Portfolio Rebalancing: Komplizierter als der MSCI World erlaubt

Portfolio Rebalancing gehört zu den Pflichtübungen von Anlegern mit komplexeren Portfolios. Viele ETF-Investoren vernachlässigen das, offenbar auch, weil sie auf das Rebalancing durch die Indexanbieter vertrauen. Sie machen dabei aber einen Denkfehler, der zu unerwünschten Risiken führen kann.

Nichts ist so unstet wie die Kurse von Wertpapieren. Aktienkurse fliegen, zumindest kurzfristig, ohne Sinn und Verstand durch die Gegend. Diese Fluktuation hat Folgen für Wertpapierportfolios. Wer ein Portfolio zusammenstellt, tut dies mit bestimmten Renditezielen und geht dafür gezielt Risiken ein. Die Rendite-Risiko-Überlegungen resultieren in einer Aufteilung des Portfolios in einen Risikotopf (Aktien, Rohstoffe, Kryptos, Gold) und einen Sicherheitentopf (Anleihen, Cash).

Weil gerade die Risiko-Assets stark fluktuieren, können Anleger das Portfolio regelmäßig auf seine Ausgangslage zurückführen. Das nennt man Rebalancing. Mit dem Rebalancing stellen Anleger sicher, dass sich die Natur des Portfolios nicht dergestalt verändert, dass sie zu viele oder zu wenige Risiken eingehen.

Was passieren kann, wenn man sein Portfolio “laufen lässt”, zeigen zwei Beispiele anhand eines 50:50 Portfolios aus Aktien und Anleihen, das zehn Jahre unverändert bleibt. Erzielen Aktien in dem Zeitraum eine jährliche Rendite von zehn Prozent pro Jahr und rentieren Anleihen jährlich um zwei Prozent, dann wird das Portfolio nach zehn Jahren eine Aktiengewichtung von knapp 70 Prozent aufweisen.

Selbst wenn die Differenz zwischen der Rendite von Anleihen und Aktien niedriger ist, verändert dieses Portfolio über die Zeit sein Gesicht. Auch bei einer Aktienrendite von acht Prozent p.a. und einer Bond-Rendite von drei Prozent p.a. liegt das Aktiengewicht nach zehn Jahren bei gut 60 Prozent.

Wer vermeidet bei ETFs die Klumpenrisiken?

Bei aktiv verwalteten Fonds sichert der Fondsmanager, dass sich das Risikoprofil eines Fonds über die Zeit nicht verändert. Ein Mischfonds, der ausgewogen in Aktien und Anleihen investiert, wird immer – innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen – ausgewogen investieren und in etwa eine Aktienquote von 50 Prozent aufweisen. Ein defensiver Mischfonds wird in der Regel eine Aktienquote von 20 bis 30 Prozent besitzen. Aber auch bei Aktienfonds wird der Fondsmanager durch die Anlagerichtlinien des Fonds, aber auch durch die gesetzlichen Diversifikationsregeln dafür sorgen, dass das Portfolio nicht zu stark auf einzelne Aktien oder Sektoren ausgerichtet ist.

Aber was passiert bei ETFs? Auch Indizes nehmen regelmäßig ein Rebalancing ihrer Indizes vor. Beispielsweise werden Standard-Indizes des Indexhauses MSCI jedes Quartal neu balanciert, also neu berechnet. Der MSCI World oder MSCI Europe werden pünktlich zu jedem kalendarischen Quartal neu berechnet. Doch wissen Anleger, was genau passiert, wenn Marktindizes ein Rebalancing vornehmen? Wir waren neugierig und haben auf Twitter nachgefragt, was die Folgen beim Rebalancing von „Marktindizes“ sind. Die Antworten waren überwiegend beunruhigend.

Anleger verwechseln offenbar das oben beschriebene klassische Rebalancieren von Portfolios mit dem Rebalancing, das beim MSCI World, MSCI Europe, aber auch beim DAX oder SMI oder FTSE 100 vonstattengeht. Nehmen wir in einem rein theoretischen Beispiel an, dass sich in einem der oberen Indizes vor und nach dem Rebalancing-Termin die identischen Aktien im Index befinden und auch deren Zahl gleich bleibt. In diesem Fall bewirkt das Rebalancing … absolut nichts!

Warum? Weil der zentrale Movens bei einem klassischen Index, der nach dem Prinzip der Marktkapitalisierung berechnet wird, die Veränderungen der Aktienkurse sind. Ein nach Marktkapitalisierung gewichteter Index wird berechnet, indem man die Zahl der (frei handelbaren) Aktien mal deren Kurs multipliziert. Bleibt die Anzahl der Aktien identisch, dann werden die Kursveränderungen der Indexbestandteile bei der (x-fach) täglich vorgenommenen Index-Berechnung widergespiegelt. Dafür ist kein Rebalancing nötig.

