Bitcoin: Wahnsinn oder Wunderwerk?

Am Bitcoin scheiden sich die Geister und keine andere Anlage polarisiert die Anleger oder die öffentliche Diskussion derart. Für die einen ist der Bitcoin die Realität gewordene Vision einer neuen, besseren Weltwährung, abgekoppelt vom möglichen manipulativen Einfluss der Regierungen und Zentralbanken. Für die anderen ist er wahlweise die Währung der Erpresser und Drogenhändler, die irrsinnigste Spekulationsblase aller Zeiten oder eine der größten Umweltsünden unserer Tage. Wer wird am Ende Recht behalten? Wird der Siegeszug des Bitcoins anhalten oder wird die Kryptowährung irgendwann einfach kollabieren wie Spekulationsblasen vor ihr?

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein faszinierendes Konzept
  2. Aus der Krise geboren
  3. Eingebaute Knappheit
  4. Eine Geldmaschine für Jedermann?
  5. Ein teurer, schmutziger Spaß
  6. Die digitale Tulpenzwiebel

 

Ein faszinierendes Konzept

Wie funktioniert die Kryptowährung und woher resultiert die Faszination die ihre Fans empfinden? Der entsprechende Wikipedia-Eintrag liest sich überraschend nüchtern:

Bitcoin ist eine Kryptowährung auf Basis eines dezentral organisierten Buchungssystems. Zahlungen werden kryptographisch legitimiert und über ein Netz gleichberechtigter Rechner (peer-to-peer) abgewickelt. Anders als im klassischen Banksystem üblich ist kein zentrales Clearing der Geldbewegungen notwendig. Eigentumsnachweise an Bitcoin werden in persönlichen digitalen Brieftaschen gespeichert. Der Kurs eines Bitcoin zu anderen Zahlungsmitteln erfolgt über Preisbildung auf dem freien Markt.

Ein erster faszinierender Aspekt des Bitcoins ist die vollkommen dezentrale Struktur des Netzwerks und die daraus resultierende Unabhängigkeit des Systems vom Einfluss einzelner Staaten, Zentralbanken oder anderer Institutionen. Sämtliche Transaktionen werden vom gesamten Netzwerk transparent protokolliert und sind dadurch – zumindest im Normalfall – vor Fehlern oder Manipulation geschützt. Er ist zugleich transparent und anonym und sein Kurs bildet sich allein durch Angebot und Nachfrage.

 

Aus der Krise geboren

Das Konzept des Bitcoin weist also attraktive Eigenschaften auf. Wer aber die teilweise kultische Verehrung für den Bitcoin wirklich verstehen will, der muss sich nicht nur mit Fakten, sondern auch mit seinen mystischen, geheimnisvollen Aspekten auseinandersetzen, insbesondere mit dem Mythos um seine Schöpfung auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Spätherbst 2008. Damals wurde unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto in einem Internet-Forum über Verschlüsselungstechnologie ein Konzeptpapier vorgestellt, das ein innovatives, auf Verschlüsselungstechnologie basierendes dezentrales Verfahren zur Abwicklung von Transaktionen beschrieb. Dieses Verfahren bzw. das darauf aufbauende System hatte das Ziel, eine weniger krisenanfällige Alternative zur herkömmlichen Abwicklung über Banken und andere Finanzdienstleister zu bieten. Die Idee des Bitcoin war geboren; der oder die Erfinder hinter dem Pseudonym aber blieben trotz aller Bemühungen bis heute unbekannt. Nur eines ist klar, Satoshi Nakamoto ist definitiv keine reale Person.

 

