Für viele Anleger in Deutschland ist der DAX das Maß aller Dinge. Diese Fixierung war bisher nicht optimal, aber es tut sich einiges beim oftmals exotisch anmutenden Index mit Hang zur Klumpenbildung. Wir blicken auf die Eigenschaften des deutschen Leitindex und wie die anstehende Reform bei DAX und Co zu bewerten ist. Anschließend schauen wir auf die Rendite-Risiko-Eigenschaften von deutschen Aktien, bevor wir einige empfehlenswerte Fonds vorstellen.
Deutsche Aktien im Depot: Alles eine Frage der Perspektive
Wer sich dem DAX oder generell deutschen Aktien annähert, hat zwei Möglichkeiten: Er kann sich für einen Blick von ganz weit oben entscheiden. Dann wirken deutsche Aktien ganz schön mickrig. Sie machen gerade einmal ein Gewicht von 2,8 Prozent im MSCI World aus, der Aktien aus den Industrienationen enthält.
Nimmt man noch die Aktien aus den Schwellenländern hinzu, sinkt der Anteil deutscher Aktien sogar auf unter 2,5 Prozent im Weltportfolio (hier in Gestalt des MSCI ACWI Index). In nach Marktkapitalisierung gewichteten Weltportfolios spielen deutsche Aktien also keine große Rolle. Entsprechend rangieren deutsche Aktien in der Prioritätenliste internationaler Investoren nicht weit oben – zumal immer mehr Portfolios auf passive Strategien umgestellt werden, wo deutsche Aktien tendenziell niedriger gewichtet sind als in aktiven Portfolios. Zum Vergleich: Aktien aus den USA kommen in den klassischen Benchmarks auf ein Gewicht von zwischen 60 und knapp 70 Prozent. (Dass das auch nicht optimal ist, haben wir bereits erläutert.)
Wer dagegen die Perspektive der Investoren in Deutschland einnimmt, kommt zu einem anderen Schluss. Bis zu 60 Prozent der Einzeltitel in deutschen Depots setzen sich nach jüngsten Daten der Bundesbank aus heimischen Titeln zusammen. Diese Konzentration ist potenziell ungesund weil überdurchschnittlich riskant. Sie ist Ausdruck eines typischen Anlegerfehlers, des Home Bias. Man investiert in das, was man meint zu kennen, nur weil es sich um Unternehmen aus Deutschland handelt. Das ist deshalb bedenklich, weil Investoren damit ihre Standort- und Job-Risiken mit ihrem Investment-Risiko verknüpfen. Der Extremfall wäre ein Daimler-Mitarbeiter, der in Stuttgart wohnt und nur Daimler-Aktien im Depot hat.
Fondsanleger investieren globaler (aber nicht global)
Nicht ganz so extrem gehen Fondsinvestoren vor; sie streuen breiter. Laut Angaben des Fondsverbands BVI investieren Aktienfondsanleger aus Deutschland in erster Linie in globale Aktienfonds, in denen per Ende März über 195 Milliarden Euro steckten. Es folgten europäische Aktienfonds mit lag einem Vermögen von knapp 75 Milliarden Euro. Erst dann kamen Fonds für deutsche Aktien, in denen aber immer noch gut 60 Milliarden Euro investiert waren. Wer will, kann auch hier ein Klumpenrisiko ausmachen.
Wegen der kleinen wie großen Bedeutung deutscher Unternehmen wollen wir uns mit dem DAX als Stellvertreter für deutsche Aktien näher befassen. Zumal im September einige Änderungen bevorstehen, die die Eigenschaften des deutschen Aktienmarkts verändern werden. Aber dazu mehr gleich.
Zu Unrecht geliebt und vertraut: Der DAX als Referenz für heimische Investoren
Auch wenn der DAX in weiten Teilen der Öffentlichkeit als ein Synonym für Aktien gilt, ist er als Investment-Universum problematisch. Das liegt an seiner Zusammensetzung: Er umfasst nur 30 Aktien und bietet somit kein hinreichend großes Auswahl-Universum für aktive Investoren. Er ist auch zu konzentriert für Indexfondsanleger.
