MSCI World ETFs galten lange als das Nonplus-Ultra für Anlegende. Doch mit der schwachen Performance mehren sich die Zweifel. Die Publizistin Jessica Schwarzer und Envestor-CEO Ali Masarwah haben die Klingen gekreuzt in einer Pro-Kontra-Diskussion.
1. Taugt der MSCI World als Grundlage für ETFs?
Ali Masarwah: Der MSCI World ist heute kein gutes Anlageuniversum für ETFs. Die USA-Quote ist mit über 70 Prozent inzwischen zu hoch, wie auch die Tech-Quote von faktisch über 30 Prozent – Meta und Alphabet werden als Telekommunikationsunternehmen eingestuft, Tesla gehört der Konsumbranche an. Die drei sind aber faktisch Teil der Magnificent 7. Anleger, die heute ETFs in dem Glauben kaufen, ein diversifiziertes Investment zu tätigen, irren sich. Wer heute „MSCI World“ sagt, meint nicht Diversifikation, sondern die Outperformance zwischen 2009 und 2024. Aber die Vergangenheitsperformance ist nicht nur vergangen, sondern mausetot.
Jessica Schwarzer: Einspruch! Der MSCI World ist immer noch ein gutes Basisinvestment für ETF-Anleger. Es stimmt natürlich, dass der Anteil amerikanischer Aktien, der Technologiebranche und vor allem der Magnificent 7 sehr hoch ist. Aber das ist den Regeln für die Zusammensetzung des Indizes geschuldet. Die Aktien mit dem größten Börsengewicht haben, wie übrigens in den meisten Indizes, den größten Anteil. Und mit der Rally der Tech-Aktien in den vergangenen Jahren, ist dieser Anteil immer größer geworden. Davon habe ich als Anlegerin dann auch profitiert. Wie es weitergeht? Wer eine Kristallkugel hat, möge sich melden. Der Index mag Schwächen haben, und natürlich muss ich genau wissen, was ich da tue, muss mir die Zusammensetzung anschauen.
2. MSCI World ETFs: Sind sie die perfekten "Silver Bullets"?
Ali Masarwah: Faktisch verhält es sich mit MSCI World ETFs aber oft wie mit einem „Silver Bullet“. Anlegende und auch Medien glauben offensichtlich, dass man nur einen Schuss frei habe. Der muss dann folglich sitzen. Als Ein-Produkt-Lösung ist der MSCI World aber eine denkbar schlechte Lösung: keine Emerging Markets, keine kleinen Nebenwerte (Small Caps) und das oben erwähnte Klumpenrisiko Tech und USA. Heute kosten ETF-Sparpläne nichts, wer über eine günstige Plattform handelt, zahlt auch kaum Gebühren bei Einmalanlagen. Daher werde ich nie verstehen, warum viele Anlegende auf einen One-Stop-Shop bestehen. Warum nicht ein diversifiziertes ETF-Portfolio mit 4,5 oder sogar 6 ETFs aufbauen? Emerging Markets, Small Caps sowie Europa, Japan, Asien (developed) als adequate Pendants zu einem deutlich reduzierten USA-Anteil sollten das Aktienportfolio prägen.
Jessica Schwarzer: Natürlich ist nicht die ganze Welt im angeblichen Weltaktienindex vertreten. Es sind „nur“ die Aktien aus den Industrienationen. Die Schwellenländer fehlen. Das ist übrigens der Historie geschuldet. Als der MSCI World aus der Taufe gehoben wurde, waren viele Schwellenländer schlicht noch nicht investierbar. Das hat sich geändert und mittlerweile gibt es ja auch den MSCI Emerging Markets und den MSCI All Country World, den wahren Weltaktienindex. Der US-Anteil bleibt aber hoch, wenn auch etwas niedriger. Denn auch hier gilt die Marktkapitalisierung bei der Zusammensetzung. Und auch deshalb fehlen dann die Nebenwerte. Aber das kann jeder Anleger doch selbst korrigieren und andere ETFs beimischen, seien es ETFs für Schwellenländer, Europa oder Nebenwerte. Für mich ist und bleibt der MSCI World aber ein Basisinvestment.