Eingebaute Knappheit

Die Vision des mysteriösen Satoshi Nakamoto begeisterte sofort viele Skeptiker des etablierten Finanzsystems: Eine wahrhaft demokratische, weil scheinbar durch niemanden kontrollierbare Währung, deren Transaktionen in einem riesigen dezentralisierten Netzwerk transparent festgehalten werden. Mehr noch als die quasi-autonome Struktur des Systems befeuerten aber zwei andere Merkmale die Popularität des Bitcoin und die Träume der Bitcoin-Spekulanten: Die fest verankerte Knappheit sowie die zusätzliche Chance des „Schürfens“ als Abfallprodukt der Bestätigung von Transaktionen. Das „Schürfen“ von Bitcoin funktioniert folgendermaßen: Jeder Rechner der sich an den Rechenoperationen des Bitcoin-Netzwerks beteiligt, hat proportional zur eingespeisten Rechenleistung die Chance, für seine Arbeit durch den Erhalt von neu geschaffenen Bitcoins entlohnt zu werden. Das erzeugt einen lukrativen Anreiz zur Teilnahme am System und hat insbesondere in ärmeren, aber energiereichen Ländern wie Russland, Kasachstan oder Iran regelrechte Bitcoin-Minen entstehen lassen: Hallenweise vollführen hunderte, manchmal auch tausende hochspezialisierte Rechner die komplexen Rechenoperationen aus. Mit ihrer Gier nach neuen Bitcoins bestätigen die „Minenbetreiber“ also die Transaktionen und halten das ganze System am laufen. Gleichzeitig aber ist das Schürfen neuer Bitcoins mengenmäßig aufs strengste begrenzt, denn das Protokoll des Systems definiert eine fixe Maximalanzahl von knapp unter 21 Millionen Bitcoins, von denen heute bereits 18,4 Millionen geschürft wurden. Außerdem wird das Schürfen neuer Bitcoins mit der Zeit immer komplexer und rechenintensiver, sodass das Produzieren neuer Bitcoins sich automatisch verteuert. Genau diese eingebaute Knappheit erscheint vielen Spekulanten als eine Garantie auf immerwährende Preisanstiege.

 

Eine Geldmaschine für Jedermann?

Durch diese Aussichten angelockt, nahmen in den letzten 10 Jahren immer mehr Bitcoin-Enthusiasten am Netzwerk teil, und viele versuchten auch ihr Glück als Minenbetreiber. Getragen von dieser Grassroot-Bewegung begann der Siegeszug der scheinbar demokratischen, freien Alternativwährung und viele Enthusiasten der ersten Stunde freuen sich heute über astronomische Gewinne. Doch die Realität des Bitcoin hat sich zunehmend von seiner positiven Vision entfernt und ist heute vor allem ein knallhartes Geschäft in dem wenige Teilnehmer mit oft fragwürdigen Hintergründen und Interessen enorm profitieren und gleichzeitig gigantische Umweltschäden verursachen: 85 Prozent der Bitcoins – was aktuell einem Wert von über 750 Milliarden US$ entspricht – werden von weniger als 1 Prozent der Bitcoin-Adressen gehalten. Diese enorme Konzentration des Bitcoin-Vermögens steht in krassem Widerspruch zum egalitären, demokratischen Image der Kryptowährung und wirft viele Fragen auf. Auch die enorme geographische Konzentration des Netzwerkes selbst, sollte Befürworter ins Grübeln bringen: Der bei weitem überwiegende Teil der am Netzwerk beteiligten Rechner steht in Ländern, die wenig demokratisch und noch weniger liberal ausgerichtet sind. Aktuell stellen Rechner in China (71 Prozent), Russland (6 Prozent), Kasachstan (3 Prozent), Iran (3 Prozent) oder Libyen (1 Prozent) nach Berechnungen der Universität Cambridge zusammen weit über 80 Prozent der Rechenleistung des Netzwerkes. Sie erzeugen so aber natürlich auch über 80 Prozent der Erträge von geschätzten 15 Milliarden US$ pro Jahr. Alleine chinesische Minen generieren damit wahrscheinlich aktuell mehr als 10 Milliarden Dollar an jährlichen Erträgen. Zum Vergleich: Auf ganz Deutschland entfallen nur 0,5 Prozent der Rechenleistung und damit auch nur 75 Millionen an Erträgen.

