Nachhaltige Fonds mit ESG-Strategien schlagen konventionelle Ansätze. Abweichende Branchengewichte als Erklärung?
Kosten nachhaltige Fonds Rendite? Diese Frage spaltet aktuell die Fondsindustrie wie keine zweite. Die einen sehen in der Nachhaltigkeit eine Bremse für die Performance, andere einen Risiko senkenden und sogar Rendite steigernden Faktor.
ESG: Zauberformel oder Werbegag?
ESG – die englische Abkürzung für Environment, Social, Governance – ist die prägnante Kurzformel für Nachhaltigkeit. Sie etabliert sich aktuell als das gängige Siegel für nachhaltige Fonds. Kaum ein Indexanbieter oder eine Fondsgesellschaft, die nicht entsprechende Strategien und Produkte lanciert. Noch aber ist die Industrie uneins, wie ESG vermarktet werden sollte. Für Anleger, die den Wunsch haben, Aspekte der Nachhaltigkeit bei ihren Anlageentscheidungen zu berücksichtigen, steht die Entscheidung ohnehin fest. Ihnen geht es nur noch darum, die richtige ESG-Strategie zu finden. Alle anderen Anleger aber stellen sich die Frage nach dem Einfluss von ESG auf Rendite und Risiko.
Corona-Krise: Nachhaltige Fonds schneiden besser ab
In der Corona-Krise haben sich ESG-Strategien bislang glänzend bewährt. Wir haben bereits in einem Artikel darüber berichtet, wie das Flaggschiff DWS Top Dividende durch sein ESG-Pendant DWS Invest ESG Equity Income geschlagen wurde. Gleiches trifft für die Schwellenländer zu. Hier hat der nach ESG-Kriterien verwaltete JP Morgan Emerging Markets Sustainable Equity Fund die traditionelle Variante, den JP Morgan Emerging Markets Equitiy Fund, im laufenden Jahr outperformt. Auch für die Financial Times (FT) und Lipper war in den letzten Tagen die relative Outperformance nachhaltiger Fonds gegenüber der konventionellen Konkurrenz ein Thema.
Unter Berufung auf Morningstar-Daten meldete die FT, 62 Prozent der europäischen ESG-Fonds hätten im März 2020 den MSCI Welt Index geschlagen. Lipper kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Auch bei den entsprechenden MSCI Indizes und den auf sie bezogenen ETFs zeichnet sich ein klares Bild ab. Der MSCI World ESG Leaders Index liegt seit Jahresbeginn knapp 1,5 Prozent besser als der breite MSCI World Index. Auf ein Jahr sind es sogar fast 2,5 Prozent. Der Blick auf die einzelnen regionalen Indizes zeigt das gleiche Bild: ESG schlägt Standardware. Aber reicht diese kurze Episode bereits aus, um sich ein verlässliches Urteil zu bilden?
Ist ESG ein systematischer Faktor?
Eine saubere Analyse des ESG-Effekts muss an der unterschiedlichen Gewichtung der Portfolios ansetzen. Eines ist klar: ESG-Kriterien grenzen das Anlageuniversum ein und beschränken damit automatisch die mögliche Risikostreuung. Außerdem engen sie gegebenenfalls den Handlungsspielraum ein, den ein aktiver Manager braucht, um Outperformance zu erzielen. Nur wenn die ESG-Kriterien selbst ein systematisch Risiko senkender oder Rendite steigernder Faktor sind, kann ein Fondsmanager diese negativen Aspekte überkompensieren. Eine genauere Analyse auf Indexebene kann helfen, interessante Einblicke zu erhalten.
Preiseinbruch bei Öl als Auslöser der Outperformance?
