Der Zins steigt – warum fallen die Anleihenkurse?

Die Notenbanken erhöhen die Zinsen, aber warum fallen die Anleihenkurse? Die Welt der Anleihen ist einerseits komplex – und doch können Anleger mit wenigen Daumenregeln verstehen, wie sich Kurse zu Renditen verhalten. Die Auflösung des Kurs-Rendite-Paradoxons.

Seit Mitte 2022 hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen von null auf vier Prozent erhöht. Seitdem hat der REXP, die wichtigste Benchmark für deutsche Anleihen, 4,6 Prozent verloren. Im vergangenen Jahr verlor der Index sogar knapp 12 Prozent. Bereits Mitte 2022 konnte man von einem Jahrhundert-Crash sprechen. In den USA sind die Zinsen sogar noch stärker gestiegen. Wie in Deutschland befinden sich auch die Renditen der wichtigen zehnjährigen Anleihen in den USA auf Niveaus wie zuletzt vor der großen Finanzkrise.

Warum fallen die Anleihenkurse

Rendite in Prozent und per 14.9.2023, Quelle: Yahoo Finance

Halten wir also fest, dass Anleihen weltweit bei steigenden Zinsen in die Knie gegangen sind. Wie kann das sein? Ist ein steigender Zins nicht gut für Anleger? Die Antwort ist: Für Neuanleger schon, aber für Bestandsanleger absolut nicht. Für sie waren die Verluste 2022 mitunter traumatisch, da in vielen Wertpapierportfolios die Rollenverteilung so aussieht: Aktien liefern die Performance, Anleihen die Sicherheit. 2022 sind beide großen Anlageklassen in die Knie gegangen.

Betroffen waren 2022 auch die Anleihen von Ländern wie Deutschland, Finnland oder Österreich, die besonders bonitätsstark sind und die höchsten Ratings von Agenturen wie Standard & Poor’s oder Moody’s halten. Länder wie Frankreich, Italien, Griechenland und Schwellenländer weisen schlechtere Ratings auf und verloren 2022 noch mehr.

Der Zusammenhang von Renditen und Kursen

Doch wie verhält es sich zwischen den Zinsen einer Anleihe und deren Kurs? Der Kurs einer Anleihe stellt den aktuellen Marktpreis dar, zu dem die Anleihe gehandelt wird. Er wird in Prozent des Nennwerts ausgedrückt. Wenn eine Anleihe beispielsweise einen Nennwert von 1.000 Euro hat und zu einem Kurs von 98 Prozent gehandelt wird, beträgt der aktuelle Preis der Anleihe 980 Euro. 

Die Rendite einer Anleihe gibt dagegen an, wie hoch der Ertrag eines Anlegers ist, den er von einer Anleihe in Bezug auf ihren aktuellen Kurs erwarten kann.

Es gibt verschiedene Arten von Renditen. Die Kuponrendite bezieht sich nur auf den Zins, den eine Anleihe nach dem aktuellen Stand abwirft. So hat die oben bereits erwähnte fiktive Anleihe mit einem Nennwert von 1.000 Euro und einem aktuellen Kurs von 980 Euro im Beispiel einen jährlichen Kupon von 50 Euro. Das entspricht einer Kuponrendite von 5,1 Prozent (50 Euro/980 Euro).

Die Gesamtrendite berücksichtigt dagegen nicht nur die Kuponzahlungen, sondern auch eventuelle Kapitalgewinne oder -verluste, wenn die Anleihe zu einem anderen Kurs als ihrem Nennwert gehandelt wird. Wenn die Anleihe beispielsweise bei 1.020 Euro verkauft wird (über dem Nennwert), wäre die Gesamtrendite höher als die Kuponrendite.

Fallende Anleihenkurse - alles nur Mathe?

Kurse und Renditen bewegen sich in einem inversen Verhältnis zueinander. Das bedeutet, dass der Kurs einer Anleihe sinkt, wenn die Rendite steigt – und umgekehrt. Dahinter steht die recht einfache Marktlogik von Angebot und Nachfrage.

Wenn die Marktzinsen steigen, fallen die Kurse von bestehenden Anleihen, die niedrigere Coupons haben, da Investoren nach höheren Renditen suchen. Bestehende Anleihen mit festen Coupons werden daher zunächst unattraktiv. Ihre Kurse fallen so lange, bis sich ihre Rendite auf dem Niveau vergleichbarer Anleihen befindet, die zum höheren Zins emittiert wurden. Dann herrscht wieder ein Gleichgewicht.

