Risikomärkte 2023: Wie sich positionieren im Auge des Orkans?

Eigentlich war das Szenario für den Rest des Jahres klar: Die hohen Zinsen würden den Märkten zu schaffen machen. Aktien, Anleihen und Rohstoffe brachen zwischen Juli und Oktober  ein. Doch seit Anfang November ist alles anders. Die Risikomärkte 2023: Bilder eines herbstlichen Stimmungswechsels, der möglicherweise nicht nachhaltig ist.

Macht Hedgefondsmanager Bill Ackman den Unterschied?

Im Nachhinein wird man nicht sagen können, was den bemerkenswerten Umschwung in den vergangenen Tagen bewirkt hat. Bis Ende Oktober mussten Anleihen monatelang immer dramatischere Verluste hinnehmen. Zehnjährige US-Treasuries durchbrachen die Fünf-Prozent Marke – zum ersten Mal seit 2007. Doch dann wurde ruchbar, dass Hedgefondsmanager Bill Ackman eine Short-Wette gegen US-Staatsanleihen „geschlossen“ hatte. Seine Wette gegen 30-jährige Treasuries brachten dem Manager des Pershing Square Fonds dem Vernehmen nach einen Gewinn von 200 Millionen Dollar ein. Die begleitende Botschaft Ackmans: Da sich die Wirtschaft in den USA verlangsame, sei eine Wette gegen langlaufende Staatsanleihen „zu riskant“ geworden. Hat also der „Hedgie“ den Markt „gemacht“?

Fed vs. US-Konsument: wer bricht zuerst ein?

Vielleicht war es aber auch der bärenstarke US-Konsument, der  Anleiheninvestoren überzeugt hat, dass ihr Pessimismus verfehlt war. Immer wieder zeigen die US-Wirtschaftsdaten, dass der US-Konsument nicht gedenkt, mit dem Konsum aufzuhören und die US-Wirtschaft entsprechend keine Wachstumspause einlegt. Die bis ins dritte Quartal zu beobachtende Inversion der Zinskurve spricht dafür, dass die meisten Bond-Anleger ziemlich lange von einer Rezession ausgingen. Doch es kippen offenbar immer mehr Pessimisten um. Das BIP in den USA ist im dritten Quartal um annualisiert 4,9 Prozent gewachsen. Damit wurde das Bären-Szenario einer harten Prüfung unterzogen. 

Aber vielleicht lag es auch an der US-Notenbank, die im September eine Zinspause einlegte. Sie hielt sich zwar ostentativ alle Optionen offen. Aber immer weniger Anleger nahmen der Fed ab, dass sie weiter an der Zinsschraube drehen werde – zumal die Inflation stetig zurückgeht, was die Notwendigkeit von Zinserhöhungen mindert.

Wie dem auch sei: Seit Ende Oktober zeigen sich die Risikomärkte 2023 wie ausgewechselt: Nicht nur Anleihen legten zu – Aktien, Anleihen und Rohstoffe im Gleichklang seit Anfang August deutliche Verluste gezeigt, üben sich die Märkte seit rund zehn Tagen in einer regelrechten Aufholjagd. Gewinner sind auf der Aktienseite vor allem die Papiere, die in den vergangenen drei Monaten regelrecht eingebrochen waren: Nebenwerte, Tech- und andere Growth-Aktien, Luxuskonsumgüter-Aktien, Euro-Südländer-Aktien.

Die Risikomärkte 2023: Was können Anleger aus ihnen lesen? Zwei Szenarien bieten sich an:

Risikomärkte 2023: Das Bullenszenario

Das Bullenszenario: Die Gegenbewegung im November ist keine Drei-Tages-Fliege. Das bedeutet, dass die Risikomärkte nach einem „Dreimonatsdurchhänger“ die Aufwärtsbewegung des ersten Halbjahres fortsetzen. Dann sollten Anleger alles kaufen, was in den vergangenen Tagen gestiegen ist: Nebenwerte, Emerging Markets, Tech-Aktien, Growth- und Südeuropa-Aktien. Hintergrund dieses Szenarios ist, dass die Konjunktur weltweit – vor allem in den USA – so robust ist, dass keine Rezession zu erwarten ist.

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Rendite in Prozent und in Basiswährung, Stand der Daten: 2.11.2023, Quelle: Morningstar

Zwei Gewinner stechen aus der oberen Tabelle besonders hervor: US-Regionalbanken und Highgrowth-Aktien, letztere in Gestalt des ARK Innovation ETF von Cathie Wood. Der ARK Innovation verlor zwischen August und Oktober gut 30 Prozent, schnellte in den vergangenen zwei Börsentagen um gut zehn Prozent nach oben. US-Regionalbanken stiegen in den vergangenen Tagen immerhin um knapp sechs Prozent nach Verlusten von rund 18 Prozent in den drei Monaten zuvor. Doch auch Value-Aktien, die sich typischerweise in zyklischen Branchen finden, dürften profitieren.

