Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf Aktien aus den westlichen Industrienationen. Hart erwischte es auch den Bereich China-Tech. Der viel beachtete CSI Overseas China verlor dieses Jahr rund 50 Prozent; allein in den vergangenen 30 Tagen brach der Index um gut 20 Prozent ein. Neben China-spezifischen Regulierungsthemen gelangen auch hier immer mehr Anleger zur Überzeugung, dass die Risiken von High Growth-Aktien die Chancen überwiegen.

Bemerkenswert auch, dass viele Krypto-Währungen in den vergangenen Monaten mit dem Rückkehr der Volatilität im Gleichschritt mit Aktien eingebrochen sind. Bitcoin verlor in den vergangenen 30 Tagen rund 20 Prozent, Ethereum immerhin zehn Prozent. Das klingt nicht nach schwach korrelierten Wertspeichern.

Inflation, die FED und ein Schuss Geopolitik

Der ehemalige Elefant im Zimmer ist nunmehr in aller Munde: die US-Notenbank. Sie hat in den vergangenen Tagen eine Kehrtwende vollzogen. Am 15. Dezember kündigte die FED an, die Anleihenkäufe deutlich früher zu beenden als geplant. Bis März 2022 wird es damit vorbei sein, und unmittelbar danach werden die Zinsen steigen. Damit leitet die US-Notenbank den lange befürchteten bzw. erhofften Zinserhöhungszyklus ein. Die Projektionen lauten nun: drei Zinserhöhungen 2022, drei im übernächsten Jahr und zwei weitere Anhebungen im Jahr 2024. Es ist heute keine Rede mehr von „temporären“ (transitory) Inflationseffekten. Die Zeichen stehen in den USA eindeutig auf Inflationsbekämpfung (Die Bank of England hat übrigens bereits den Leitzins auf 0,25 Prozent erhöht.)

Auch die Europäische Zentralbank fängt an, sich an die neue Inflationswirklichkeit anzupassen. Zwar ist noch keine Rede von Zinserhöhungen, aber das Pandemie-bedingte Notprogramm mit Anleihekäufen von insgesamt 1,85 Billionen Euro wird per Ende März 2022 auslaufen. (Die Anleihenkäufe werden in reduziertem Umfang fortgesetzt.)

Dass sich die Rahmenbedingungen an den Märkten verändern, deutet sich bereits seit einigen Monaten mit der steigenden Inflation an. Sie wird – anders als noch zur Jahresmitte – nunmehr von vielen als bedrohlich wahrgenommen. Die Teuerung wird nicht nur von den überschießenden Energiekosten, steigenden Kosten für Unternehmen und Privathaushalte getrieben, sondern auch der Aussicht auf steigende Löhne. Volkswirte sprechen dann von Zweitrunden-Effekten: Die Entwicklung einer Lohn-Preis-Spirale kann im schlimmsten Fall zu einer galoppierenden Inflation führen. Diese ließen sich dann nur durch radikale geldpolitische Schritte brechen.

Doch an diesem Punkt sind wir noch längst nicht. Die Gefahr einer Hyper-Inflation wird allenfalls von wenigen Ketchup-Flaschen-Schüttlern an die Wand gemalt. Aber die Zahlen machen schon hellhörig: In der Eurozone lag die Teuerung zuletzt bei 4,9 Prozent, in den USA ist die Inflationsrate im November sogar um 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau gestiegen. Das setzt die Notenbanken gerade unter Zugzwang.

Stirbt Goldlöckchen den Heldentod des hoffnungslosen Optimisten?

Es ist in diesen Tagen viel die Rede von „Regime“- oder „Wachwechsel“ an den Märkten. Bisher haben auf der Aktienseite Quality Growth Titel profitiert und Value-Aktien underperformt. Diese Zeit könnte, so die Regime-Wechsel-These, zu Ende gehen. Es dürften nunmehr vor allem Energie- und Rohstofftitel profitieren, was auf einen zweiten Rohstoff-Superzyklus nach dem der Nuller-Jahre hinauslaufen würde. Das erinnert an die Situation Anfang 2021: Die Weltwirtschaft entsteigt der Talsohle der Krise, die Stay @Home Ökonomie schaltet ein Gang zurück, und Value-Aktien reüssieren. Andere Auguren sind da pessimistischer.