Je nach Marktlage machen die größten zehn Aktien bis zu 70 Prozent des DAX-Gewichts aus. Aktuell sind Linde und SAP mit jeweils zehn Prozent im DAX gewichtet. Es folgen Siemens mit knapp neun Prozent, Allianz und BASF mit knapp sieben bzw. fünf Prozent.
Scheinbar besser sieht es auf Ebene der Branchen aus. Die schwersten sind zyklische Konsumgüter, die 18 Prozent ausmachen, gefolgt von Grundstoffen mit 17,5 Prozent sowie Technologie und Industrie mit jeweils 14 Prozent. So weit, so ausgewogen? Nicht ganz.
Angesichts der geringen Anzahl an Aktien ist die Diversifikation auf Branchenebene nur eine scheinbare: Hinter dem Sektor Grundstoffe stehen Linde und BASF; zyklische Konsumgüter bestehen aus Adidas und den Autorherstellern Daimler, VW und BMW; die Technologie-Quote setzt sich aus SAP und Infineon zusammen. Ein Anleger ist also in erheblichem Maße dem Einzeltitelrisiko ausgesetzt, wenn er in den DAX investiert. Diversifiziert ist anders.
Aufbruch dank des Wirecard Desasters
Auch wenn die Wirecard-Aktie zwischen 2018 und 2020 zumeist nicht mehr als zwei Prozent des DAX-Gewichts ausmachte, hatte der Skandal um das Betrugsunternehmen ein regelrechtes Erdbeben für den deutschen Leitindex zur Folge. Nach langen Verzögerungen bei der Veröffentlichung des Jahresberichts, die ungeahndet blieben, kam im Frühjahr 2020 heraus, dass große Teile der gemeldeten Umsätze und Gewinne bei Wirecard fingiert waren. Wirecard brach zusammen, seine Führungsriege ist flüchtig bzw. inhaftiert. Wegen fehlender Exit-Regeln im DAX-Regelwerk dümpelte die Wirecard-Aktie dennoch auch zwei Monate nach Abgabe des Insolvenzantrags im Juni 2020 im Index herum.
Als dann im August 2020 die Börse endlich die Notbremse zog und Wirecard in einem außerordentlichen (sic!) Verfahren aus dem DAX warf, stand dem Index gleich eine neue Peinlichkeit bevor. Mit Delivery Hero wurde ein Unternehmen in die Eliteliga deutscher Aktien aufgenommen, das noch nie Gewinne geschrieben hatte und erst drei Jahre zuvor börsengelistet worden war (und zum Zeitpunkt der DAX-Aufnahme längst sein Deutschland-Geschäft aufgegeben hatte).
Aus DAX 30 mache DAX 40
Kein Wunder also, dass die Deutsche Börse Ende 2020 einen Umbau ankündigte. Sie beschloss, zum September 2021 die Zahl der Unternehmen im Index auf 40 zu erweitern. Die DAX-Kandidaten müssen künftig vor ihrer Aufnahme über die vorherigen zwei Geschäftsjahre ein positives EBITDA aufweisen. Und es gelten verschärfte Anforderungen an die Finanz-Berichterstattung: Wer nicht pünktlich seine Zahlen veröffentlicht, wird kurzfristig aus dem DAX entfernt. Um den DAX den internationalen Indexstandards anzugleichen, wird ebenfalls ab September dieses Jahres das Gewicht der DAX-Bestandteile nur noch von der frei handelbaren Marktkapitalisierung abhängen; der Börsenumsatz als Co-Determinante entfällt.
Die Folgen dieses Umbaus auf die Struktur des DAX sind zunächst positiv zu bewerten. Die Breite des Index nimmt zu, wie eine aktuelle Simulation der Deutschen Börse zeigt. Die Sektoren Pharma, Industrie und Einzelhandel gewinnen dank der erwarteten Hinzunahme von Qiagen, Sartorius bzw. Airbus und Brenntag bzw. Zalando und HelloFresh an Bedeutung. Spiegelbildlich dazu nimmt die Bedeutung von Grundstoffen, zyklischer Konsum, Software und Versicherungen ab.
