Candriam: Kryptowährungen haben bei Nachhaltigkeit viel aufzuholen

An Kryptowährungen scheiden sich die Geister. Viele denken bei dem Wort wahrscheinlich an schnelllebige Börsenhypes und zwielichtige Mining-Farmen, in denen Großrechner mit einem horrenden Energieaufwand Bitcoins schürfen.

Als Währung ohne Gegenwert haben so genannte Kryptos zudem oft ein Zocker-Image. Schlimmstenfalls bringt man derartige unregulierte digitale Zahlungsmittel – nicht zuletzt wegen der Anonymität des Internets – mit illegalen Machenschaften wie Geldwäsche und Cyberbetrug in Verbindung. Andere wiederum sehen in Kryptos die Zukunft der digitalen Zahlungsmittel, die althergebrachte Staatswährungen ablösen. Es überrascht also nicht, dass neuartige Kryptowährungen wie der Bitcoin in vielerlei Hinsicht Fragen aufwerfen.

Doch was sind Kryptowährungen? Sie verdanken ihren Namen ihrer kryptographischen Legitimation in Form einer digitalen Signatur und sind ein digitaler Vermögenswert, bei dem ein dezentralisiertes System – und nicht eine zentrale Behörde wie etwa eine Bank – Transaktionen überprüft und erfasst. Spätestens seit dem Rekordhoch des Bitcoins von 65.000 US-Dollar am 14. April 2021 sind Kryptowährungen in den Mainstream-Märkten angekommen und finden insbesondere unter jungen Privatanlegern der Generation der sogenannten Millennials Zuspruch. Marktschätzungen zufolge gibt es rund 5400 verschiedene Kryptowährungen, mit Ether und Bitcoin als bekannteste Vertreter ihrer Gattung.

Angesichts der zunehmenden Relevanz von Nachhaltigkeit für Geldanlagen lohnt sich insbesondere ein Blick darauf, inwiefern Kryptowährungen und Nachhaltigkeit miteinander vereinbar sind. Einblicke liefert eine Studie von Lucia Meloni und Vincent Compiègne, in der Candriams Leitende ESG-Analystin und der Stellvertretende globale Leiter für ESG und Research untersuchen, wie Bitcoin und andere digitale Zahlungsmittel im Hinblick auf Umwelt-, soziale und Governance-Aspekte (ESG) abschneiden.

Klimasünder Bitcoin

Bei Kryptowährungen besitzt der Umweltaspekt ein großes Gewicht. Zuletzt sind Kryptowährungen in die Kritik geraten, weil das Schürfen der „digitalen Münzen“ Unmengen von Energie verbraucht. Doch gilt dies für alle Kryptowährungen? Es gibt zwei Arten von Kryptos: die „geminten“ – also elektronisch geschürften – Kryptos und solche, deren Entstehungsprozess deutlich weniger Energie beansprucht. Letztere sind jedoch in der Minderzahl. Der Bitcoin als die Kryptowährung mit der derzeit größten Marktkapitalisierung ist beispielsweise eine geschürfte Kryptowährung und hat der jüngsten Studie der Universität Cambridge zufolge in den letzten zwölf Monaten mehr Strom verbraucht als die Niederlande.

Erschwerend kommt hinzu: 75 Prozent des weltweiten Bitcoin-Minings erfolgt in China. Oftmals wird dort der Strom für Bitcoin-Mining-Farmen durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe – insbesondere Kohle – erzeugt. Vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens stehen geminte Kryptos den Nachhaltigkeitszielen und der CO2-Reduzierung also gänzlich entgegen. Es gibt zwar Kryptowährungen, die weniger Energie verbrauchen, doch solange der Bitcoin das Flaggschiff der Kryptowährungen ist, wird sich die negative Energiebilanz von Kryptowährungen als Ganzes erst ändern, wenn sich der Bitcoin ändert und einen neuen Algorithmus erhält, mit dem Transaktionen anders validiert werden. Derartige Bestrebungen zeichnen sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht ab.

Kleinanleger benachteiligt?

Aber auch in sozialer Hinsicht sind Kryptowährungen nicht unumstritten. Befürworter führen ins Feld, dass Kryptowährungen erhebliche Vorteile für Entwicklungsländer bringen könnten. Die digitale Handhabung könne es auch Menschen aus ärmeren Ländern ermöglichen, Wohlstand zu generieren. So erstrebenswert das Ziel sozialer Inklusion durch den Zugang zu Bankdienstleistungen auch ist, entspricht dieses Argument nicht der Realität. Experten sind sich einig, dass Kryptowährungen ärmere Menschen vermutlich mehr kosten würden – zum einen aufgrund der hohen Kosten, die durch den Umtausch von digitalen Münzen in echtes Geld entstehen, zum anderen, weil das Risiko des Kapitalverlusts aufgrund der hohen Volatilität von Kryptowährungen beträchtlich ist.

Auch auf rechtlicher Ebene sind Kryptowährungen streitbar. Sie sind in keinem bestimmten Land beheimatet, was die politische und regulatorische Harmonisierung erschwert und den Weg für kriminelle Aktivitäten ebnet. Staaten wie China, die USA und Europa sind bestrebt, Kryptowährungen von Gesetzes wegen an die Kette zu legen – unter anderem im Kampf gegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Cyberbetrug.

Fazit: ESG-Aufholbedarf

Kryptowährungen haben nach dem heutigen Stand der Dinge noch einen weiten Weg vor sich. Ein Vermögensverwalter oder großer institutioneller Anleger, der zum jetzigen Zeitpunkt eine bedeutende Anlage in Kryptowährungen tätigt, läuft Gefahr, seinen Ruf und seine Glaubwürdigkeit in puncto ESG zu schädigen. Doch komplett abschreiben sollte man Kryptowährungen im ESG Kontext nicht, denn viele der damit verbundenen Probleme können auf lange Sicht behoben werden. Kryptowährungen müssen durch Regulierungen gezähmt und umweltfreundlicher gemacht werden. Um die Entwicklung klimafreundlicher Kryptos zu fördern, käme beispielsweise eine „grüne“ Prämie für jene digitalen Währungen, die bei der Verarbeitung von Transaktionen nur Solarstrom oder andere nachhaltige Energiequellen nutzen. Diese vor allem theoretischen Ansätze beinhalten zum jetzigen Zeitpunkt zu viele Unwägbarkeiten und Unsicherheiten. Kryptowährungen sind eine Innovation, die es weiter zu beobachten gilt. Bis sie auch unter ESG-Gesichtspunkten salonfähig sind, kann es allerdings noch dauern.

Die komplette Studie ist unter diesem Link abrufbar. Kostenlose zertifizierte Weiterbildungen zum Thema Nachhaltigkeit und ESG bietet die Candriam Academy.

Tanja Bender ist Niederlassungsleiterin von Candriam Deutschland und Österreich

.

Über den Autor

Picture of Ali Masarwah

Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
Nach oben scrollen