Auf Krieg folgt Crash: Kaufen? Halten? Verkaufen?

Die russischen Streitkräfte sind am Donnerstag auf breiter Front in die Ukraine eingerückt. Auf den Krieg folgt der Aktien Crash. Was können Anleger in dieser Situation tun? Auch wenn jetzt unzählige Szenarien aufgemacht werden, läuft es doch auf drei Fragen hinaus: Kaufen? Halten? Verkaufen? Einige Hinweise für Investoren, die gerade – vollkommen zu Recht – verunsichert sind.

Der russische Angriffskrieg ist voll im Gange – und es geht nicht mehr nur um zwei Provinzen in der östlichen Ukraine. Der Vorstoß der russischen Armee ist allem Anschein nach umfassend und zielt auf die Kontrolle der gesamten Ukraine ab. Es ist der erste Krieg in Europa seit dem Zerfall Jugoslawiens ab 1991 und der größte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die Aktienmärkte haben seit zehn Tagen angefangen, das Kriegsrisiko als wahrscheinlichstes Szenario einzupreisen. Der DAX ist seit dem 10. Februar von rund 15.500 Punkte kontinuierlich auf 13.900 Punkte (Stand: Donnerstag, 12 Uhr) gefallen. Allein am Donnerstag verlor der DAX in den ersten Handelsstunden über fünf Prozent. Die Börsen in Asien beendeten den Tag ebenfalls tief im Minus. Anders sieht es bei den sicheren Häfen aus. Bunds legen zu, der Preis der Ölsorte Brent lag am Donnerstagmorgen erstmals seit 2014 bei mehr als 100 US-Dollar. Auch die Krisenwährung Gold machte einen Sprung um gut zwei Prozent. (Bitcoin und Ethereum verlieren am Morgen zwischen acht und 12,5 Prozent und zeigen damit wenig Steherqualitäten als Krisen-Währungen).

Sind die heutigen Verluste erst der Auftakt für einen Crash am Aktienmarkt?

Es ist natürlich bitter, wenn binnen Wochenfrist der Wert des eigenen Aktiendepots um zehn Prozent oder mehr einbricht. Es ist keine Prophetie, dass es sich so in dieser Woche hundertausendfach abspielen wird. Und das ist nicht alles: Anleger treibt die Angst vor einer weiteren Eskalation der Russland-Krise um. Hat nicht der russische Präsident bereits kaum verklausuliert mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, sollte sich ihm jemand in den Weg stellen?

In volatilen Börsenzeiten stehen Anleger immer wieder vor der Frage, ob, bzw. wie sie auf krisenhafte Ereignisse reagieren sollten. Eine typische Anlegerregel lautet, dass man an Tagen wie heute nicht auf das Portfolio schauen sollte. Auch wenn das prinzipiell ein guter Ratschlag ist, so wissen wir alle, dass man dies realistischerweise nicht erwarten kann. Zumal die Krise nicht morgen zu Ende sein wird und es bisher viele versäumt haben, nach der langen Hausse-Phase auf ihre Portfolios zu schauen. Was also tun? Getreu dem Motto, dass man eine Sache zunächst auf ihren Kern reduzieren sollte, bieten sich für Aktienanleger drei Optionen an: kaufen, halten oder verkaufen.

Die vergangenen zwei Finanzkrisen mahnen zur Vorsicht

Auch die ganz breit aufgestellten Aktienportfolios werden in diesen Tagen sehr, sehr rot aussehen. Lagen die typischen Aktienindizes in diesem Jahr bisher mit rund 15 Prozent im Minus, so könnten sich die Verluste in den nächsten Tagen deutlich ausweiten. Geschwindigkeit und Umfang der Verluste werden von der Tagesaktualität bestimmt. Und da Marktteilnehmer zum Schwarzmalen tendieren, werden viele Investoren zunächst Aktien in großem Stil auf den Markt werfen. Sind das Kaufkurse? Gerade jüngere Investoren sind bisher mit Buy the Dip-Strategien gut gefahren. Weiter so?

Bevor Sie jetzt auf den Kaufknopf drücken, sollten Sie sich fragen, wie weit es mit den Verlusten gehen kann. Eine Indikation geben die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, in denen wir zwei große Finanzkrisen erlebt haben. Verluste von zwischen 50 und 60 Prozent und mehr kamen 2000 bis 2003 bzw. 2007 bis 2009 zusammen. Derartige Verluste auszugleichen, dauert Jahre. Während der Finanzkrise erreichte der MSCI World sein letztes Hoch Ende November 2007. Das Kurstal war im März 2009 erreicht. Sein Vorkrisen-Niveau erreichte der MSCI World erst wieder im Juli 2013, also knapp sechs Jahre später. Noch schlimmer sah es beim NASDAQ 100 aus. Er konnte den Stand vom April 2000 erst wieder im August 2014 erreichen. Das sind mehr als 14 Jahre!

