China Aktien: Should I stay or should I go?

Mit China Aktien verhält es sich für Investoren derzeit wie mit einer noch jungen Liebe: Die Faszination ist groß, die Fallhöhe aber auch. Aktuell setzt die chinesische Führung seine Tech-Champions massiv unter Druck, und das hat Folgen für die Aktienkurse. Weil Informationen die beste Grundlage für informierte Entscheidungen sind, führen wir drei Gründe für und drei gegen ein Investment im Reich der Mitte auf.

Es ist beileibe nicht so, dass für Anleger in China Tech-Unternehmen alles eitel Sonnenschein wäre. Bereits im November 2020, als die chinesische Führung den Börsengang von Ant Financial untersagte, dämmerte es Anlegern, dass die chinesischen Behörden ihre Tech-Champions härter an die Regulierungs-Kandare nehmen würden.

Ant Financial: Der Anfang des China-Schreck

Die harte Linie wurde mit dem Schlag gegen Didi Global wenige Tage nach dem Börsen-Listing in den USA Anfang Juli bestätigt. Seitdem darf die App des Ride-Hailing Unternehmens nicht mehr heruntergeladen werden, was einem Vertriebsstopp für Didi gleichkommt.

Seinerzeit haben auch wir gemutmaßt, dass die chinesische Führung vor allem der Kapitalbeschaffung chinesischer Unternehmen in den USA einen Riegel vorschieben will. Denn die USA haben ein Gesetz erlassen, dass die in den USA gelisteten Firmen auf ein Maximum an Transparenz verpflichtet.

Doch die Regulierungsschraube dreht sich auch aus anderen Gründen weiter. Beijing will die Kontrolle über die Daten haben, die chinesische Privatunternehmen von ihren Kunden erheben. Erst heute hat das chinesische Parlament ein Gesetz durchgewunken, dass den Technologie-Plattformen diesbezüglich Fesseln auflegt. Wie eng diese geschnürt sein werden ist offen. Es kann sein, dass das heute verabschiedete Gesetz nicht viel mehr als elementare Datenschutzbestimmungen enthält, wie wir sie von der europäischen Datenschutzrichtlinie (DSGVO) seit 2018 kennen.

Wie weit geht die chinesische Führung bei der Regulierung ihrer Tech-Champions?

Es kann aber auch sein, dass die chinesischen Behörden die Datenverarbeitungsmöglichkeiten so beschneiden wird, dass es ganze Geschäftsmodelle in Gefahr bringt. Und wie es so üblich ist, reagieren die Märkte bei Unsicherheit panisch. In dieser Woche haben viele chinesische Tech-Konzerne hohe Verluste an der Börse hinnehmen müssen. In den vergangenen Wochen haben chinesische Unternehmen nach den Daten von Bloomberg eine Billion Dollar an Marktwert eingebüßt. Derzeit notieren die Aktien von Alibaba (Hongkong) auf einem Allzeittief, und seit Herbst 2020 hat sich der Kurs nahezu halbiert.

Geschürt wurde die Nervosität auch von der offenkundigen Ratlosigkeit der chinesischen Technologie-Unternehmen selbst. In einer viel beachteten Warnung gab Tencent zu verstehen, dass das Ende der Fahnenstange bei der Regulierung noch nicht erreicht sei.

Weil wir nicht das Ohr an der Tür zum Politbüro der KPC haben, können wir nicht die Tragweite der Korrektur einschätzen. Was wir dagegen können, ist es, Informationen zu sammeln, ein wenig zu sortieren und gegebenenfalls zu filtern. Für Anleger, die sich ihre Meinung über China bilden wollen, führen wir drei Argumente für den Kauf (bzw. das Halten) von China Tech-Aktien und drei Argumente dagegen auf. Faites vos jeux!

Pro China

1. China ist ein Entwicklungsland, und Investments mit Emerging Markets sind immer mit entsprechenden Risiken verbunden. Dazu zählen staatliche Willkür (Putin versus Chodorkowski bzw. die Enteignung von Yukos-Aktionären), politisch-Instabilitäten (Libanon 2020, Ukraine 2014) und Währungskrisen (gefühlt schon immer: Argentinien und die Türkei). Dass der chinesische Staat also – aus welchen Gründen auch immer – gegen die Privatwirtschaft vorgeht, sollte also Routiniers nicht überraschen. Übrigens haben westliche Kapitalgeber einen wichtigen Hebel in der Hand: Sie können mit der Drohung von Kapitalentzug die Führungen in den Schwellenländern durchaus dazu bewegen, ihre Interessen zu berücksichtigen.