3. Der MSCI World - neutrale Benchmark oder eine Strategie?
Ali Masarwah: Der MSCI World steht für den Irrglauben vieler Anlegerinnen und Anleger, wonach der MSCI World eine Art gottgegebene Regel des Investierens sei. Er ist aber faktisch eine Strategie, und Strategien können scheitern. Einen ETF auf den MSCI World heute zu kaufen, ist nicht passives Investieren, sondern eine sehr aktive Entscheidung, in den teuersten Markt der Welt zu investieren und Europa weitgehend zu ignorieren. Euroland-Aktien machen aktuell unter 10 Prozent des Gewichts des MSCI World aus. Man sollte es nicht zu weit mit dem Glauben an die Effizienzmarkthypothese treiben.
Jessica Schwarzer: Dieses Argument teile ich. Deshalb mische ich persönlich auch andere Indizes bei. Dass man mit dem MSCI World in den teuersten Markt der Welt investiert, stimmt im Grunde auch. Aber auch das ist den Regeln für die Zusammensetzung des Indizes geschuldet. Und noch einmal: In den vergangenen Jahren war das nicht die schlechteste Idee. Der MSCI World lief übrigens besser als der MSCI World ACWI oder die IMI-Variante, die mehr Nebenwerte enthält.
4. Wie gut verstehen Anlegende den MSCI World?
Ali Masarwah: Weil viele Anlegende den MSCI World unhinterfragt als perfektes ETF-Investment ansehen, gibt es viele Missverständnisse über seine Eigenschaften. Dem Vorteil der Liquidität steht der Nachteil der Fixierung auf Standardwerte bzw. der Klumpenbildung gegenüber, die nach langen Hausse-Phasen entsteht. In einer Baisse kehrt sich der Momentum-Faktor, von dem Anlegende in MSCI World ETFs profitiert haben, mitunter in sein Gegenteil um: Die Gewinner von gestern verlieren überproportional.
Jessica Schwarzer: Anleger sollten immer hinterfragen, was sie tun. Auch hier teile ich Deine Argumente. Nur, ist das nicht Börse für Fortgeschrittene? Wer gerade erst anfängt, an der Börse zu investieren, ist doch mit dem MSCI World erst einmal gut aufgestellt? Partizipiert erstmal an der Entwicklung der weltweiten Aktienmärkte (ex Schwellenländer natürlich). Das würde vielen Sparern gut tun. Dass es immer noch „besser“ oder ausgefeilter geht, natürlich…
5. MSCI World ETFs - wie die Nachteile adressieren?
Ali Masarwah: Wobei genau hier der Hase oft im Pfeffer liegt. Auch wer die Schwächen des MSCI World erkennt, sitzt oft dem Missverständnis auf, den „perfekten“ Ersatz zusuchen. Aber das ist nur die gedankliche Verlängerung der vorherigen Fixierung auf den MSCI World. Jeder One-Stopp-Shop hat Nachteile. Daher ergibt die Suche nach „dem perfekten MSCI-World-Ersatz“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Scheinlösungen. Die vielen Ein-Produkt-Lösungen haben meistens folgendes gemein: Sie sind teurer als ETFs auf den MSCI World, sind zu komplex, oder aber es handelt sich schlicht um Dubletten: Beispiele hierfür sind ETFs auf den MSCI ACWI, den FTSE World oder andere Total-Market-ETFs, die alle nach demselben Prinzip funktionieren und sich kaum von MSCI World ETFs unterscheiden.
Jessica Schwarzer: Auch hier teile ich Deine Meinung. Aber ich bleibe dabei: Lieber einen ETF auf dem MSCI World als gar keinen ETF. Lieber Investieren als Sparen. Und der MSCI World ist und bleibt ein guter Einstieg.
Autor
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Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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