Zertifikate-Abzocke? Bafin stellt Sparkassen und Banken Persilschein aus

Die Finanzaufsicht Bafin hat der Zertifikate-Branche faktisch einen Persilschein ausgestellt. Für Außenstehende lassen sich die Behauptungen der Bafin, wonach die meisten Anlegenden nicht getäuscht wurden, schwer nachvollziehen. Unser Kontakt zu Sparkassenkundinnen und -Kunden lässt andere Schlüsse zu. 

Im Sommer 2023 verschlug es uns dann doch die Sprache: Eine hochbetagte Sparkassenkundin kam die Performance ihres Sparkassendepots nicht ganz geheuer vor. Ein Berater hatte ihr in den Jahren zuvor einen bunten Strauß an Zins- und Express-Zertifikaten ins Depot gelegt. Die Kundin hatte sich in der Nullzinsphase von den vermeintlichen “Zinsen” auf Aktien wie BASF oder Porsche locken lassen. Tatsächlich hatten diese Produkte aber nicht viel mit herkömmlichen Anleihen zu tun. 

Die Zertifikate waren so strukturiert, dass sie in einer starken Abwärtsphase eher der Performance einer Aktie nahekamen. Das war für die Kundin nach eigenen Angaben nicht nachvollziehbar. Sie wollte Sicherheit und Zinsen. Dieses Ziel ist typisch für ältere Investoren, und wir halten ihre Angaben für plausibel. Die latenten Risiken wurden manifest, als die russische Armee in der Ukraine einfiel. Die Kurse etlicher Papiere auf deutsche zyklische Aktien sackten um teilweise über 30 Prozent ab. 

Warum wurden unserer Kundin derartige Papiere ins Depot gelegt? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Filiale wie die strukturierende Bank – hier die Deka – verdienen gut an diesen und ähnlichen Geschäften. Durch ihr Investment in die Inhaberschuldverschreibungen der Banken nehmen Anlegende das Bonitätsrisiko der Bank auf sich, und die Verkäufer am Schalter können alle paar Jahre den Kunden immer neue Produkte ins Depot legen. Denn anders als die meisten Fonds und ETFs haben Zertifikate feste Laufzeiten. Der Vorwurf steht also im Raum, dass Banken auf Gebühren aus sind und Kunden unangemessenen Risiken aussetzen. 

Viele Anlagezertifikate sind teuer, intransparent und in ihrer Struktur komplex. Aus unserer Sicht ein exemplarisches Beispiel für Fehlanreize im Vertrieb: Nicht der Kundennutzen, sondern die Margen der Basnk sehen im Vordergrund. Doch wie konnte es dazu kommen – und darf das so weitergehen? Spoiler: ja, sagt offenbar die Finanzaufsicht Bafin.

Die Bafin hat den Markt untersucht – und gibt (fast) Entwarnung

2024 nahm die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Zertifikatemarkt unter die Lupe. In zwei separaten Studien analysierte sie sowohl den Vertrieb von Anlagezertifikaten als auch den Handel mit spekulativen Turbo-Zertifikaten. Das Ergebnis zur ersten Studie: Es habe „keine systematische Fehlberatung“ gegeben. Banken hätten ihre Kunden nach dem Ende der Niedrigzinsphase nicht in Zertifikate „gedrängt“. Die Kundenzufriedenheit mit der Beratung sei überwiegend hoch gewesen.

Diese Einschätzung dürfte die Branche freuen – sie ist de facto ein Freibrief für das aktuelle Vertriebssystem. Zwar räumt die Bafin ein, dass bei der Produktkonzeption und Zielmarktdefinition teilweise „nicht mit der gebotenen Sorgfalt“ gearbeitet wurde. Auch hätten rund 20 Prozent der Kunden die Funktionsweise von Express-Zertifikaten nicht verstanden. Doch damit widerspricht sich die Bafin quasi im selben Atemzug: Wenn ein Anleger das Produkt, um das es geht, nicht verstanden hat, wie relevant ist dann seine “Zufriedenheit”? Und wie wurde diese vermeintliche Zufriedenheit gemessen? Die Antworten auf diese naheliegenden Fragen liefert die Untersuchung der Bafin nicht.

