Rüstungs-Aktien

Rüstungs-Aktien: Europa am Scheideweg

Europäische Rüstungs-Aktien sind bereits seit 2022 Profiteure des Krieges in der Ukraine. Jetzt, wo die Verlässlichkeit der USA als Schutzmacht Europas infrage steht, kommt der europäischen Verteidigungsindustrie eine noch größere Rolle zu. Was Anleger wissen müssen.

Donald Trump hat deutlich gemacht, dass die USA kein verlässlicher Partner mehr für Europa sind. Seit Anfang dieser Woche wissen wir, dass er keine weiteren Milliarden für die Ukraine bereitstellen will. Er sucht stattdessen eine schnelle Lösung des Ukraine-Krieges – selbst wenn das russische Gebietsgewinne zur Folge hätte. Europa muss also lernen, verteidigungspolitisch auf eigenen Beinen zu stehen, unabhängig von der Frage, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen wird. 

Selbst ESG-konforme Fonds verabschieden sich immer mehr vom Ausschluss von Rüstungs-Aktien. Laut einem Bericht der Financial Times ist die Zahl der ESG-Fonds, die Rüstungskonzerne ausschließen, seit Ende 2023 von 1.850 auf 1.610 gesunken. Auch der Norwegische Ölfonds erwägt, in Rüstungs-Aktien zu investieren. Rheinmetall, Hensoldt, Leonardo und Co. haben seit 2022 kräftig zugelegt. Besonders steil ging es in den vergangenen Tagen nach oben. Wie geht es weiter?

Von der Leyen pusht Rüstungs-Aktien

Die Europäische Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen hat am Dienstag ein umfassendes 800-Milliarden-Euro-Programm namens “ReArm Europe” vorgestellt, um die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu stärken. Dieses Programm umfasst 150 Milliarden Euro an neuen EU-Darlehen für gemeinsame Verteidigungsinvestitionen, während die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben um durchschnittlich 1,5 % des BIP erhöhen dürfen. Das schafft über die nächsten vier Jahre einen finanziellen Spielraum von fast 650 Milliarden Euro. 

Deutschland hat im vergangenen Jahr erstmals das NATO-Ziel von 2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigungsausgaben erreicht, mit rund 90,6 Milliarden Euro. Allerdings liegt der NATO-Durchschnitt aktuell bei 2,7 %, und es gibt Überlegungen, dieses Ziel auf 3 % oder sogar 3,6 % des BIP anzuheben, was für Deutschland eine erhebliche Steigerung der Verteidigungsausgaben bedeuten würde. 

Abschied von Amerika: geopolitische Konsequenzen

Sollte Trump bei seiner Linie bleiben und müssten die Europäer den Verteidigungskrieg der Ukraine ohne US-Unterstützung fortsetzen, würde dies die finanzielle Belastung der EU-Staaten massiv erhöhen. Die Zukunft der NATO stünde ebenfalls auf dem Spiel, insbesondere wenn Trump die Rolle der USA als Schutzmacht für Europa weiter infrage stellt. Angesichts der transatlantischen Spaltung erscheint es unwahrscheinlich, dass die europäischen Staaten die US-Rüstungsindustrie in bisherigem Ausmaß bei Rüstungsaufträgen bedenken werden. Das lenkt den Blick auf europäische Rüstungskonzerne. Die wichtigsten Rüstungs-Aktien Europas:

Rheinmetall: KGV 34,8 – profitiert von neuen Munitionsfabriken und Investitionen in Panzertechnologie.

Leonardo: KGV 23,7 – spezialisiert auf Drohnen- und Luftabwehrsysteme.

Thales: KGV 23 – stark im Bereich Cybersicherheit und Satellitenkommunikation.

BAE Systems: KGV 18,9 – Nachfrage nach Kampfjets und Luftabwehrsystemen steigt.

Tech, Halbleiter, Cybersicherheit – die zweite Welle

Neben klassischen Rüstungsfirmen profitieren auch europäische Unternehmen in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI), Satellitentechnik, Drohnentechnologie und Cybersicherheit. Europas neue Militärstrategie setzt auf moderne, vernetzte Kriegstechnologie, was sich positiv auf folgende börsennotierte Unternehmen auswirken könnte:

Hensoldt AG: KGV 34,8 – spezialisiert auf Sensorlösungen für Verteidigungs- und Sicherheitsanwendungen.