Im schlimmsten Fall würde die steigende Teuerung eben nicht von einem parallel anziehenden Wirtschaftswachstum begleitet, sondern von einer stagnierenden Konjunktur, die von Lieferkettenproblemen und Lockdowns infolge der Ausbreitung der Omikron-Variante des Corona-Virus abgewürgt werden könnte. Die Folge: Eine sogenannte Stagflation, der Stoff aus dem Börsianer-Alpträume gemacht sind, wäre ein wahrscheinliches Szenario.

DAS wäre dann tatsächlich ein Regime-Wechsel! Bisher haben Aktien vor allem davon profitiert, dass die Zinsen niedrig waren, die Inflation auch und das Wirtschaftswachstum gerade richtig. Man spricht auch vom Goldlöckchen-Szenario (auf Englisch: Goldilocks). Es leitet sich von einem englischen Märchen ab, in dem sich ein Mädchen in einem Wald verirrt, zur verlassenen Hütte der drei Bären gelangt und dort einen gerade richtig warmen Brei isst um dann auf einem gerade richtig weichen Bett einzuschlafen. Doch die Goldlöckchen-Ökonomie stirbt dann, wenn das Wirtschaftswachstum abflaut, die Inflation anzieht und die Zinsen steigen. Stirbt 2022 die Aktien-Hausse?

Oder wird es TINA schon richten?

So weit sind wir allerdings noch nicht. Im Gegenteil. Die Aktienmärkte wackeln derzeit, ab und an kommt etwas mehr Volatilität ins Spiel, aber im Grunde ist die Lage weitaus besser als die Stimmung, siehe die bisherige Investment Bilanz 2021, die bei Standard-Aktien-Indizes ziemlich gut ausfällt. Unterstützung für Aktien kommt zudem von den Rentenmärkten. Jenseits eines kleinen Renditehüpfers im zweiten Halbjahr habe sich die Rentenmärkte 2021 als bemerkenswert stabil erwiesen. Verharren die Anleihekurse auf hohem Niveau, sind deren Renditechancen begrenzt, was uns umstandslos zum TINA-Szenario zurückführt, das seit Beginn der ultralockeren Geldpolitik 2008/9 wirkt.

Das Akronym TINA steht für „There Is No Alternative“. Aktien sind demnach alternativlos. Bis zum Beweis des Gegenteils, also bis zu einem signifikant höheren Renditeniveau an den Bond-Märkten, ist diese These valide. Außerdem sind die Zinsen in den USA eben noch nicht gestiegen. Die FED-Watcher unter uns können sich erinnern, dass Jerome Powell Anfang 2019 die Rolle rückwärts machte und sich doch als geldpolitische Taube zu erkennen gab. Er hatte, sehr zur Freude des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, Abstand von seinem Plan genommen, im sogenannten Autopilot-Modus die Zinsen Schritt für Schritt zu erhöhen. Wer einmal umfällt, dem glaubt man nicht, auch wenn er heute noch so sehr glaubhaft versichert, dass die Zinsen 2022 steigen werden.