Vergleich der Branchengewichtung im DAX: Heute und ab September
Darüber hinaus ergibt sich mit Blick auf die Größe der Unternehmen im Index eine Verschiebung: Die durchschnittliche Marktkapitalisierung sinkt von gut 40 Milliarden auf 34,9 Milliarden Euro. Auch die Kopflastigkeit des Index wird entsprechend geringer: Das Gewicht der Top zehn Werte dürfte von derzeit rund 70 auf gut 50 Prozent sinken.
Fazit: Wie ist das Revirement beim DAX zu bewerten ist
Auch wenn die erste Liga deutscher Aktien mit der anstehenden DAX-Reform solider und diversifizierter wird, ist hier keine Alchemie im Spiel. Was der DAX an Statur hinzugewinnt, geht dem MDAX, der zweiten Liga, in der sich mittelgroße Unternehmen befinden, verloren. Denn er wird von derzeit 60 auf 50 Aktien reduziert. (Bis zu seiner ersten Verkleinerung 2003 umfasste der MDAX 70 Werte.) Gravierender ist dabei, dass der Mid Cap Index ein deutliches Stück in Richtung Small Caps absackt.
Die durchschnittliche Marktkapitalisierung des MDAX wird nach der Simulation der Deutschen Börse von bisher 5,6 Milliarden auf 3,8 Milliarden Euro sinken. Das ist noch immer mehr als die knappe eine Milliarde Euro beim SDAX, aber weniger als der durchschnittliche Börsenwert im TecDAX, der ab September bei 4,2 Milliarden Euro liegen dürfte. Entsprechend wird die Liquidität im MDAX zurückgehen, was viele Investoren ungern sehen.
Die Diversifikation und die Liquidität, die der MDAX bisher aufwies, werden dem Mid Cap-Index also künftig ein gutes Stück verloren gehen. Seine größten Bestandteile rücken bald in die erste Börsen-Indexliga auf. Allerdings ohne, dass sich der DAX dann zum Index-Musterknaben a la FTSE 100 oder S&P 500 mausern würde. 40 ist mehr als 30, aber da nach dem Prinzip der Marktkapitalisierung die Dickschiffe unverändert dominieren, wird die Erweiterung der Marktkapitalisierung um knapp 200 Milliarden Euro auf dann 1,4 Billionen Euro keinen Riesenunterschied machen.
Nicht nur die Anleger in Deutschland sind Börsenmuffel
Das eher ernüchternde Fazit lautet also: Solange der deutsche Aktienmarkt nicht an Tiefe gewinnt, wird jede Operation an den vorhandenen Börsensegmenten eher den Charakter einer Taschenspielerei haben, nach dem Motto: rechte Tasche, linke Tasche. Das Bittere daran ist, dass die mangelnde Attraktivität sich auf künftige Listings auswirken wird. Gerade vielversprechende Wachstumsunternehmen werden sich ihr Geld anderswo als in Deutschland beschaffen – siehe das Listing von BioNTech in den USA.
Andere Unternehmen wiederum schrecken vor einem Börsenlisting gänzlich zurück. Die Riege ist beachtlich: Bertelsmann, Robert Bosch, Rewe, Edeka, die Schwarz-Gruppe und Phoenix Pharma sind nicht börsennotiert. Und im Jahr 2020 entschloss sich der Axel Springer Konzern, der Börse den Rücken zu kehren. Nicht nur Anleger in Deutschland sind Börsenmuffel – deutsche Unternehmen sind es oft auch.
In der nächsten Folge unserer Serie zu deutschen Aktien blicken wir auf das Rendite-Risiko-Profil der verschiedenen deutschen Börsensegmente und der Fonds für deutsche Aktien, bevor wir im dritten und letzten Teil der Serie eine Reihe vielversprechender Fonds und ETFs vorstellen.