Ein Interview mit Christian Funke, Gründer-Geschäftsführer des Fondsanbieters Source for Alpha, über die Tücken des Value-Investing. Der Manager des USA-Aktienfonds S4A US Long kauft sogar gezielt langfristige Loser am Markt. Wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Nur die wenigsten Value-Investoren sprechen die Wahrheit gerne aus: günstig bewertete Aktien sind oft hochverschuldet, haben schwache Bilanzen und sind dem Auf und Ab der Konjunktur ausgeliefert. Christian Funke fällt hier aus dem Rahmen. Der Fondsmanager des USA-Aktienfonds S4A US Long kauft sogar gezielt so richtig schlechte Unternehmen. Aber nur, wenn die Zeit reif ist. Ein Interview über seine Strategie und warum seiner Meinung nach viele Value-Fondsmanager falsche Prioritäten setzen.
Herr Funke, wenn Sie den S4A US Long in einem Dreieck einordnen müssten zwischen dem S&P 500 Index, dem Nasdaq 100 und einem puristischen, Deep-Value-Portfolio, wo würde er hintendieren?
Irgendwo zwischen dem S&P 500 und Deep Value. Wir investieren in die günstigen Standardwerte im S&P 500 und sind dadurch weit weg vom Nasdaq 100. Insofern sind wir klar Value. Aber wir investieren nicht in alles, was nur billig ist. Über die Zeit ist der S4A US Long ein gemäßigtes Value-Portfolio. Der Ansatz hat seit Auflage des Fonds vor 12 Jahren deshalb so gut funktioniert, weil wir eine sehr dynamische, über die Zeit schwankende Interpretation von Value vornehmen.
Das klingt nach dem klassischen Wohlfühl-Value-Ansatz Garp – Growth at a reasonable Price. Und was „vernünftig“ ist, liegt im Auge des Betrachters. Können Sie Ihre Value-Interpretation etwas präzisieren?
Es ist kein Garp-Ansatz, weil wir nur in Value investieren. Aber die meisten Value-Manager verbringen viel Zeit damit, die optimalen Value-Kennzahlen und deren Gewichtung zu ermitteln, um dann in die günstigsten Unternehmen am Markt zu investieren. Das machen wir anders. Uns geht es nicht um die perfekte Value-Formel, sondern darum, die Gruppe der günstigsten Unternehmen in unserem Universum, also im S&P 500, zu isolieren. Die günstigsten Value-Unternehmen sind die riskantesten. Deep Value Aktien sind in der Regel sehr volatil, sie haben ein negatives Kursmomentum, es sind über die Zeit die Loser am Markt. Das sind Aktien, die ich im Normalfall nicht haben möchte – das zeigt die empirische Kapitalmarktforschung ganz klar.
Also Sie meiden die Harakiri-Value-Aktien, weil die über die Zeit underperformen, auch gegenüber anderen Value-Aktien …
Wir meiden sie in normalen Marktphasen, weil dann die Risikoprämien dieser langfristig hochriskanten Loser meistens niedrig sind. Aber unsere Positionierung variiert über die Zeit. Wenn die Märkte stark fallen, neigen Anleger dazu, aus genau diesen riskanten Aktien zu flüchten. Deren Volatilität explodiert regelrecht, und die Bewertungsschere zwischen qualitativ guten Unternehmen und den schlechten geht dann typischerweise sehr weit auseinander. Wenn die Risikoprämien stark steigen, ist der sogenannte Price of Risk attraktiv, und dann ergreifen wir die Opportunität und investieren in dieses extrem günstige Marktsegment, obwohl diese Werte im langfristigen historischen Durchschnitt eine Underperformance aufweisen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Als die Corona-Krise im März 2020 losbrach, haben Anleger alles verkauft, was zyklisch ist und sind in defensive Qualitätstitel geflüchtet. Die Liquiditäts- und Risikoprämien im, wie Sie ihn nennen, Harakiri Value-Bereich, sind regelrecht explodiert, und dieses Segment im S&P 500 wurde extrem günstig, und da haben wir investiert. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wir haben umgeschichtet vom Ölgiganten Exxon Mobil zum hochriskanten Explorationsunternehmen Diamondback Energy.
Ich kann mich erinnern, dass in den Medien die Totenglocken für Airlines, Kasino-Unternehmen, kleinere Banken und Cruise-Liner geläutet wurden …
Und genau das waren die Aktien, die wir im März 2020 gekauft haben, etwa Boeing, MGM, United Rentals oder SVB Financial. Wir haben natürlich darauf geachtet, über verschiedene Branchen zu diversifizieren, aber ja: wir haben antizyklisch in die Aktien investiert, die im Crash 2020 die Verlierer im S&P 500 waren.
Und wann verkaufen Sie? Die langfristigen Verlierer haben gerade in konjunkturellen Erholungsphasen ein gigantisches Momentum, das man versucht sein könnte auszureizen, so lange es geht.
Auch das machen wir streng systematisch. In einer Erholungsphase werden die Bewertungsunterschiede zwischen den hochriskanten Value-Aktien und den weniger riskanten Marktsegmenten niedriger. Entsprechend reduzieren wir nach und nach das Risiko im Portfolio. Um im Corona-Beispiel zu bleiben: Bis zur Normalisierung des Portfolios hat es 18 Monate gedauert, wir haben erst im November 2021 die letzten riskanten Aktien abgebaut, als die US-Notenbank das Ende von QE angekündigt hat. Wir haben aber auch schon vorher im März 2021 beispielsweise Capri Holdings komplett verkauft, nachdem sich die Aktie seit Kauf mehr als verfünffacht hatte. Man muss immer im Blick behalten, dass, auch nach hohen Kursgewinnen, ein Hochrisikotitel ein Hochrisikotitel bleibt.