Portfolio Rebalancing ist nicht das Ding von ETFs

Wer nun erwartet, dass das Rebalancing eines Marktindex dazu führt, dass das Gewicht von
Titanen wie Microsoft, Apple, Alphabet und Co. im Zaum gehalten wird, täuscht sich. Wer also einen ETF auf einen typischen Marktindex hält, lässt die Kurse laufen und nimmt so mitunter massive Klumpenrisiken in Kauf. Dass das schlimme Folgen haben kann, zeigt das Platzen der Tech-Bubble zwischen 2000 und 2003, die beim NASDAQ 100 zu Verlusten von maximal 80 Prozent führte. Seit den Kursgewinnen bei den Big Tech Werten seit Anfang 2023 ist der NASDAQ 100 heute wieder stärker konzentriert: Apple, Nvidia, Amazon, Meta und Alphabet machen aktuell knapp 40 Prozent des Indexgewichts aus. Aber wegen des hohen Anteils von US-Aktien existieren Klumpenrisiken auch im MSCI World.

Halten wir also fest, dass ETF-Anleger, die ein klassisches, antizyklisches Rebalancing erwarten, selbst Hand anlegen müssen. Bevor die Experten protestieren: Wir haben die groben Linien aufgezeigt. Natürlich reflektiert das Rebalancing bei klassischen Indizes auch Veränderungen des Marktes. Regelmäßig werden Aktien, deren Kurse stark gefallen sind, aus Indizes herausgenommen; sie werden ersetzt durch „nachwachsende“ Aktien, deren Börsenwert steigt. Allerdings findet diese „Frischzellenkur“ bei großen Indizes weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. Im MSCI World werden jedes Quartal rund 30 bis 50 Aktien ausgetauscht. Aber das betrifft zumeist die Titel mit einer sehr niedrigen Gewichtung – die kleinsten Aktien im MSCI World machen ein Gewicht von 0,01 Prozent aus.

Wenn also die Aktie von Apple vor dem Rebalancing des MSCI World ein Gewicht von 4,5 Prozent im MSCI World hatte, dann wird das Gewicht der Aktie nach dem Rebalancing – ceteris paribus – auch bei 4,5 Prozent liegen. Die untere Tabelle zeigt die veränderte Gewichtung der Top-Titel im MSCI World zum Wechsel vom zweiten auf das dritte Quartal 2022. Bei den Top zehn Holdings bewegen sich die Veränderungen im zweiten Nachkommastellen-Bereich – und auch nur deshalb, weil sich die Kurse innerhalb eines Handelstages (1.7.2022) verschoben haben.

Portfolio Rebalancing

Gewichte im MSCI World Index anhand der veränderten Portfolio Holdings im iShares Core MSCI World dargestellt, in Prozent, Quelle: Morningstar


Ein weiterer Sonderfall, über den wir an dieser Stelle nur kurz eingehen wollen, sind ETFs, die aktive Strategien umsetzen. Man spricht daher auch von semi-aktiven ETFs. Das sind ETFs, die Dividendenstrategien umsetzen, oder die in Low Volatility Aktien investieren, oder solche, die Momentum- und Gleichgewichtsstrategien umsetzen. Bei diesen Strategie-ETFs kann ein Rebalancing signifikante Veränderungen beim Index bewirken. Erfüllt beispielsweise eine Aktie in einem Dividenden-Index nicht länger die Erfordernisse des Index – etwa wenn die Dividendenrendite sinkt -, dann fällt sie beim nächsten Rebalancing-Termin vollständig aus dem Index heraus, auch wenn sie bis dahin der Top-Wert im betreffenden Index ist.

Gleiches gilt bei Momentum-Indizes: Nimmt die Kursdynamik einer Aktie ab, fliegt sie unter Umständen auch aus dem Index. Das kann auch den Top-Werten passieren. Bei gleichgewichteten Indizes bewirkt das Rebalancing weitreichende Veränderungen, da alle Aktien “auf Anfang” gesetzt werden. Weil das in der Praxis wegen der vielen Transaktionen teuer ist, finden sich nur wenige gleichgewichtete ETFs am Markt. Wir sprechen bei Strategie-ETFs übrigens über eine sehr kleine Minderheit: Sie machen nur rund sechs Prozent des europäischen ETF-Marktes aus.

Rebalancing der Stachel im Fleisch der ETF-Anleger

ETF-Anleger müssen sich daran gewöhnen, dass sie ihr eigener Portfolio-Manager sind. Auch wer nur einen ETF hält, muss sich bewusst machen, dass ein typischer, nach Marktkapitalisierung gewichteter Index seinen ETF durch Rebalancing nicht “schöner” machen wird. Wer also in den MSCI World vor 15 Jahren investiert hat, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Gewicht der USA in diesem Zeitraum von 50 Prozent auf rund 70 Prozent zugenommen hat. Das ist unter Diversifikationsgesichtspunkten bedenklich. Dieser Anleger wird in letzter Konsequenz seine ETFs auf den MSCI World oder MSCI ACWI mutmaßlich verkaufen und stattdessen auf einzelne Aktien-ETFs auf USA, Japan, Europa und Emerging Markets in geringerer Einzelkonzentration streuen.

Wer kein Do-it-Yourself Anleger ist, kann auf fertige ETF-Portfolios zurückgreifen. Hier gibt es viele Angebote am Markt. Auch envestor hat mit seinen ETF-Portfolios investierbare Alternativen für Anleger geschaffen, die diversifiziert sind, eine flexible Mischung von Aktien und Anleihen anbieten und zweimal im Jahr ein Rebalancing vornehmen und damit Klumpenbildungen verhindern.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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