Investment Ausblick: 2022 ist alles drin

Die Kombination aus niedrigen Zinsen, weiten fiskalpolitischen Spendierhosen, stabilen Unternehmensgewinnen und niedriger Inflation waren die Kursturbos der Vergangenheit. Anleger werden sich mehr ins Zeug legen müssen, um im nächsten Jahr Geld an den Märkten zu verdienen. Die Zeit des Oma-Blatts ist meiner Meinung nach vorbei. Nicht jeder Meme-Stock-Trader, High Growth-Luftikus und Lambo-Anwärter unter den Krypto-Fans wird 2022 reich werden. Aber wo stehen wir jenseits dieser doch recht banalen Erkenntnis? Drei idealtypische Szenarien würde ich identifizieren:

Das Bären-Szenario

Omikron wütet, Lieferketten ächzen weiter, Energiepreise bleiben auf hohem Niveau wie auch die Teuerung, und die Notenbanken verlieren die Kontrolle, sprich: die steigenden Zinsen würgen die Wirtschaft ab. In diesem Schlimmsten aller Welten-Szenario werden Anleihen und auch Aktien getroffen. Dann könnten Quality-Aktien die Schmerzen zumindest ein klein wenig lindern, Gold wäre ein Rettungsanker, nicht jedoch unbedingt Krypto-Währungen, die in den vergangenen Monaten einen erstaunlichen Gleichlauf mit Aktien gezeigt haben. (Was meinen Verdacht erhärtet, dass gerade die vermeintlichen Rebellen der Märkte am Tropf des Easy-Money der Notenbanken hängen.)

Die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, halte ich für gering. Nicht nur, weil dann der Dirk Müller Premium Aktien der Gewinner wäre (relativ gesehen, seine Absicherungsstrategie ist so teuer, dass er auch 2022 absolut gesehen im Minus landen dürfte). Vielmehr werden die Notenbanken Gewehr bei Fuß stehen und erneut die Märkte mit Geld fluten, und auch die Fiskalpolitilk würde dagegen halten.

Das Bullen-Szenario

Goldilocks wird erfolgreich von TINA reanimiert. Die Lieferkettenproblematik löst sich in Wohlgefallen auf, die Sachsen lassen sich impfen, der Omikron-Variante wird weltweit der Zahn gezogen, die Inflation geht signifikant zurück, und die Zinsen steigen nur moderat. In diesem Fall bleiben Anleihen unattraktiv, Aktien setzen ihren Siegeszug fort, allerdings mit einem klaren Vorteil für Nebenwerte und Zykliker auf Kosten von Quality und Growth. (Das bedeutet auch, dass Momentum bis zur Umstellung auf das neue Regime underperformen wird). Dann dürfte auch Krypto-Norbert zu seinem Lambo kommen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, ist zwar nicht so gering wie die Eintrittswahrscheinlichkeit des Bären-Szenarios, aber weil es erstens immer anders kommt und zweitens als man denkt, wird 2022 nicht ein derart lockerer Segel-Turn.

Volatilität, Tränen, Unsicherheit

Nach diesem Szenario wird Goldilocks entzaubert, und TINA wird massiv infrage gestellt. Aus der höchst spannenden Gemengelage werden sich einige positive und einige negative Teilszenarien einstellen. Je nach Mischung können die Aktienmärkte erstmals seit 2018 – das Jahr haben wir übrigens alle locker überlebt! – 2022 im Minus landen. Anleihen werden dann ein denkbar schlechtes Investment sein, Gold wird auf der Stelle treten und Kryptos werden auch eher enttäuschen. Danach dürften die Glücksritter wegen der Volatilität, nicht unbedingt wegen der Performance, aus dem Markt gespült werden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, halte ich für wahrscheinlich. Langfristanleger werden hoffentlich die Nerven behalten. Da in Zeiten hoher Volatilität die zeitweiligen Abstürze an den Märkten übertrieben ausfallen, wäre Nachkaufen für Anleger mit Zeit (und Nerven) eine ziemlich gute Option (Kurs halten wäre aber auch noch ok). Tendenziell dürften dann die Gewinner von gestern, also Quality Growth, eine bessere Wahl sein als Value. Das liegt weniger an den zwingend besseren Performance-Chancen, sondern weil Value erfahrungsgemäß nur ein kleines Performance-Fenster hat, durch das nur die frühen Vögel fliegen – Späteinsteiger haben bei Value dagegen wenig zu lachen.

 

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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