Zinseszins Effekt

Der Zauber des Zinseszins-Effekts oder warum Manfred Krug ein bisschen Recht hatte

Anleger neigen dazu, die Bedeutung von Dividenden zu überschätzen und ihre Wirkung zugleich systematisch zu unterschätzen. Das ist der Grund, warum auch so manche Langfristanleger ausschüttende Fonds bevorzugen, obwohl thesaurierende Fonds genau das liefern, was sie brauchen: den Zinseszins-Effekt.

Unsere kurze Geschichte des Zinseszins-Effekts und seine Bedeutung für Anleger fängt mit einer These an, die ich neulich als Tweet veröffentlichte. Auf den Kommentar eines Followers zur enttäuschenden Performance der Coca-Cola-Aktie machte ich geltend, dass er bei der Performance auch die Wirkung von Dividenden berücksichtigen solle. Weil die meisten Datenbanken die Ausschüttungen bei der Berechnung von Aktienrenditen ignorieren, können viele Anleger die Wirkung von reinvestierten Dividenden nicht richtig einschätzen. 

Zinseszins Tweet

Weil bei Twitter bekanntlich die Würze in der Provokation liegt, habe ich meine These etwas steiler formuliert und die Telekom-Aktie ins Spiel gebracht. Meine Überschlagsrechnung: Wer bei 66 Euro im Jahr 2000 eingestiegen war, ist Dank der Dividenden heute im Plus. 

Nun muss man wissen, dass die T-Aktie nicht irgendein Wertpapier ist. Sie steht sinnbildlich für eine der größten Aktienkatastrophen, die Anleger in Deutschland jemals ereilt hat. Viele haben nach der T-Aktie nie wieder in Dividendenpapiere investiert. Die KfW brachte die T-Aktie für die Bundesrepublik schrittweise ab 1996 auf den Markt – begleitet von einer gigantischen Werbekampagne. Die älteren Semester werden sich an die Werbeauftritte des Schauspielers Manfred Krug erinnern, der die T-Aktie auch als “Volksaktie” hochjazzte. Euphorisierte Anleger griffen bei der dritten Emission zum Kurs von 66,5 Euro im Juni 2000 beherzt zu.

Was folgte, ist Legende: Die Dot-Com-Blase platzte, und die T-Aktie brach bis 2003 auf unter zehn Euro ein. Aktuell dümpelt der Kurs der Aktie bei unter 20 Euro. (Der selige Manfred Krug entschuldigte sich übrigens für seine Werbeauftritte bei Anlegern, die hohe Verluste erlitten hatten.) 

Der Zinseszins oder warum 1+1 =3 sein kann

Die T-Aktie, ein langfristiges Desaster also? Nicht ganz. Warum Anleger das meinen, liegt das daran, dass sie folgende Rechnung aufmachen: 

Einstiegskurs bei 66,5 Euro – heutiger Kurs von 20 Euro = Verlust von 46,5 Euro 

Aber wer so vorgeht, vergisst die Dividenden. Aber auch Anleger, die die Dividenden im Blick haben, unterschätzen oft ihre Wirkung. Dass Dividenden irgendwie wichtig sind, weiß man, warum das so ist, offenbar nicht. Ein weiterer Twitterando, der sich in die Debatte einschaltete, konnte mir jedenfalls nicht folgen. “Die Rechnung zur Telekom erschließt sich mir nicht. Die Aktie notiert aktuell bei 19,5 Euro. Kumuliert gab es seit dem Börsengang 15,68 Euro Dividende. Macht 35,68 – weit entfernt von 66 Euro.”

Autsch! Dieser Investor hat die Wirkung des Zinseszins offenbar nicht verstanden. Dieses Missverständnis ist leider typisch und führt dazu, dass viele Anleger systematisch die Wirkung von Dividenden unterschätzen. Sie stellen falsche Bezüge her. Man spricht in der Verhaltensforschung auch vom Anker-Effekt. Man nimmt nur zur Kenntnis, was man sieht, hinterfragt aber nicht die Zahl (hier: den Kurs von heute), die nur einen Teil der Geschichte erzählt. Wer die über die Zeit gezahlten Dividenden einfach addiert, ignoriert das, was man als Zauber des Zinseszins bezeichnet.