Betrachtet man die aktuelle Krise, lässt sie sich wahrscheinlich weder als Beleg, noch als Gegenbeweis anführen. Es sieht vielmehr so aus, dass insbesondere Branchenaspekte die Performance erklären. So scheint etwa der massive Einbruch bei traditionellen Energie- und Rohstoffwerten ein Haupttreiber des Renditeunterschieds zu sein. Aber auch das tendenziell höhere Gewicht von Technologiewerten in ESG-Fonds und -Indizes hat in den letzten Monaten einen positiven Beitrag zur Performance geleistet. Sollte sich der Ölpreis erholen oder hoch bewertete Technologieaktien unter Druck kommen, könnte sich das Bild wandeln. Auch der tendenziell niedrigere Anteil von Nebenwerten in ESG-Strategien hat in den letzten Wochen geholfen, könnte aber langfristig eine Renditebremse sein.
ESG führt zu Risikosenkung
Während also das Bild bei der reinen Performance nicht ganz eindeutig ist, haben Aktien mit hohen ESG-Ratings bei Risiko relativ klar die Nase vorn. Die Analyse auf Basis der Index-Daten von MSCI zeigt eine klare Tendenz. Die Aktien im MSCI World ESG Leaders zeichnen sich durch eine deutlich höhere Bilanzstärke (Quality) und eine niedrigere Volatilität (Low Volatility) aus. Gleichzeitig hat der ESG-Index eine geringere Gewichtung in günstig bewerteten Titeln (Value). Insgesamt hat der globale ESG-Index also ein konservativeres Profil. Dieses Ergebnis erscheint durchaus plausibel. Eine an Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmenspolitik sollte fundamental dazu beitragen, eine konservativere Unternehmenspolitik zu fördern und so Risiken zu verringern. In den letzten Jahren scheint dieser Zusammenhang auch empirisch zu funktionieren. ESG-Strategien und -Indizes weisen tatsächlich in aller Regel eine geringere Volatilität auf.
Die Schattenseite: Gibt es eine “ESG-Bubble”?
Demgegenüber steht allerdings die Gefahr höherer Bewertungen. Wegen der wachsenden Popularität nachhaltiger Strategien könnten die entsprechenden Unternehmen eine höhere Bewertung aufweisen. Das könnte nach vorne gesehen eine niedrigere Rendite bedeuten. Ein Vergleich der beiden globalen MSCI Indizes kann diese Vermutung zumindest nicht entkräften. Der MSCI World ESG Leaders weist tatsächlich höhere Bewertungen und eine niedrigere Dividendenrendite aus. Allerdings sind die Unterschiede nicht dramatisch. Das historische Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt mit 16,3 nur unwesentlich höher als die 15,7 für den breiten MSCI World. In Gewinnrendite übersetzt bedeutet das: Der ESG Leaders rentiert auf Basis historischer Gewinne mit 6,1 Prozent, der breite MSCI World mit knapp 6,4 Prozent. Kein allzu hoher Preis für ein niedrigeres Risiko.
Auch der Unterschied bei den Dividendenrenditen fällt mit 2,90 Prozent im Vergleich zu 2,97 Prozent kaum ins Gewicht. Größer ist der Unterschied beim Preis-Buchwert-Verhältnis (PBV). Hier liegt der ESG Leaders bei 2,39 gegenüber 2,04 für den breiten Index. Die Unternehmen im ESG-Index weisen also gegenüber ihren bilanziellen Buchwerten einen um rund 20 Prozent höheren Bewertungsaufschlag auf als die Unternehmen im breiten Index. Angesichts des konservativeren Risikoprofils kann aber trotzdem keine Rede von einer “Blase” bei den Bewertungen sein.
Anleger haben die Wahl
Unter Chance-Risiko-Aspekten gibt es also kein klares Bild. ESG-Strategien haben tendenziell ein konservativeres Profil, sie weisen aber auch eine höhere Bewertung und damit nach vorne gerichtet möglicherweise eine geringere Rendite auf. Viel wird davon abhängen, ob Value-Titel in den nächsten Jahren ihr Comeback feiern, denn ESG Strategien weisen generell ein Untergewicht in günstig bewerteten Titeln auf. Für Anleger, die nachhaltiger anlegen möchten, gibt es ohnehin keine Frage. Denn ein gutes Gewissen scheint nach Lage der Dinge keinen hohen Preis zu haben.
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