Die letzte geopolitische Krise ereignete sich am Persischen Golf

Nun werden Kritiker derartige Rückblicke als Schwarzmalerei bezeichnen und anmerken, dass wir es heute mit einer politisch-militärischen Krise zu tun haben. Und haben nicht politische Börsen kurze Beine? Da könnte etwas dran sein. Blicken wir auf die letzte geopolitische Krise zurück, bei der eine ernsthafte Destabilisierung der internationalen politischen und wirtschaftlichen Ordnung drohte: den Kuwait-Krieg. Das Beispiel ist deshalb nicht weit hergeholt, weil es auch damals um Energiesicherheit ging.

Als die irakische Armee Kuwait Anfang August 1990 besetzte, gingen die Märkte auf Tauchstation. Bis Anfang Oktober verloren die Aktienmärkte maximal 32 Prozent wie im Falle des (stark erdölhungrigen) Japan. Der DAX büßte in den Wochen nach der Invasion knapp 30 Prozent ein, der MSCI World sackte um gut 22 Prozent ab. Der S&P 500 verlor indes nur etwas über elf Prozent, der FTSE 100 begrenzte die Verluste sogar auf deutlich unter zehn Prozent. Die meisten Märkte hatten bereits im Oktober 1993 wieder die Verluste egalisiert, also nach gut drei Jahren. (Alle Rendite-Angaben in der jeweiligen Landeswährung)

Welche Parallelen drängen sich uns auf? Weil es sich hier nur um die allergröbsten Heuristiken handelt, sind vergangene Krisen mit Vorsicht zu genießen. Putins Russland ist ein ganz anderes Kaliber als Saddam Husseins Irak. Insofern ist nicht mit einer schnellen Lösung des Konflikts zu rechnen. Und der Ausgang ist zudem höchst ungewiss. Gegen die Blaupause Golfkrieg spricht auch, dass die globale geopolitische Lage 1990 eine gänzlich andere war: Die Berliner Mauer war wenige Monate zuvor gefallen, der Ost-West-Konflikt war im Begriff, gelöst zu werden – im Sinne der demokratisch-kapitalistischen Weltordnung. Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Es steht vielmehr erneut eine große militärische Konfrontation in Europa an.

Die Fed und Putins Russland als doppelter Schlaghammer?

Halten wir daher fest, dass Investoren hohe Verluste bevorstehen könnten, die möglicherweise erst nach vielen, vielen Jahren egalisiert werden. Kauffreudige Buy the Dip-Freunde sollten auch aus anderen Gründen inne halten. Es ist mitnichten so, dass Russlands Putin in ein Blue Sky-Szenario hineinplatzte und uns eine tolle Börsen-Party verhagelt. Vielmehr wackeln die Märkte bereits seit einigen Wochen bedenklich.

Denn die US-Notenbank hat einen geldpolitischen 180-Grad schwenk angekündigt. Die Fed wird die Zinsen erhöhen und die Anleihenkäufe beenden. Das wird Auswirkungen für alle Anlageklassen haben: für die relative Attraktivität von Anleihen, die Zukunft von Kryptowährungen, die Frage, ob Value oder Growth vorne liegen werden usw. Wenn die Märkte nicht länger im Cash ertrinken, wird es wieder klare Verlierer an den Märkten geben. Dann werden nicht alle Boote von der Flut nach oben gespült.

Pessimisten könnten also die Gleichung aufmachen: 2022 wird es einen Doppel-Crash geben dank der russischen Aggression und der Zinswende der Fed. Werden die Märkte nicht nur von einer politisch-militärischen Krise, sondern auch von einer geldpolitischen Straffung und einer Verlangsamung der Wirtschaftsaktivitäten getroffen? Dieses Armageddon-Szenario hätte das Zeug zur dritten großen Finanzkrise seit dem Jahr 2000. Dann würden wir noch Jahrzehnte an den Aktienverlusten zu knapsen haben.

Notenbanken und Politik könnten gegensteuern

Doch so statisch Verhält sich die Wirklichkeit nicht. Wenn die Realökonomie droht, wegen einer geopolitischen und energiewirtschaftlichen Krise unter die Räder zu geraten, könnten die Notenbanken und die Politik gegensteuern (müssen). Die Politik wird Konjunkturpakete zur Abfederung einer Energiekrise auf den Weg bringen, und der Zinserhöhungszyklus würde deutlich abgemildert. Gerade die Fed hat nicht nur ein geldpolitisches Mandat, sondern ist auch die Stabilität des Arbeitsmarkts in den USA und damit der US-Konjunktur verpflichtet.

