Bond Vigilantes

Bond Vigilantes: Zombies oder Hüter der Marktdisziplin?

Gibt es sie wirklich: die sagenumwobenen Bond Vigilantes, die verschwenderische Regierungen einhegen? Die aktuell steigenden Renditen lassen manche Anleger hoffen, dass die Bond-Märkte die Peitsche zücken und die US-Regierung zur Haushaltsdisziplin zwingen werden. Rettet der Kapitalismus die Stabilität des Finanzsystems? Wir gehen dieser Frage nach.

Der Begriff „Bond Vigilante“ wurde in den 1980er Jahren von dem Wall-Street-Ökonomen Ed Yardeni geprägt, um Investoren zu beschreiben, die Staatsanleihen verkaufen, wenn sie die Fiskalpolitik als inflationär oder unverantwortlich betrachten. Diese Marktteilnehmer fungieren nach dieser Lesart als inoffizielle Regulatoren der Wirtschaft, indem sie ihre kollektive Macht nutzen, um die Fiskalpolitik der Regierung zu beeinflussen, indem sie die Kreditkosten in die Höhe treiben, wenn sie wirtschaftliches Missmanagement wahrnehmen. 

Bond Vigilantes operieren über einen einfachen Mechanismus: Wenn sie glauben, dass die Politik einer Regierung zu höherer Inflation oder unhaltbaren Schuldenniveaus führen wird, verkaufen sie Anleihen, was zu fallenden Preisen und steigenden Renditen führt. Dieser Anstieg der Renditen macht es für die Regierung teurer, Kredite aufzunehmen, was die politischen Entscheidungsträger möglicherweise dazu zwingt, ihren fiskalpolitischen Ansatz zu überdenken.

Das Konzept gewann während der Clinton-Administration in den 1990er Jahren an Bedeutung. Von Oktober 1993 bis November 1994 stiegen die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen von 5,2% auf knapp über 8,0%, was als „Großes Anleihemassaker“ bekannt wurde. Dieser Anstieg der Renditen wurde auf Bedenken hinsichtlich der Bundesausgaben zurückgeführt und zwang die Clinton-Administration dazu, der Defizitreduzierung Priorität einzuräumen.

„Früher dachte ich, die perfekte Reinkarnation wäre, als Präsident oder Papst wiedergeboren zu werden. Oder als Star-Baseball-Hitter. Aber heute würde ich als der Anleihenmarkt wiedergeboren werden: Man kann jeden einschüchtern.“

Dieses Bonmot des Politikberaters aus der Clinton Ära, James Carville, hat einen wahren Kern. Befällt eine Krise den Anleihenmarkt, dann verblassen auch die größten Aktienverluste. Bond-Crash haben oftmals eine systemische Komponente. Der Kern der großen Finanzkrise war eine Schuldenkrise, auch wenn uns immense Aktienverluste nachhaltiger im Gedächtnis geblieben sind. Und als im März 2020, inmitten des Corona-Crashs, der US-Treasury-Markt stockte und Liquiditätsprobleme auftraten, war dies ein viel größeres Alarmzeichen für Profi-Anleger als die Kursverluste bei DAX, S&P 500 und Co. 

Eine kleine Geschichte der Bond Vigilantes

Renten-Anleger haben im Laufe der Geschichte eine bedeutende Rolle bei der Disziplinierung staatlicher Kreditnehmer gespielt, insbesondere in wichtigen wirtschaftlichen Momenten. Während der Clinton-Administration in den 1990er Jahren zwang der oben erwähnte starke Anstieg der Renditen die Regierung, Defizitbedenken anzugehen und zusammen mit dem damals republikanisch-dominierten Repräsentantenhaus eine Haushaltskonsolidierung anzugehen. Das führte bis zum Ende des Jahrzehnts zu Haushaltsüberschüssen, die seitdem im 21. Jahrhundert nie wieder gehen wurden. 