 

Ein teurer, schmutziger Spaß

Doch die Konzentration des Bitcoin-Vermögens oder die Konzentration des Netzwerks in Ländern mit autoritären Systemen oder zum Teil mehr als fragwürdigen Rechtsnormen ist bei weitem nicht das einzige Problem, denn das Bitcoin Netzwerk verursacht gleichzeitig riesige Umweltschäden. Die komplizierte, dezentrale Validierung von Transaktionen und das damit verbundene Schürfen verbrauchen eine ungeheure Menge an Elektrizität, und bereits heute übersteigt die durch das Netzwerk verbrauchte Energie nach den Schätzungen der Universität Cambridge den jährlichen Stromverbrauch der Niederlande. Erschwerend kommt hinzu, dass nur ein ganz kleiner Teil dieses unfassbaren Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energien gespeist wird. Und schlimmer noch: aufgrund des unschlagbar billigen, aber ebenso schmutzigen Braunkohlestroms operiert der größte Teil der Bitcoin-Minen mit Braunkohlestrom aus der chinesischen Provinz Xinjiang, was das Schürfen so nicht nur zu einer irrsinnigen Verschwendung, sondern eben auch zu einer gigantischen Umweltsünde macht. Vermutlich produziert das Bitcoin-Netzwerk aktuell mehr als 37 Megatonne CO2 pro Jahr und damit mehr als viele mittelgroße Volkswirtschaften.

 

Droht ein Ende mit Schrecken?

Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für Bitcoin-Spekulanten zeichnen sich langfristig große Probleme ab. Denn die dezentrale Struktur erzeugt in Kombination mit der begrenzten Maximalanzahl der Bitcoins eine Achillesferse: Spätestens nämlich wenn der letzte Bitcoin geschürft sein wird, verschwindet die wichtigste Einnahmequelle der am Netzwerk beteiligten Rechner und es ist klar, dass das Bitcoin System diesen Schock nicht verkraften können wird. Denn der einzige Ausweg wäre eine weitere Explosion der Transaktionskosten. Diese befinden sich bereits seit längerem in einem steilen Aufwärtstrend: Kostete eine Transaktion Anfang 2020 unter einem Dollar so liegt der Preis aktuell bereits bei über 27 US$. In Kombination mit der systemseitigen Begrenzung auf maximal rund 600.000 Transaktionen pro Tag entsteht ein existenzbedrohendes Problem für den Bitcoin. Denn sobald der zukünftige erwartete Ertrag bzw. der zukünftige Nutzen des Bitcoin-Netzwerks seine enorme Energiekosten nicht mehr tragen kann, dann wird es zwangsläufig zusammenbrechen und bereits aufhören zu existieren lange bevor der letzte Bitcoin geschürft sein wird. Theoretisch mögliche Veränderungen des Code und damit der Struktur des Netzwerkes könnten dabei ironischerweise gerade an dessen dezentraler Struktur scheitern. Dieses massive Risiko wird von Bitcoin-Fans gerne ausgeblendet, ebenso wie die Tatsache, dass die Spekulanten in jedem Falle in der Zwischenzeit mit ihrem Investment sowohl die enormen Erträge der Minenbetreiber bezahlen, als auch deren ungeheure Energieverschwendung und Umweltverschmutzung unterstützen.

 

Der digitale Tulpenzwiebel

Angesichts der strukturellen Probleme des Bitcoins, der durch ihn verursachten Umweltschäden sowie seines limitierten, beziehungsweise illegalen Nutzens als Transaktionsmedium, taugt er trotz der intellektuellen Schönheit des Konzeptes allenfalls als reines Spekulationsobjekt. Der Bitcoim-Boom erscheint aus dieser Perspektive wie die verschwenderische digitale Wiedergeburt der niederländischen Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts. Doch neben den durch Gier und Panik ausgelösten Kursschwankungen sieht sich der Bitcoin-Spekulant zu allem Überfluss auch noch mit Betrugsrisiken konfrontiert. So hält sich momentan hartnäckig das Gerücht, der Preis des Bitcoin werde unter Zuhilfenahme der Cryptowährung Tether künstlich nach oben getrieben. Angesichts der enormen Konzentration des Bitcoin-Vermögens in sehr wenigen Händen erscheint das Risiko einer gezielten Manipulation durchaus als plausibel. Und völlig haltlos scheinen die Vorwürfe nicht zu sein, denn sonst würde sich nicht sowohl das US-Justizministerium, als auch die New Yorker Staatsanwaltschaft eingehend mit dem Thema beschäftigen. Sollten sich diese Befürchtungen bestätigen, dann droht dem vermeintlichen Siegeszug des Bitcoins möglicherweise ein ebenso spektakuläres wie jähes Ende und im Gegensatz zur Tulpe würde der Bitcoin seinen Besitzern dann auch keinen ästhetischen Trost mehr spenden können.

 

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Ferdinand Haas

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