So abwegig es zunächst klingen mag: Die Fed ist wichtiger für die Kapitalmärkte als Putins Russland, und wenn die Fed erneut gegen eine Krise ansteuert, dann könnte das nicht nur die Folgen der Russland-Aggression relativieren, sondern auch das bisherige dominierende Marktszenario, das von fünf bis sieben Zinserhöhungen in diesem Jahr ausgeht, auf den Kopf stellen.

Interessant ist, dass die Anleihen-Bären damit Recht behalten würden. Die Renditen am längeren Ende der Zinskurve sind deutlich weniger stark gestiegen, als die am kurzen Ende. Viele Marktakteure hatten also eine pessimistische Sicht auf die Konjunktur und entsprechend große Zweifel, ob die Fed tatsächlich kräftig an der Zinsschraube drehen würde. Insofern könnten die Märkte erneut von der Politik und den Notenbanken aufgefangen werden – allerdings gibt es dieses Mal keine Gewähr für einen perfekten Powell-Put!

Eine Unwucht ist eine Unwucht ist eine Unwucht

Weil sich gerade viele jüngere Investoren in den vergangenen Jahren auf Highgrowth-Aktien, Technologie-Themen und Krypto-Investments gestürzt haben, werden viele derzeit ein sehr hohes Minus im Depot beklagen. Dann sollten Anleger Realismus walten lassen und sich eingestehen, dass ihr Portfolio zu einseitig aufgestellt ist. Daran werden auch die Abwägungen oben wenig ändern. Als Faustregel gilt: Wessen Portfolio seit November 2021 einen Verlust von über 40 Prozent aufweist, sollte unbedingt gegensteuern und sein Depot auf breitere Füße stellen. Dann sollte ein Berater des Vertrauens zurate gezogen werden. Oder es sollten leistungsfähige Tools eingesetzt werden, die Portfolios auf Klumpenrisiken durchforsten.

Ein Portfolio, das nur dann profitiert, wenn ein kleiner Bereich des Marktes haussiert, ist nicht gut diversifiziert. Das gilt übrigens auch für die aktuellen Favoriten: Öl, Gold, Rohstoffe, Bunds. Wer diese Investments seinem Depot beigemischt hat, freut sich über diese Verlust-Reduzierer. Das gilt gerade für Bundesanleihen, die zwar langfristig wenig Performance versprechen, aber doch ein wohltuender Stabilitätsanker darstellen.

Doch die Dosis macht bekanntlich das Gift. Jetzt alles auf haussierende Rohstoffe zu setzen, wäre zu viel des Guten. Es gilt das langfristige Ziel in den Augen zu behalten. Aktien sind langfristig der beste Werttreiber im Portfolio, alles andere ist nur eine Beimischung.

Fazit: kaufen, halten, verkaufen?

Auch wenn die Diskussion über Marktszenarien so faszinierend wie kompliziert ist, sind die Antworten auf die drei Fragen recht einfach. Wer langfristig in Aktien investieren will, noch viel Zeit hat und das Risiko vertragen kann, der mögen kaufen. Wer sich unwohl mit seiner Aktienquote im Depot fühlt, sollte kritisch hinterfragen, ob sein Unwohlsein eine reale Grundlagen hat oder nur ein Bauchgefühl ist. Bei letzterem gilt es, den inneren Schweinehund zu überwinden Risikoaversion gilt es bei denen, die noch lange Zeit investieren, zu überwinden. Wer zum Schluss kommt, dass die Perspektive nicht so dunkel ist wie die aktuelle Lage, sollte mindestens halten.

Wer in den nächsten zehn Jahren sein Geld nicht benötigt, kann sich entspannt zurücklehnen. Langfristanleger können die Verluste nicht nur aussitzen, sondern die gefallenen Kurse zum Nachkaufen nutzen. Im Bewusstsein, dass sie zunächst ins fallende Messer greifen werden – das Timing ist schließlich, das wissen wir alle – eine tückische Sache.

Verkaufen bzw. ihre Aktien teilweise in sichere Anlagen umschichten sollten diejenigen, die anhand der Krise gemerkt haben, dass ihr Portfolio zu riskant aufgestellt ist. Wer nicht mindestens zehn Jahre Investieren vor sich hat, sollte nicht einseitig auf Aktien setzen. Auch Langfristinvestoren sollten das Risiko drosseln, wenn sie feststellen, dass ihr Portfolio zu einseitig ausgerichtet ist. Wer das Risiko nicht tragen kann, sollte lieber heute als morgen handeln. Und das Kapitel als Lehrstunde der Märkte verbuchen.

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Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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