Ist Trump ein Papiertiger oder der große Revolutionär, der eine neue internationale Welthandelsordnung etabliert? Trumps Handelskrieg: 100 Tage nach seinem Amtsantritt neigen Anleger eher zur Papiertiger-These. Was dafür, was dagegen spricht.
Die Schockwellen des „Liberation Day“ wirken nach. Die globalen Märkte erlebten zunächst einen dramatischen Abverkauf Anfang April, nachdem Trump im Rosengarten des Weißen Hauses Partner und Gegner mit massiven Zöllen unter Druck setzte. Seitdem ist Trump in etlichen Punkten zurückgerudert. Die Märkte haben mit einer furiosen Erholung reagiert. Ist Trump also ein „Papiertiger“, dessen Ankündigungen schnell an den Realitäten der Märkte zerschellen? Oder war dies erst der Anfang des Rollouts einer revolutionären Strategie, mit der MAGA-America im Schatten konventioneller Erwartungen eine neue Architektur ökonomischer Souveränität bzw. US-Neoimperialismus schmiedet? Die Antwort entscheidet nicht nur über Marktvolatilität – sie markiert eine mögliche Zäsur im globalen Welthandel. Unser Take.
Trump als Papiertiger: Märkte als der Meta-Akteur
Die erste Lesart, populär unter kurzfristig orientierten Marktakteuren, positioniert Trump als medienwirksamen Populisten, dessen politische Maximalforderungen regelmäßig im Angesicht der Finanzmärkte zurückgenommen werden. Die Beweislage ist nicht trivial: Der abrupte Verzicht auf Strafzölle gegen die EU, Kanada und Mexiko nach dem globalen Kurseinbruch belegt eine unmittelbare Reaktionslogik auf Kapitalmarktsignale. Auch gegenüber China wich Trump bereits mehrfach zurück, sobald die Eskalation reale ökonomische Folgekosten produzierte.
In dieser Interpretation sind die Finanzmärkte selbst der hegemoniale Akteur – vor allem die Volatilität an den Bond-Märkten hat demnach das MAGA-Lager verunsichert. Demnach bliebe Trumps Politik eingebettet in das Regime der globalen ökonomischen Interdependenz. Die Globalisierung lebt weiter, nicht durch politische Zustimmung, sondern durch systemische Sachzwänge. Der US-Präsident ist in dieser Rolle kein Gestalter, sondern ein reagierender Populist mit begrenzter strategischer Tiefe. Die Märkte haben dieses Muster erkannt und antizipieren es als „Trump-Routine“ – wodurch politische Drohungen zunehmend als taktisches Theater rezipiert werden.
Für europäische Investoren ergibt sich daraus eine handlungsleitende Perspektive: Buy America – aber selectively. Solange Trumps Impulse durch die institutionelle Marktdisziplin korrigiert werden, bleiben US-Kapitalmärkte trotz politischer Volatilität effizient, innovationsgetrieben und durchsetzungsstark. Der Dollar bleibt Weltleitwährung, amerikanische Assets sind in geopolitisch fragmentierten Zeiten der verlässlichste Anker liquider Allokation.
Trump als Revolutionär: Rückbau der liberalen Ordnung
Die Gegenthese verortet Trumps Handelsagenda in einer langfristigen, tektonischen Neuausrichtung. Die Zolldrohungen sind demnach kein kurzfristiges Druckmittel, sondern Bestandteil einer doktrinären Verschiebung: weg von der regelbasierten Handelsordnung der WTO, hin zu einem transaktionalen Modell souveräner Wirtschaftsblöcke. Dass Trump bei Verbündeten zurückrudert, während er gegenüber China eskaliert, ist in dieser Logik kein Zeichen von Inkonsequenz – sondern Ausdruck strategischer Fokussierung auf den systemischen Rivalen.
Der ökonomische Nationalismus, wie ihn Trump vertritt, ist damit nicht ideologisch beliebig, sondern rational konstruiert: Er zielt auf strategische Autonomie, Rückverlagerung kritischer Produktion, Kontrolle über Schlüsseltechnologien und eine bilaterale Neuverhandlung des globalen Handelsgeflechtes – unter asymmetrischer US-Führung. Zölle sind hier nicht primär fiskalisches Instrument, sondern geopolitisches Druckmittel. In dieser Konstellation könnten Kapitalmärkte nicht länger als Korrektiv fungieren, sondern würden selbst zum Objekt strategischer Steuerung. Mit anderen Worten: Trump etabliert demnach ein abgeschottetes, merkantilistisches System, in dem die USA durch massive globale Machtprojektion Freund und Feind einschüchtert und rücksichtslos US-Interessen durchsetzt.
Für europäische Anleger wären die Implikationen tiefgreifend: Wer erwartet, dass Europa und China sowie die anderen Länder des globalen Südens Gegenmacht bilden, setzt auf eine Sell America-Strategie. Sollte sich die protektionistische Logik verstetigen, stünde das transatlantische Kapitalregime vor einer strukturellen Erosion. Der Dollar könnte als politisiertes Asset dysfunktional werden, die Attraktivität US-Staatsanleihen sinken, internationale Investoren sich umorientieren. In einem solchen Szenario wären Allokationen in regionale Binnenmärkte – etwa Südostasien, Indien, ausgewählte EU-Sektoren – nicht nur opportunistisch, sondern strategisch zwingend.