Das Zinsänderungsrisiko ist eines der wichtigsten Anleihenrisiken. Es kann zu Kapitalverlusten führen, sofern Anleger ihre Anleihen vor dem Fälligkeitsdatum verkaufen (müssen). Anleger, die eine Anleihe dagegen bis zur Fälligkeit halten, vereinnahmen planmäßig die Zinsen und erhalten zum Ende der Laufzeit den Nennwert der Anleihe zurück – sofern der Emittent der Anleihe nicht ausfällt.

Anleihen für Fortgeschrittene: Bitte anschnallen!

Wenn Sie bis hierher folgen konnten: Glückwunsch, Sie haben einen guten Teil des Weges geschafft! Wir müssen allerdings etwas weiter ausholen, da neben dem Marktzins weitere Faktoren die Kurse von Anleihen bestimmen. Wir bleiben beim Szenario steigender Zinsen.

Es gibt – wir haben es oben bereits angedeutet – ein Kreditrisiko. Steigen die Zinsen, sind Anleihen von bonitätsschwachen Emittenten anfälliger für Kursverluste, da höhere Zinsen die Bonität dieser Emittenten bedroht und Anleger eine höhere Risikoprämie fordern. Das führt zu einer Erhöhung der Zinslast.

Auch die Laufzeit der Anleihe spielt eine Rolle bei der Kursentwicklung: Langlaufende Anleihen verlieren bei steigenden Zinsen in der Regel stärker als kurzfristige Anleihen, da ihre Zinsbindungen länger sind. Auch die Coupons haben ein Wörtchen mitzureden: Anleihen mit niedrigeren Zahlungsraten sind bei stark steigenden Zinsen anfällig für Kursverluste, da ihre (festen) Zinssätze im Vergleich zu den neuen, höheren Marktzinsen besonders unattraktiv werden.

Dann gibt es noch den Faktor Inflation. Er ist Gift für Anleihenkurse. Anleger werden sich erinnern, dass die Verluste bei Anleihen im Jahr 2022 losgingen, lange bevor die EZB anfing, die Zinsen zu erhöhen. Das liegt an der Teuerung. Nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine schossen die Energiepreise in die Höhe, was die Inflation anheizte. Eine hohe Inflation bzw. hohe Inflationserwartungen treiben die Renditen nach oben und reduzieren damit die Nachfrage nach Anleihen mit niedrigen (wiederum: festen) Coupons. Das hat zusätzlich auf die Kurse gedrückt und erklärt das historische Ausmaß der Verluste bei Anleihen im Jahr 2022.

Und sie fallen doch nicht immer: die Psychologie beachten

Interessant ist, dass die Wirkung steigender Zinsen nicht immer geradlinig ist. Wer das denkt, hat die Rechnung ohne die Marktpsychologie gemacht.

Aktuell sind die Zinsen in der Eurozone stark gestiegen. Die EZB geht davon aus, dass der Druck auf Konsumenten und Unternehmen so hoch sein wird, dass die Inflation mittelfristig unter Kontrolle zu bringen ist. Das ist logisch: Das Wirtschaftsleben erlahmt wegen hoher Zinsen, weil der private Sektor seine Aktivitäten zurückfährt. Die EZB hat gestern den Leitzins zum zehnten Mal in Folge auf nunmehr vier Prozent erhöht.

Die Wirkung steigender Zinsen macht sich naturgemäß erst mit einer Verzögerung bemerkbar. Allerdings ist die deutsche Wirtschaft bereits jetzt im Begriff, in eine Rezession zu rutschen. Diese Aussicht bewegt immer mehr Anleger, auf eine baldige Zinspause zu spekulieren; etliche rechnen sogar kurzfristig mit Zinssenkungen. Das wiederum führte zur scheinbar paradoxen Situation, dass am Tag der Zinserhöhung die Renditen der meisten Bundesanleihen gesunken und die Kurse entsprechend gestiegen sind.

Hat die EZB ihren Job gemacht und die Inflation durch eine herbeigeführte Rezession unter Kontrolle gebracht, dann werden die Zinsen wieder sinken. Dann werden bestehende Anleihen so attraktiv, dass Anleger bereit sein werden, höhere Kurse in Kauf zu nehmen – weil bei einer Rezession die Zinsen und damit auch die Renditen von bestehenden Anleihen attraktiver als Neuemissionen sein werden. 

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