Während der Eurozonen-Krise von 2009 bis 2012 wurden Anleihen-Investoren beschuldigt, die Kreditkosten der Regierungen in den peripheren europäischen Ländern in die Höhe getrieben zu haben. Die EZB arbeitete massiv gegen steigende Renditen an, die erst im Sommer 2012 durch Mario Draghis „Whatever it takes“-Statement eingedämmt wurden.

Bond Vigilantes wurden schließlich im Herbst 2022 in Großbritannien gesichtet. Ungedeckte Steuererleichterungen in einem „Mini Budget“ trieben den Gilt-Markt an den Abgrund. Die Renditen schossen so stark nach oben, dass zunächst der Finanzminister und dann Premierministerin Liz Truss gehen musste. 

Bond Vigilantes kontra Trump?

Aktuell sehen manche Beobachter Bond Vigilantes in den USA am Werk. Zuletzt sind die Renditen der zehnjährigen Treasuries auf 4,8 Prozent gestiegen, der höchste Stand seit Anfang 2024.

Die Politik der Trump-Administration könnte die Lage am Rentenmarkt verschärfen, etwa wenn der Markt den Eindruck gewinnt, dass Trump sich anschickt, die Unabhängigkeit der Federal Reserve zu beschneiden, wie er es mehrfach angedeutet hat. Dann könnten Anleger höhere Risikoprämien fordern. Ein „Liz Truss“-Playbook könnte drohen, sollte Trump Steuersenkungen vornehmen, ohne zugleich die Staatsausgaben zu kürzen.

Eine Politik der Massenabschiebung von undokumentierten Einwanderern könnte zu einer Verknappung des Arbeitsmarktes führen, was den Lohndruck erhöhen und inflationär wirken würde. Auch das könnte Bond-Anleger auf den Plan rufen. Droht der neuen Regierung Trump ein ähnliches „Bond-Massaker“ wie in den 1990-er Jahre? 

Oder ist es nur die Mechanik der Bond-Märkte?

An dieser Stelle lohnt es sich, Kritiker wie Paul Krugman und Adam Tooze ins Spiel zu bringen. Sie argumentieren, dass es wenig Beweise für die Existenz von Bond Vigilantes gibt. Sie geben zu bedenken, dass Marktbewegungen oft fälschlicherweise als koordinierte Aktionen von „Marktpolizisten“ interpretiert werden, anstatt als rationale Reaktionen auf sich ändernde politische Signale zu deuten. Die Story, wonach lupenreine fiskalpolitische Falken verschwenderische Politiker in die Schranken weisen, ist verlockend, belegbar ist sie nicht, auch wenn sich vermeintliche Bond Vigilantes in Blogs der Welt zur Kenntnis bringen.

So deutet der Anstieg der Renditen in den USA darauf, dass viele Anleger ihre Inflations- und Wachstumserwartungen rekalibrieren. Kaum ein Investor erwartet für die USA eine Rückkehr zum deflationären Umfeld der Zehnerjahre. 

Die steigenden Renditen in Europa sind dagegen erklärungsbedürftig. Auf dem Alten Kontinent erscheint eine Rückkehr zur Deflation nicht abwegig, und die EZB hat bereits durchblicken lassen, dass es mit den Zinsen in diesem Jahr zügig nach unten gehen wird. Marktbeobachter machten jüngst für den Renditeanstieg daher eher technische Faktoren verantwortlich – eine erhöhte Emissionstätigkeit, die starke Sogwirkung des US-Markets oder auch vereinzelte Hedgefonds-Short-Trades gegen britische Anleihen. Auch der europäische Rentenmarkt muss sich aktuell finden, zumal die EZB ihr QE-Programm zurückgefahren hat. Wenn die Notenbanken die Märkte nicht länger manipulieren, sind real existierende Renditen Teil des „New Normal“ – und kein Beleg für die Rückkehr der Hüter der Fiskaldisziplin. 

Autor

  • Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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