2. Eine stärkere Regulierung des Finanzmarkts und eine stärkere Durchsetzung des Datenschutzes kann eine Abkehr von dem Wild-West-Wachstum der Vergangenheit sein. Das könnte zu klaren Rahmenbedingungen für Investoren führen, und Investoren lieben die Stabilität, die von reifen Märkten ausgeht. Auch in Europa flucht so mancher unter der mitunter ärgerlichen Bürokratisierung des täglichen Lebens. Aber im Ernst: Sind wir nicht froh darüber, dass es Institutionen und Gesetze gibt, die über die Einhaltung des Datenschutzes sicherstellen? Auch nach der EU Datenschutzrichtlinie DSGVO (GDPR) drohen Unternehmen sehr hohe Strafen, wenn sie gegen den Datenschutz verstoßen. Demnach wäre der Ausverkauf in China übertrieben und China Tech-Aktien ein Kauf wert.

3. Der chinesische Aktienmarkt ist einer der wenigen Märkte, der wegen der harten Hand der chinesischen Führung zum Vorteil der Anleger eine bemerkenswerte Stabilität gezeigt hat. Das beste Beispiel ist die schnelle Kontrolle der Corona-Pandemie 2020, die den Aktienmärkten in China in den vergangenen 18 Monaten eine exzellente Performance ermöglichte.

Kontra China

1. China ist eine Diktatur, welche nicht nur die Menschenrechte mit Füßen tritt, sondern auch fundamentale Grundsätze der guten Unternehmensführung durch politische Willkür untergräbt, wenn es der Führung opportun erscheint. Das ist im Grunde nur eine andere Umschreibung des oben erwähnten Schwellenländer-typischen Risikos. Wer diesem Punkt zustimmt, hat in den meisten Emerging Markets nichts verloren und sollte auch bei China-Aktien hinschmeißen. Denn es wird in den nächsten Wochen und Monaten vermutlich nicht besser.

2. Die KPC hat den Anspruch, jeden Bereich des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zu kontrollieren, der für die politische Stabilität Chinas wichtig ist. Wir haben in einem anderen Beitrag bereits das Verschwimmen der Grenzen zwischen staatlichen (POE) und privaten (POE) Unternehmen beschrieben. Ziel ist es, China, auch im Wettstreit mit den westlichen Demokratien, voranzubringen. Das bedeutet, dass sich Unternehmen (und damit auch ihre Anleger) dem Primat der Führung in Beijing unterwerfen, wenn sie in China anlegen. Wer nicht der nützliche Idiot der KPC sein will, hält sich folgerichtig von China Aktien fern.

3. Investoren aus dem Westen sollten sich bewusst sein, dass sie weiter unten auf der Prioritätenskala Beijings stehen, als sie möglicherweise vermuten. Haben ausländische Investoren in vielen Märkten einen wichtigen Hebel infolge der Drohung des Kapitalentzugs, könnten sie sich an dem chinesischen Giganten die Zähne ausbeißen. Es geht nicht nur darum, dass die Rechte von Minderheitsaktionären missachtet werden (Auch US-Tech-Werte emittieren standardmäßig Aktiengattungen mit verschiedenen Stimmrechtsgewichten). Vielmehr ist der rechtliche Status von Anlegern, die in Festlands-Unternehmen investieren, nicht final geklärt.

Das betrifft nicht nur Listings in den USA, sondern auch die in Hongkong. Westliche Anleger können nur über sogenannte VIE (Variable Interest Entity) Vehikel in Festlandsunternehmen anlegen. Um ausländisches Kapital einzusammeln, haben viele chinesische Unternehmen den Weg über Niedrigsteuerjurisdiktionen eingeschlagen. In den Virgin oder Cayman Islands werden Firmenhüllen gegründet, denen dann die Assets und Gewinne der chinesischen Firmen übertragen werden. Diese Holdings werden dann an den ausländischen Börsen (etwa als ADRs) gelistet. Ob diese Struktur bei Rechtsstreitigkeiten trägt, sprich: ob ausländische Aktionäre ihre Rechte durchsetzen können, ist derzeit eine offene Frage.

 

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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