Das Bullenszenario setzt allerdings einen ziemlich heiklen Balance-Akt voraus. Eine allzu robuste Konjunktur könnte die Notenbanken dazu verdonnern, die Zinsen weiter zu erhöhen. Dann stünde den Anlegern, die derzeit kein Wässerchen trüben kann, in den kommenden Wochen und Monaten erneut ein Schock bevor. Dann würde es in der Risikokiste wieder ordentlich rappeln, und die November-Erholung wäre eine klassische Bullenfalle gewesen. Gerade Cathie Woods Lieblinge und die – in vielen Fällen mit ihnen verbandelten – US-Regionalbanken wären zwei prominente Opfer.

Risikomärkte 2023: Das Bärenszenario

Das Bärenszenario: Der Rebound der vergangenen Tage ist eine Bullenfalle und die Risikomärkte verlieren 2023 weiter an Boden, der Trend, der sich zwischen Juli und Oktober gezeigt hat, setzt sich fort. Dieses Szenario tritt ein, wenn die Konjunktur in den USA schwächelt. Steigende Ausfallraten bei Highyield-Anleihen und bei Kreditkarten-Schulden sprechen dafür, dass die es mit der Stabilität von Unternehmen und Privathaushalten tatsächlich nicht so weit her ist.

Diese Entwicklung ist in China und Europa ohnehin bereits zu sehen – Deutschland mit seiner exportabhängigen Konjunktur befindet sich bereits in einer Rezession, die Eurozone dürfte folgen. In einem derartigen Szenario wären Gold und sichere Anleihen zwei Assets, die man haben sollte. Auch Cash zählt in diesem Szenario dazu, da die Notenbanken auch bei einer Rezession nicht sofort mit Zinssenkungen loslegen dürften. Grund hierfür ist, dass die Kerninflation noch viel zu hoch ist. Und weil die Fed und EZB von der galoppierenden Inflation 2021 und 2022 auf dem falschen Fuß erwischt wurden,  werden sie sich mit Zinssenkungen schon deshalb lange Zeit lassen, um sicherzustellen, dass das Gespenst der Inflation nicht doch ein Comeback wagt.

Rendite in Prozent und in Basiswährung, Stand der Daten: 2.11.2023, Quelle: Morningstar

Doch auch das Bärenszenario hat es in sich. Weil die Inflation hartnäckig hoch bleiben könnte, ist es nicht ausgemachte Sache, dass Anleihen zu den Gewinnern zählen würden – so, wie man es angesichts des Renditeniveaus bei einer Rezession vermuten könnte. Als in den 1970-er Jahren sowohl Inflation als auch Rezessionen herrschten, verloren sowohl Aktien als auch Anleihen an Wert – das Angstwort „Stagflation“ machte damals die Runde – wie übrigens auch 2022, als beide großen Anlageklassen heftige Verluste verbuchen mussten.

Ein Stagflations-Trade setzt übrigens keine überschießenden Energiepreise voraus. Die aktuell restriktivere Förderpolitik der Opec+-Gruppe könnte durch die sinkende Nachfrage ausgeglichen werden, die bei einer Rezession weltweit droht. Die schweren Verwerfungen bei den Herstellern alternativer Energien zeigen, dass nach wie vor Lieferkettenprobleme ein Thema sind.

Der Stagflations-Trade zeigte übrigens bereits zwischen August und Oktober seine hässliche Fratze – klassische Mischfonds, die hälftig aus Aktien und Anleihen bestehen, mussten mittlere einstellige Verluste hinnehmen.

Übrigens wären auch die vielen Quality-Aktien irgendwann gefährdet, die Anleger jetzt als Stagflations-Hedge bevorzugen. Zwar gelten auf der Aktienseite defensive Aktien in Zeiten einer schwächelnden Konjunktur als relative Gewinner. Aber auch der Quality-Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. Der Absturz der Nifty-Fifty-Aktien in den 1970-er Jahren zeigt, dass auch Quality Aktien nicht immun sind gegen die Stürme der Konjunktur.

Fazit: Am Ende bleibt nur Diversifikation

Die vielen Imponderabilien, die die aktuelle Marktlage mit sich bringt, zeigen, dass Anleger schlecht beraten sind, alles auf die eine oder die andere Karte zu setzen. Die beiden oben diskutierten Szenarien sind mit derart vielen Unsicherheiten behaftet, dass Anleger schon mangels Alternativen zu breit diversifizierten Wertpapierportfolios greifen sollten. Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Cash: wer sich breit aufstellt, sichert sich im Zweifel gegen die vielen Risiken am effizientesten ab.

Nimmt man die prinzipielle Unsicherheit an den Märkten als ständigen Begleiter in Kauf, dann lässt sich ein wichtiger Vorteil gegenüber der langen Nullzinsphase zwischen 2012 und 2021 identifizieren: Cash bringt aktuell eine positive Realverzinsung, und Kurzläufer-Anleihen geben einen weiteren Performance-Schub. Aktive Manager können auf der Risiko-Zins-Seite zudem die ganze Klaviatur der verschiedenen Renten-Investments spielen, sodass der Schlachtruf: „Bonds are back!“ ein cooler Vibe des Jahres 2023 werden könnte – und wer wollte schließlich Bill Ackman widersprechen?

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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