Airbus SE: KGV 24,9 – als europäischer Luft- und Raumfahrtkonzern im Verteidigungssektor aktiv, entwickelt unter anderem Satellitentechnologie und unbemannte Luftfahrtsysteme.

Atos SE: KGV negativ – bietet Cybersicherheitslösungen an und könnte von erhöhten Investitionen in die digitale Verteidigung profitieren.

Infineon Technologies AG: KGV 31,3 – führender deutscher Halbleiterhersteller, dessen Produkte in verschiedenen militärischen Anwendungen eingesetzt werden, einschließlich Kommunikationssystemen und Sensorik.

Die Finanzierungsfrage – Europas Herausforderung

Die geplante Aufrüstung stellt Europa vor finanzielle Herausforderungen. Optionen sind eine höhere Neuverschuldung, die Nutzung bestehender EU-Fonds oder Umschichtungen im Haushalt. Zusätzlich wird über die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte diskutiert, wobei hier rechtliche und politische Hürden bestehen.

Obwohl höhere Militärausgaben kurzfristig eine Belastung für die Haushalte darstellen, können Investitionen in Forschung und Entwicklung langfristig positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum haben. Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft legt nahe, dass eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben von 2 % auf 3,5 % des BIP das Bruttoinlandsprodukt um 0,9 bis 1,5 Prozent pro Jahr steigern könnte. 

Insbesondere die Entwicklung von Dual-Use-Technologien – also militärischen Innovationen mit zivilen Anwendungsmöglichkeiten – könnte langfristig neue Wachstumsfelder schaffen. Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Drohnen- und Sensortechnik oder Cybersicherheit bieten nicht nur militärische Vorteile, sondern könnten auch neue industrielle Standards setzen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen stärken. 

Wachstumsaussichten kontra Bewertungsprämie

Die geopolitische Lage zwingt Europa zu einer grundlegenden Neuordnung seiner Verteidigungspolitik. Unabhängig davon, ob Trumps Friedensinitiative angenommen oder der Ukraine-Krieg auf eigene Kosten fortgeführt wird, steht eine massive Aufrüstung bevor. Das bedeutet, dass Rüstungsunternehmen und Technologieanbieter in den kommenden Jahren steigende Umsätze verzeichnen werden.

Allerdings stellt sich für Investoren die Frage, inwieweit dieses Wachstum bereits eingepreist ist. Viele europäische Rüstungswerte, allen voran Rheinmetall, haben sich in den letzten Jahren vervielfacht. Mit einem KGV von knapp 35 ist das Unternehmen zwar profitabel, aber kein Schnäppchen mehr. Ähnlich sieht es bei Thales und Leonardo aus, die von steigenden Verteidigungsausgaben profitieren, aber mittlerweile sportliche Bewertungsniveaus erreicht haben.

Zwar bleiben die langfristigen Aussichten für die Branche positiv, doch kurzfristige Rücksetzer sind angesichts der starken Rally nicht auszuschließen. Kurzfristig bleibt die Bewertung vieler Rüstungstitel eine Herausforderung, langfristig könnte der Sektor jedoch eine Schlüsselrolle in Europas wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Zukunft spielen. 

Aktuell finden sich Rüstungs-Aktien vorwiegend in Fonds aus dem Sektor Industrials. Spezialisierte Rüstungs-Fonds, die aktiv verwaltet sind, gibt es in Deutschland nicht. Indes finden sich sechs ETFs mit einem Fokus auf das Thema Landesverteidigung. Diese ETFs stellen wir in einem separaten Beitrag vor.

Autor

  • Steffen Gruschka ist CFO und Co-Geschäftsführer von Envestor. Er ist seit über 25 Jahren Fondsmanager für Emerging-Markets-Aktien, zunächst bei der DWS, heute bei Pyfore Capital, wo er als Berater für den Emerging Markets Digital Leaders verantwortlich zeichnet.

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Steffen Gruschka

Steffen Gruschka ist CFO und Co-Geschäftsführer von Envestor. Er ist seit über 25 Jahren Fondsmanager für Emerging-Markets-Aktien, zunächst bei der DWS, heute bei Pyfore Capital, wo er als Berater für den Emerging Markets Digital Leaders verantwortlich zeichnet.
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