Albert Einstein soll den Zinseszins-Effekt als “achtes Weltwunder” bezeichnet haben. Der Zinseszins drückt aus, was passiert, wenn Anleger umgehend Dividenden oder Zinserträge reinvestieren. Aus dem Zins wird quasi ein zusätzlicher Zins, der weiter zum gültigen Zinssatz arbeitet und damit einen weiteren Zins schafft, durch den wiederum ein weiterer, größerer Zins entsteht, der bei einer Wiederanlage zusätzliche Zinsen schafft. Und so weiter und so fort. 

Man spricht im Englischen auch vom Compounding Effekt. Dieser resultiert in einem exponentiellen Wachstum, das langfristig der Stoff ist, aus dem Aktienrenditen gemacht sind. Eine beliebte Pi-mal-Daumen-Regel besagt, dass langfristig mehr als die Hälfte der Aktienrendite aus reinvestierten Dividenden besteht. 

Manfred Krug hatte doch ein bisschen Recht

Ich habe also die Rechenmaschine angeworfen (genauer: einen Bloomberg-Terminal) und  nachgesehen, ob ich mit meiner steilen Twitter-These Recht hatte. Turns out: Ich hatte mich geirrt. Allerdings lag ich gar nicht so weit daneben. Wenn man die Dividenden der Telekom seit dem Jahr 2001 systematisch am Tag der Ausschüttung wieder in die T-Aktie reinvestiert hätte,  wäre man heute bei 54,9 Euro. Das geht aus der orangefarbenen Linie hervor, die sich deutlich von der bloßen Kursentwicklung der T-Aktie (weiße Linie) abhebt.  54,9 Euro ist weniger als der Emissionskurs vom Juni 2000 von 66,5 Euro, aber doch deutlich mehr als es viele den kumulierten Dividenden zutrauen.

Übrigens wäre man Anfang April 2023 bei 63 Euro gelandet, also knapp unter dem Emissionskurs der dritten Tranche aus dem Jahr 2000. Manfred Krug hatte also fast Recht.

Zinseszins T Aktie Bloomberg

Die obere Grafik zeigt überdeutlich, wie kontinuierlich und zugleich unmerklich der Zinseszins wirkt. Die Schere zwischen dem Price Return (Rendite ohne Dividende) und Total Return (Rendite inklusive Dividenden) geht nur langsam auf. Dafür aber unerbittlich. Die blauen Icons markieren die Ausschüttungs- und Reinvestitionszeitpunkte. Die rote Fläche unter dem Graphen zeigt die Distanz zum Einstiegszeitpunkt am 19.6.2000. Anfang April 2023 war die Fläche arg zusammengeschrumpft, was signalisiert, dass man 23 Jahre nach der Kaufempfehlung Manfred Krugs seinen Einsatz fast wieder wettgemacht hätte – nominal, versteht sich.

Fazit: Compounding erst Recht bei Fonds

Schließen wir mit einem positiveren Beispiel für den Zauber des Zinseszins-Effekts. Vergleichen wir den DAX-Kursindex mit dem Total Return DAX, wie wir ihn kennen, und zwar seit Herbst 1996. Wer damals hypothetische 10.000 Euro investierte, kommt heute auf eine Gesamtsumme von 60.800 Euro, was einer Gesamtrendite von 508 Prozent entspricht. Wer die Dividenden dagegen umgehend konsumierte, machte aus 10.000 Euro nur knapp 30.000 Euro, was einem Plus von 197 Prozent entspricht.

Für langfristig orientierte Fondsanleger lautet also die Moral der Geschichte: in thesaurierende Fonds investieren. Anleger, die ihre Depots bei envestor betreuen lassen, profitieren gleich doppelt: Der envestor Cashback ermöglicht es ihnen, die gesparten Kosten zu reinvestieren. Und wer bei uns seine Fonds verwahrt, kann darüber hinaus auch entspannt auf ausschüttende Fonds setzen. Sofern es Anlegerinnen und Anleger nicht explizit anders wünschen, werden ihre Fonds-Ausschüttungen bei den Plattformen, mit denen wir zusammenarbeiten, automatisch reinvestiert. 

Zinseszins DAX TR vs PR

Anlageergebnis für ein 10.000 Euro Investment in Euro und per 13.7.2023, Quelle: Morningstar

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