Es erfordert keine prophetischen Gaben, um zu prognostizieren, dass sich an der bisherigen Vertriebspraxis der Banken nach diesem “Test” der Bafin nichts ändern wird. Aus unserer Sicht war dies eine verpasste Chance, die Zertifikate-Branche an die Kandare zunehmen – im Interesse der Kunden. 

Kosten und Komplexität: Zertifikate weisen Nachteile auf

Ein Aspekt, den die Bafin nur am Rande erwähnt, ist der Preis dieser Produkte – und genau der ist entscheidend. Zertifikate sind meist nicht nur schwer verständlich, sondern oft auch teuer. Laut einer Studie der WHU, die im Auftrag der Zertifikate-Branche selbst erstellt wurde, belaufen sich die durchschnittlichen Gesamtkosten auf rund 0,81 Prozent pro Jahr. Sie setzen sich zusammen aus Emittentenmarge (0,47 Prozent), Vertriebsprovisionen (0,28 Prozent) und Ausgabeaufschlägen (0,06 Prozent). Doch das sind Durchschnittswerte. Bei Aktienanleihen, die wir bei unserer besagten Anlegerin vorgefunden haben, liegen die Kosten pro Laufzeitjahr im Schnitt bei knapp 1,4 Prozent, und das bei einer Laufzeit von 2,4 Jahren. 

Doch die Kosten sind nicht alles: Die Funktionsweise dieser derivativen Konstrukte ist komplex, die Risiken oft nicht für Laien verständlich. Das Verbraucherportal Finanztip sieht Zertifikate allenfalls für erfahrene Anleger geeignet. Doch auch bei denen kann so einiges schiefgehen. Das zeigt die Erfahrung von Anlegern in sogenannten Turbo-Zertifikaten.

Spekulation statt Anlage: Turbo-Zertifikate als Risikofalle

Die zweite Bafin-Studie hat den Handel mit Turbo-Zertifikaten untersucht. Hier handelt es sich um Hebelprodukte mit Knock-out-Schwelle. Drei von vier Anlegern erlitten zwischen 2019 und 2023 Verluste. Im Durchschnitt verlor jeder Anleger rund 6.358 Euro, insgesamt beliefen sich die Verluste auf 3,4 Milliarden Euro. Ein verheerendes Bild – und ein klarer Hinweis darauf, dass diese Produkte in der Breite nicht verstanden werden.

Selbst kapitalmarkterfahrene Anleger unterschätzten regelmäßig die Risiken. Die Bafin kündigte an, weitere Maßnahmen zum Anlegerschutz zu prüfen – doch Konkretes steht noch aus. 

Ein Persilschein für schlechte Beratung?

Die Gesamtbewertung der Bafin fällt unbefriedigend aus. Zwar werden einzelne Mängel benannt – etwa bei der Produkt-Governance –, doch das grundsätzlich problematische Vertriebssystem bleibt unangetastet. Das signalisiert der Branche: Weiter so! Für viele Banken bleibt der Zertifikatevertrieb ein lukratives Geschäft – oft zulasten der Kunden. 

Zertifikate bleiben Produkte mit eingebauten Interessenkonflikten. Die Komplexität nützt den Emittenten – nicht den Kunden. Die hohen Kosten sind kein Zufall, sondern systemisch. Und die Intransparenz ist kein Nebeneffekt, sondern Teil des Designs.

Dass die Bafin in diesem Umfeld keinen strukturellen Missstand erkennt, ist enttäuschend. Was wir brauchen, ist nicht mehr Verbraucherinformation, sondern echte Regulierung: Kostenbegrenzungen, Produktvereinfachung und eine verpflichtende Prüfung der Zweckmäßigkeit – bevor verkauft wird. Solange das ausbleibt, gilt: Banken und Sparkassen dürfen weiter mit dem Geld der Kunden zocken. Nunmehr offiziell von der Bafin legitimiert.

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