Doch auch eine andere Reaktion wäre denkbar. Wer glaubt, dass die USA durchkommen mit einer neuen gewalttätigen Hegemonie, kauft Amerika, und zwar ohne Wenn und Aber. Allerdings würde dies bedeuten, dass man unterstellt, dass in Washington alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das macht diese Reaktion eher zu einer Minderheitenmeinung.
Hält China Trump in Schach?
Die Antwort auf die Frage, ob Trump ein Papiertiger oder ein strategischer Systemveränderer ist, hängt letztlich nicht von Europa oder Kanada ab – sondern in allererster Linie von China. Peking ist die einzige Macht, die ökonomisch, technologisch und geopolitisch in der Lage ist, Trump auf Augenhöhe zu kontern. Die chinesischen Gegenzölle nach Trumps Eskalation waren nicht symbolisch, sondern präzise und gezielt: weitgehend reziproke auf Agrarprodukte, Technologiekomponenten und hochsensible Lieferketten. Auch die Ausfuhr strategischer Rohstoffe wie Seltene Erden wurde gedrosselt. Die Botschaft war klar: China lässt sich nicht erpressen.
Zugleich hat die Reaktion des globalen Südens, aber auch der EU, deutlich gemacht: Niemand hat ein Interesse, sich zwischen Washington und Peking zu positionieren. Der Handelskonflikt wird nicht multilateralisierbar – er bleibt eine bilaterale Konfrontation zweier Imperien, die um die Gestaltungsdominanz des 21. Jahrhunderts ringen. Wenn Trump an China scheitert, scheitert auch das Modell des wirtschaftlichen Nationalismus. Gewinnt er, könnte das postglobale System zerbrechen. Diese Asymmetrie macht China zum Hauptakteur einer offenen Systemfrage – und das Verhalten der übrigen Welt zum Spiegel strategischer Passivität.
Für Investoren heißt das: Wer das Ringen zwischen den USA und China nicht versteht, versteht die Kapitalmärkte der kommenden Dekade nicht.
Zauberlehrling Trump: Unkontrollierbarer Systembruch?
Die zentrale Frage lautet nicht, ob Trump mit seinem Handelskrieg die globale Handelsordnung revolutionieren will, sondern ob er es kann. Auch wenn Inszenierung zu Trumps Politik zählt – dass er Handelsdefizite als Gefahr sieht und Zölle mag, ist seit den 1990er Jahren bekannt. Nachdem Trump im April von seiner Maximalpolitik, die er am 2. April verkündet hat, zügig zurückgerudert ist, verhalten sich die Kapitalmärkte so, als bliebe die Globalisierung intakt. Doch jede weitere Eskalationsrunde gegenüber China, jede Zolleskalation ohne Rücknahme, verschiebt die Wahrnehmung hin zur zweiten These: dass hier nicht ein erratischer Präsident, sondern ein Revisionist, ein Revolutionär am Werk ist.
Für europäische Anleger heißt das: Die Unsicherheit ist nicht nur ökonomisch, sondern auch sicherheitspolitisch. Sie betrifft nicht nur Preise, sondern das zugrunde liegende Ordnungsmodell des Welthandels und die Rolle der “Rule of Law”. Was den Welthandel betrifft, finden sich die Europäer tendenziell auf der Seite Chinas, mit Blick auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dagegen nicht.
Davon ausgehend sollten Anlegende nicht nur auf Makrodaten schauen, sondern auch geopolitische Szenarien aufstellen. Angesichts der Dominanz von US-Aktien sind klassische ETF-Aktienportfolios – Stichwort MSCI World – über Gebühr riskant, weil sie die globale Ordnung widerspiegeln, die Trumps Handelskrieg massiv ins Visier nimmt. Spiegelbildlich dazu reflektieren klassische Emerging-Markets-Indizes ein hohes China-Gewicht. Auch hier gilt es also abzuwägen.
Trump ist kein Papiertiger. Aber er ist auch kein Allmächtiger. Er ist ein Katalysator, der langfristige Prozesse in Gang bringen könnte, über die er aber nur begrenzt die Kontrolle hat. Das erinnert an Goethes Zauberlehrling. Dieser beschwört Geister, die er nicht mehr bannen kann. Auch Donald Trump wirkt – bewusst oder nicht – als ein solcher Beschleuniger. Er entfesselt Kräfte, deren Eigendynamik womöglich weit über seine Intention hinausgeht: protektionistische Gegenreaktionen, regionale Blockbildungen, eine Erosion multilateraler Regeln. Ob er dabei Kontrolle behält oder selbst zum Getriebenen seiner eigenen Erzählung wird – das ist die offene, entscheidende Frage.
Die Turbulenzen am US-Rentenmarkt im April liefern darüber ein beredtes Zeugnis ab, dass die Dinge Trump entgleiten könnten. Das macht ihn zu einer nicht unterschätzenden Gefahr. Europäische Investoren haben laut einer Aufstellung von Goldman Sachs in den letzten zwei Monaten mit ihren Füßen abgestimmt und in US-Aktienfonds und -ETFs im Wert von 17 Milliarden Dollar verkauft. Wer das globale System aus dem Gleichgewicht bringt, wird nicht derjenige sein, der es neu ordnet.
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Steffen Gruschka ist CFO und Co-Geschäftsführer von Envestor. Er ist seit über 25 Jahren Fondsmanager für Emerging-Markets-Aktien, zunächst bei der DWS, heute bei Pyfore Capital, wo er als Berater für den Emerging Markets Digital Leaders verantwortlich zeichnet.
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