ETFs haben in den vergangenen Jahren die Herzen und Portfolios von Anlegern erobert und verdrängen immer stärker aktiv verwaltete Fonds. Allerdings fällt die ETF-Bilanz in der Realität schlechter aus, als es Anleger ahnen. Teil I einer zweiteiligen Reihe über einen schlecht ausgeleuchteten Aspekt des ETF-Markts.
ETFs sind inzwischen die Vehikel der Wahl vieler Anleger geworden – zu gut erscheint die ETF-Bilanz gegenüber der schwachen Performance von aktiv verwalteten Fonds. Auswertungen wie die bekannte SPIVA-Statistik des Indexanbieters S&P zeigen regelmäßig, dass aktiv verwaltete Fonds ihren Indizes in nahezu allen Kategorien hinterherhinken – kurzfristig und erst recht langfristig. S&P hat beispielsweise ermittelt, dass in den vergangenen 10 Jahren nur zwei Prozent der aktiv verwaltete USA-Aktienfonds ihren Vergleichsindex übertroffen haben. Das gelang ganzen vier Prozent der global investierenden Aktienfonds. Und selbst in der als ineffizient angesehenen Fonds-Kategorie Hochzinsanleihen verfehlten 75 Prozent der aktiv verwalteten Fonds ihre Benchmark, wie aus der unteren Grafik hervorgeht.
Stand der Daten: 31.12.2023, Quelle: S&P
Ohne die toten Fonds geht es nicht: Der Survivorship Bias
Die schwache Bilanz von aktiv verwalteten Fonds geht nicht immer auf eine schlechte Performance zurück. Denn es werden viele Fonds außerplanmäßig liquidiert. Das erschwert Investoren den Weg zum Anlageziel.
Zur Bedeutung von Fondsliquidationen ein fiktives Beispiel: Wenn alle 10 aktiv verwalteten Fonds einer bestimmten Kategorie nach 10 Jahren ihren Vergleichsindex übertroffen haben, ergibt dies eine beeindruckende Erfolgsquote von 100 Prozent. Weniger beeindruckend erscheint die Erfolgsquote dagegen, wenn man weiß, dass die Fondskategorie 10 Jahre zuvor 100 Fonds umfasst hatte. Weil 90 Prozent der startenden Fonds nicht den Weg zum Ziel erreicht haben, ergibt das eine Erfolgsquote von 10 Prozent und nicht 100 Prozent. Wird die Todesquote von Fonds nicht berücksichtigt, entsteht der sogenannte „Survivorship Bias“.
Erstaunlich ist allerdings, dass diese Statistiken nicht auf der ETF-Seite angewendet werden. ETFs werden oft mit Indizes gleichgesetzt, und wir alle wissen, dass Indizes unsterblich sind. Sind das ETFs auch? Dass die sogenannten Bogleheads, die fanatischen Anhänger von John „Jack“ Bogle, den Survivorship Bias nur als Malus der aktiv verwalteten Fonds identifizieren, sei ihnen verziehen. Konsternierend ist, dass auch renommierte Vermögensverwalter wie Dimensional in ihren Marketing-Materialien den Survivorship Bias ebenfalls nur bei aktiv verwalteten Fonds verorten.
Envestor nimmt sich die echte ETF-Bilanz vor
Wir haben deshalb die Probe gemacht und haben eine Survivorship-Bias-bereinigte ETF-Bilanz der vergangenen zehn Jahre erstellt. Dafür haben wir uns die ETFs in 30 Kategorien angesehen, die für Anleger in der Eurozone besonders wichtig sind. Wie fällt diese Bilanz zwischen April 2014 und März 2024 aus? Aber zäumen wir das Pferd zunächst von hinten auf und fangen wir mit dem altbekannten Bild an: Die untere Tabelle zeigt die Performance-Bilanz von ETFs im Vergleich zum durchschnittlichen Fonds der jeweiligen Kategorie, ohne die liquidierten ETFs zu berücksichtigen. Die unbereinigte Statistik zeigt das übliche Bild mit Survivorship Bias:
Relative Rendite entspricht der durchschnittlichen Performance im Vergleich zum Durchschnitt der Fonds der jeweiligen Kategorie, annualisiert, in Punkten, zwischen April 2014 und März 2024, Quelle: Morningstar
Wie die obere Tabelle zeigt, fällt die Bilanz der meisten ETFs gut und besser aus: In der wichtigen Fondskategorie „Aktien Welt“ gelangen ETFs zwischen 2014 und 2024 im Schnitt eine jährliche Outperformance von knapp drei Prozentpunkten. MSCI-World- oder FTSE-World-ETFs haben die durchschnittlichen Fonds der Kategorie regelrecht deklassiert. Auch in den Kategorien Aktien Eurozone, Aktien USA, Aktien Europa, Aktien Technologie, Aktien USA Wachstum liegt die jährliche Outperformance von ETFs bei deutlich mehr als einem Prozentpunkt. Den Vogel schießen ETFs auf den Nasdaq 100 ab, die die Fonds der Kategorie Aktien USA Wachstum um jährlich 5,75 Prozentpunkte übertroffen haben. So weit, so bekannt – und so unvollständig. Kommen wir nun zum spannenden Teil der Auswertung: zur Liquidations-Statistik.