Die Normalisierung des Portfolios lässt sich vermutlich anhand der aktuellen Top-Holdings ablesen: Alphabet, Berkshire Hathaway, Procter&Gamble, alles Aktien mit KGVs von gut 20…
Richtig, seit November 2021 sind wir aus dem Extremmodus raus. Das sieht man auch an den Risiko- und Bewertungskennzahlen. Das Portfolio-Risiko war zwischen März 2020 und November 2021 überdurchschnittlich hoch, und die Bewertungen deutlich unter unserem langjährigen Durchschnitt.
Wann underperformen Sie? 2018 und 2015 war der S4A US Long recht deutlich hinter dem Index und den durchschnittlichen USA-Value-Fonds.
Wir erkennen, wann riskante Value-Aktien günstig werden, aber wir können natürlich nicht wissen, ob sie noch günstiger werden. Will sagen: Es kann gut sein, dass wir zu früh einsteigen und wir dann noch einen Teil des Abschwungs mitnehmen. Das war 2015 der Fall. 2018 war anders: Da fand die starke Korrektur im letzten Teil des vierten Quartals statt. Das hat das Jahr verhagelt. Die Erholung kam aber sehr prompt Anfang 2019, und entsprechend war unsere Outperformance in dem Jahr besonders ausgeprägt.
Korrekturen können sehr lange dauern. Auch wenn wir das inzwischen vergessen haben, haben auch US-Aktien zwischen 2000 und 2002 eine lange Durststrecke gehabt. Gesetzt den Fall, Sie steigen zu früh ein und die Märkte fallen und fallen und fallen. Was machen Sie dann?
Bei längeren Krisen wie beispielsweise auch in der Finanzkrise 2008/2009 müssen wir da durch. Wer in unseren Fonds investiert, muss manchmal auch Schmerzen ertragen. Aber unser Investmentprozess ist so transparent, dass unsere Anleger wissen, was sie in bestimmten Marktphasen erwartet. Die Rebounds kamen in den vergangenen zehn Jahren immer ziemlich zügig. Man muss sich als Anleger aber darauf einstellen, dass dies nicht immer so verläuft, sondern ein Jahrhundert-Crash auch einmal mehrere Monate andauern kann. Eine gute Nachricht dabei: Historisch gesehen war es bei den länger andauernden Krisenphasen nicht so, dass die hochriskanten, sehr illiquiden Titel mit zunehmender Krisendauer immer weiter underperformt haben. Vielmehr hat sich ihre Performance im Laufe der Krise immer mehr der Entwicklung des Gesamtmarktes angenähert, da der Aufbau der Risikoprämien ja schon stattgefunden hat.
Aber was machen Sie, wenn der Markt weiter fällt und fällt und manche Aktien noch günstiger werden, als zu dem Zeitpunkt, an dem Sie Deep-Value gekauft haben – wechseln Sie dann erneut die Pferde?
Nein. In einer Krisenphase verkaufen wir stetig mit fortlaufender Krisendauer die risikoärmere Hälfte des Portfolios und kaufen dafür die „Krisenverlierer“ aus den höheren Risikokategorien. Sobald die risikoärmeren Titel umgeschichtet wurden, ist unser Portfolio maximal mit Risikoprämien „aufgeladen“ und es finden keine weiteren Umschichtungen statt. Das würde lediglich die Risikoausrichtung von „sehr hoch“ zu „extrem“ schieben.
Sie haben den Vorteil der Transparenz Ihres systematischen Investmentmodells hervorgehoben. Ist diese Transparenz nicht auch gefährlich? Sie wissen genau, was in einer bestimmten Marktphase schiefgelaufen ist. Ist da die Versuchung nicht groß, das quantitative Modell so zu optimieren, dass das nicht nochmal passiert? So manche Quant-Fonds werden im laufenden Betrieb auf die vergangene Krise optimiert, aber bei der nächsten Krise kommt es bekanntlich anders und als man denkt.
Ja, das ist theoretisch eine Gefahr – zu versuchen, bei der nächsten Marktkrise das Timing besser zu machen. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren, von denen wir 12 Jahre „live“ Geld managen, versucht, unseren Ansatz möglichst konstant zu halten. Ich habe keinen Weg gefunden, wie wir das Krisen-Timing optimieren könnten. Die Kennzahlen zeigen an, wann eine Krise eintritt und wann der Turnaround kommt. Ob sich eine Krise vertiefen wird, können wir nicht wissen. Wir haben in der Hinsicht keine gemeinsamen oder unterschiedlichen Muster vergangener Krisen gefunden, die uns für die nächste Krise etwas signalisieren könnten. Wir werden im Zweifel also auch bei der nächsten Krise zu schnell in das Risikoportfolio einsteigen. Vergangene Events hinterher zu optimieren, indem man nach dem Wendepunkt in den Kurscharts der Vergangenheit sucht, ergibt keinen Sinn.
Das Interview führte Ali Masarwah