In unserer lockeren Serie über Emerging Markets Investments kommen wir heute zu einer scheinbar abseitigen Frage: Wie viel Emerging Markets steckt im DAX? Gerade deutsche Firmen gelten als Globalisierungsweltmeister. Sie sind auch von Schwellenländern abhängig. Doch was bedeutet das für Anleger? Und was ist mit den Unternehmen aus Amerika, Europa und Japan? Eine alternative Sicht auf Emerging Markets Investments.
Im ersten Teil unserer Serie zu Emerging Markets Investments haben wir die Rolle Chinas in typischen Emerging Markets Portfolios analysiert und Alternativen gezeigt. Heute wollen wir der naheliegenden Frage nachgehen: Wie viel Emerging Markets steckt eigentlich im DAX und anderen Marktindizes, die für Anleger hierzulande relevant sind? Sei es, weil sie wichtige Benchmarks sind, oder aber die Grundlage entsprechender ETFs. Fangen wir mit dem DAX an. Er gilt als Spiegel der deutschen Wirtschaft, ist aber de facto am ehesten ein Spiegel der deutschen Exportwirtschaft.
Keine DAX-Boni ohne Emerging Markets
Deutschland war bekanntermaßen lange Zeit der globale „Exportweltmeister“, und das lässt sich an den Umsatzquellen der DAX-Konzerne ablesen – und auch an den Boni der Mitarbeiter. „Ein Großteil eures Bonus wird in China erwirtschaftet“, brachte es der ehemalige VW-Chef Herbert Diess in einem Gespräch mit Führungskräften auf den Punkt. Laut aktuellem Geschäftsbericht erwirtschaftete VW 2022 nur 55 Prozent seines Umsatzes in Europa. Im Jahr 2021 soll VW laut Schätzungen 68 Prozent seines Nettogewinnes in China erwirtschaftet haben, bei BMW und Mercedes-Benz sollen es zwischen 53 und 51 Prozent sein.
Was für die deutschen Autobauer gilt bzw. galt – VW und Co. werden gerade mächtig von BYD und anderen China-EV-Herstellern in die Zange genommen – ist nicht ganz so ausgeprägt beim DAX. Nimmt man die – kapitalgewichteten Umsatzquellen der deutschen Indizes DAX, MDAX und SDAX, dann macht China zwar einen großen, aber mitnichten dominierenden Anteil am Umsatz aus. Im deutschen Leitindex DAX sind es zehn Prozent der Umsätze, beim MDAX 7,5 Prozent und beim SDAX 6,5 Prozent. Ein Blick auf die untere Tabelle relativiert den Mythos vom China-dominierten DAX etwas: Die im NASDAQ 100 vertretenen Firmen erwirtschaften 13,5 Prozent ihres Umsatzes in China, die Firmen, die den Index MSCI Japan bilden, kommen auf 10,5 Prozent. Die Firmen im zweiten US-Leitindex in der Tabelle, dem S&P 500, erwirtschaften 9,5 Prozent ihres Umsatzes in China.
Umsatzanteil in Prozent, Daten per 31.5.2023, Quelle: Geschäftsberichte der Unternehmen und Morningstar
Weiten wir nun den Blick und schauen auf die Umsatzquellen der deutschen, amerikanischen, europäischen und japanischen Unternehmen weltweit. Wie wichtig sind Schwellenländer für die in den Leitindizes vertretenen Unternehmen? Die untere Tabelle ist sortiert nach den Umsatzquellen des DAX, absteigend von links nach rechts. Wenig überraschend ist, dass die Eurozone mit einem Anteil von 30 Prozent die wichtigste Umsatzquelle für die Unternehmen im DAX ist. Doch bereits auf Platz zwei folgen Schwellenländer mit 29 Prozent. Das bedeutet, dass fast jeder dritte Euro der DAX-Konzerne in Schwellenländern erwirtschaftet wird. Zum Vergleich: Nur 17 Prozent des DAX-Umsatzes entfällt auf Deutschland. Neben China sind die wichtigsten Emerging Markets für die DAX-Konzerne Indien, Brasilien und Mexiko. Vor dem Ukraine-Krieg war Russland mit zuletzt 2,2 Prozent der DAX-Umsätze ein wichtiger Markt.
*Enthält Südkorea und Taiwan, Umsatzanteil in Prozent, Daten per 31.5.2023, Quelle: Geschäftsberichte der Unternehmen und Morningstar
Emerging Markets haben auch für mittelgroße und kleine Unternehmen, die im MDAX und SDAX vertreten sind, eine wichtige Bedeutung., auch wenn der Umsatzanteil mit sinkendem Börsenwert abnimmt. Spiegelbildlich dazu nimmt die Bedeutung des deutschen bzw. europäischen Markt bei Nebenwerten zu, je weiter man die Marktkapitalisierungsleiter absteigt.
Doch auch andere entwickelte Märkte, die Kernbestandteile der Portfolios von Anlegern in Deutschland sind, hängen am Geschäft mit Schwellenländern. Die Firmen im Eurozonen-Index MSCI EMU, der zu 85 Prozent aus Standardwerten und zu 15 Prozent aus Nebenwerten besteht, erwirtschaften 31 Prozent ihrer Umsätze in den Emerging Markets. Die NASDAQ 100 Firmen sind ähnlich stark wie der DAX in Emerging Markets vertreten. Nebenwerte in den USA, die im Index Russell 2000 vertreten sind, erwirtschaften dagegen nur elf Prozent ihrer Umsätze in Schwellenländern; im S&P 500 sind es 22 Prozent.
Der DAX – Emerging Markets zwergen Deutschland
Anleger, die noch überlegen, ob sie Emerging Markets in den Aktienanteil ihres Portfolios integrieren sollten, können sich die Mühe sparen: sie sind schon längst dabei. Egal, ob sie in deutsche, britische, amerikanische oder japanische Aktien investieren: die Emerging Markets sind dabei. Puristen, die darauf verweisen, dass man nur mit Unternehmen aus den Emerging Markets ein „reines“ Exposure zu den dortigen Märkten bekommt, setzen in Wahrheit auf Schlammblüter. Sie machen einen gedanklichen Fehler. Auch Unternehmen aus den Schwellenländern sind im hohen Maße globalisiert und machen gute Geschäfte mit den Industrieländern. Rund 20 Prozent der Umsätze der Unternehmen im MSCI Emerging Markets speisen sich aus dem Geschäft mit den USA und Europa.
Ein Manko des heute üblichen Zuschnitts von Märkten ist, dass er sich am Ort des Börsenlistings orientiert und nicht daran, wo die Umsätze der Firmen erzielt werden. Diese Zuordnung setzt sich auf der Ebene von ETFs, Fonds und Wertpapierportfolios im Allgemeinen fort. Das ist nicht per se falsch: Schließlich sorgt die Gesetzgebung innerhalb einer Jurisdiktion dafür, dass die Firmen, die an diesem Ort kotiert sind, für eine gewisse Vereinheitlichung – sei es durch die Steuersysteme, Anlegerschutzbestimmungen, Umweltstandards oder Corporate-Governance-Regeln. Weil es in den Emerging Markets mit der Rechtssicherheit und Corporate Governance oft nicht zum Besten bestellt ist, hat ein Emerging Markets Investment über Bande gute Argumente für sich.
Die Globalisierung hat auch unsere Portfolios längst globalisiert. „Heimatnah“ zu investieren ist also oftmals schwer möglich. Allenfalls durch ein Investment in Nebenwerte lässt sich das Risiko der Globalisierung reduzieren – aber damit spiegelbildlich auch deren Chancen.