Daten per 31.3.2024, Quelle: Morningstar
ETF-Bilanz: Von ordentlich bis ganz schön mager
Die obere Tabelle zeigt die ETF-Liquidationen in den 30 analysierten Kategorien zwischen 2014 und 2024. Man kann getrost von einem Massensterben sprechen. So lesen Sie die obere Tabelle. Zeile eins zeigt, dass es im April 2014 in der Kategorie Rentenfonds Euro Staatsanleihen 76 ETFs gab. Deren Zahl schmolz bis April 2024 auf 33 zusammen. Das ergibt eine Überlebensquote von 43 Prozent. Das erscheint wenig, ist aber nicht das Ende der Fahnenstange. Die höchste Mortalitätsrate haben ETFs für europäische Nebenwerte verzeichnet: Zwischen 2014 und 2024 wurden sieben der neun seinerzeit vorhandenen Produkte am Markt liquidiert, was zu einer Überlebensquote von 22 Prozent führt.
Wenig beeindruckend ist auch die Überlebensquote von 55 bzw. 57 Prozent bei Europa- und Euroland-Aktien-ETFs. Selbst in der Kategorie Aktien USA Standardwerte haben nach zehn Jahren nur 63 Prozent der ETFs überlebt. USA Growth ETFs kommen sogar nur auf eine Überlebensquote von 50 Prozent.
Nicht nur findige Mathe-Cracks werden nunmehr nicht überrascht sein von der finalen ETF-Bilanz in der letzten Tabelle. Sie zeigt die Survivorship-Bias-freie Erfolgsquote in den vergangenen zehn Jahren. Welche ETFs haben einmal die Zehnjahres-Periode überlebt und den durchschnittlichen Fonds ihrer Kategorie übertroffen?
Erfolgsquote=ETFs, die überlebt und outperformt haben, Daten per 31.3.2024, Quelle: Morningstar
Selbst die höchsten Erfolgsquoten erinnern nicht im entfernten an die eingangs zitierte SPIVA-Statistik. Dass 98 Prozent der aktiv verwalteten USA-Aktienfonds die Benchmark verfehlen, bedeutet eben nicht, dass 98 Prozent der Indexfonds ihre aktiven Pendants übertreffen. In unserem Beispiel sind es vielmehr nur 59 Prozent: Das ist der Anteil der USA-ETFs, die einmal die Zehnjahres-Periode zwischen 2014 und 2024 überlebt und zum anderen den Durchschnitt der Fonds der Kategorie Aktien USA übertroffen haben. Die sagenumwobenen MSCI World ETFs hatten, zusammen mit Deutschland-ETFs, mit jeweils 63 Prozent die höchsten Erfolgsquoten aller Kategorien. Das ist ordentlich, aber bei weitem nicht berauschend.
Auch in anderen Kategorien wird man nicht vom Erfolg von ETFs überwältigt: Die Erfolgsquote von ETFs in den meisten Sektor-Kategorien liegt bei zwischen zehn und 20 Prozent. China-Aktien-ETFs, die 2014 am Markt waren, haben eine Erfolgsquote von, nun ja: 0 Prozent. Auch Europa-Nebenwerte-ETFs haben nur eine Erfolgsquote von 22 Prozent, USA-Nebenwerte-ETFs kommen auf 38 Prozent.
Liquidationen trüben die ETF-Bilanz
Dass Liquidationen ein wichtiger Grund für die schwache Bilanz von aktiv verwalteten Fonds sind, ist eine Binsenweisheit. Umso erstaunlicher ist es, dass die Folgen von ETF-Liquidationen für die ETF-Bilanz bisher wenig untersucht wurden. Mit unserem Beitrag wollen wir einen Beitrag zu einer angemessen-realistischen Einschätzung von ETFs beitragen.
Wir werden im zweiten Teil unserer Untersuchung einen Schritt weiter gehen und uns in Ursachenforschung des ETF-Sterbens üben. Wie kommt es, dass so viele ETFs vom Markt genommen werden? Zur Erinnerung: Das ist nicht nur Stoff für abstrakte Statistiken, sondern hat zur Folge, dass Anlegern, die auf Stabilität und Kontinuität ihrer Investment-Strategien setzen, millionenfach Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.
Wir sind im Herbst 2023 in einer marktbreiten Untersuchung dem Scheitern vieler aktiv verwalteter Fonds auf die Spur gegangen. Ein Ergebnis war, dass teure Fonds früher sterben als günstige Fonds. Ein weiteres, das wenig überraschend kommt, dass günstige Fonds eine bessere Performance-Prognose haben als teure. In der kommenden Woche wollen wir im zweiten Teil unserer Untersuchung den Ursachen der mittelprächtigen Erfolgsquote von ETFs nachgehen.