Verluste bei Aktien machen Anleger nervös

Den Start ins neue Börsenjahr dürften sich die meisten Investoren anders vorgestellt haben – es fielen Verluste bei Aktien an. Das hat auf die Stimmung gedrückt. Doch was ist genau passiert? Waren die Verluste nur temporärer Natur? Eine willkommene Korrektur auf dem Weg nach oben? Eine Übertreibung? Oder nur der erste Schritt einer Neubewertung von Aktien? Eine Analyse für Fondsanleger.

Wo Verluste zu einer Korrektur und die zu einem Bärenmarkt wurden

Der Start ins Börsenjahr kann nur als misslungen bezeichnet werden – fast alle Märkte haben in den vergangenen vier Wochen ordentlich nachgegeben. Aber es gibt Abstufungen. Zunächst einmal rufen uns die roten Zahlen an den Kurstafeln in Erinnerung, dass Aktien janusköpfige Wesen sind. Die herrlichen Renditen der vergangenen Jahre finden ihre Entsprechung in punktueller Volatilität, die irgendwie doch immer auf überraschende Weise ihr hässliches Gesicht zeigt. Ohne Risiken sind Renditen nun einmal nicht zu haben. So weit, so manifest im Jahr 2022. Aber es gibt unterschiedliche Aspekte zu beachten.

Zunächst einmal wollen wir über Begrifflichkeiten aufklären, die zur Einordnung wichtig sind. Bei manchen Märkten ist das Geschehene nicht der Rede wert. Etwa beim DAX40. Auch wenn Anfang dieser Woche dicke Minuszeichen dominierten, so verlor der DAX in diesem Jahr gerade einmal 4,8 Prozent (Stand Börsenschluss am 25. Januar). Der MDAX büßte gut 7,5 Prozent ein. Die meisten anderen europäischen Börsen verloren ähnlich viel bzw. wenig. Eurozonen- und Europa MSCI-Benchmarks gaben um etwas über fünf Prozent nach. Der S&P 500 verlor 7,5 Prozent. Das ist, wie gesagt, ziemlich unauffällig. (Alle Performance-Angaben sind in Euro gerechnet.) Die blau markierten Balken der unteren Grafik markieren die unauffälligen Märkte.

Verluste an den Aktienmärkten: Abstufungen
Verluste in Euro und in Prozent, Daten per 25.1.2022, Quellen: Envestor, Morningstar

In einigen Märkten, die in der oberen Grafik gelb markiert sind, ging es dagegen deutlich stärker nach unten. Hier gab es sogenannte Korrekturen. Von einer Korrektur spricht man, wenn ein Index oder ein Portfolio mehr als zehn Prozent in einem definierten Zeitraum verlieren. Nur wenige Benchmarks befinden sich 2022 im Korrekturmodus. Mehr als zehn Prozent gaben 2022 Indizes wie der Nasdaq nach. Der Index für Wachstumswerte verlor 2020 bisher 12,5 Prozent. Auch Nebenwerte vom Schlage eines SDAX büßten gut elf Prozent ein. Deutlich höher waren die Verluste bei Internet-Aktienindizes wie dem DJ Internet Composite. Er verlor bisher 16,5 Prozent. Auch der russische RTSI sackte mit einem Minus von über 17,5 Prozent ab. (Das ist Ausdruck des Sonderfaktors Ukraine-Krise; auf politische Krisen reagieren Anleger kurzfristig sehr nervös).

Kommen wir nun zu Indizes und Portfolios, die sich inzwischen in einem im sogenannten „Bärenmarkt“ befinden. Diese sind in der Grafik rot koloriert. Hier gibt hier es nur wenige Opfer zu beklagen: spezialisierte Software-Firmen, etwa Software as a Service Anbieter (SaaS), die zwar wachsen, aber von denen viele keine Gewinne schreiben, zählen zu den Aktiengruppen, die hohe Verluste hinnehmen mussten. Für solche Aktien gibt es allerdings keine bekannten Indizes (Der DJ Internet Commerce hat bisher in 2022 unter 20 Prozent verloren). Daher haben wir einige bekannte Fonds-Vertreter abgebildet, die in diese Firmen investieren.

Zu den weiteren Verlierern zählen Kryptowährungen. Der Bitcoin-Preis brach bisher in diesem Jahr um über ein Drittel ein. Allerdings hat das kaum einen Otto-Normal-Anleger getroffen. Die obere Grafik zeigt, zusammenfassend auf den Punkt gebracht: Einige Gewinner, einige kleinere und wenige größere Verlierer. Das illustriert, dass die Verluste an den Märkten an sich nicht der Rede wert sein sollten. Nur wenige Segmente waren betroffen. Warum also die große allgemeine Verunsicherung – auch und gerade in den (sozialen) Medien?

Krypto-Verluste und High Growth Portfolios machen viel Rauch

Dass die Aufregung dennoch spürbar ist, auch in Gestalt des VIX, dem sogenannten Angstindex, der die erwartete Volatilität des US S&P 500 misst, liegt daran, dass vor allem hochprofilierte Anlagebereiche in den Strudel der Verluste gezogen wurden. Stichwort: Highgrowth-Werte. Es gibt zwar nur wenige bekannte Indizes für kleine Tech-Aktien, aber etliche prominente Fonds, etwa der BIT Global Internet Leaders, der 10XDNA Disruptive Technologies und der Nikko ARK Disruptive Innovation. Diese Vehikel brachen in diesem Jahr ein. Promi-Fonds, hinter denen Namen wie Frank Thelen oder ARK-Chefin Cathie Wood stehen, haben eine weitaus größeren Nachhall in der veröffentlichten Meinung, als es ihrer realen Bedeutung in deutschen Portfolios entspricht.

Eng damit verbunden ist der Crash bei einigen ikonischen Einzel-Assets – etwa Aktien wie Tesla oder Peloton, oder Krypto-Assets wie Bitcoin, die vor allem bei den jüngeren Selbstentscheider-Trendsettern stark vertreten sind. Das sind die, die am lautesten für ihre Favoriten trommeln – die gerade fürchterliche Prügel an den Märkten einstecken müssen. Was in manchen Quartieren fälschlicherweise als relevant für die Allgemeinheit missverstanden wird. (Am Rande: Crash-Guru Dirk Müller liegt, auch in diesem Jahr, mit seinem Fonds Dirk Müller Premium Aktien im Minus. Gerade 2022 hätte er punkten müssen!)

Nicht hilfreich ist, dass viele Auguren die Lage zudem dramatischer darstellen, als sie ist. Wir haben weiter oben Begriffe wie „Korrektur“ oder „Bärenmarkt“ erläutert. Gemessen an der Entwicklung in diesem Jahr sind die Verluste überschaubar, so dass sich eigentlich nur wenige Märkte und das auch nur knapp in Bärenmarktphasen stecken.

Bei überteuerten Assets ist der maximale Verlust für die Praxis irrelevant

Macht man dagegen den bisher erreichten Höchststand der Märkte zum Maßstab, dann fällt das Minus bei einigen Märkten um einige Prozentpunkte höher aus. Aber wie relevant ist es zu wissen, um wie viel überteuerte Investments von ihrem absoluten Höchstpunkt abgeschmiert sind? Im November markierten viele Highgrowth-Aktien und -Indizes Höchstmarken. Seitdem verloren die oben erwähnten Fonds BIT Global Internet Leaders über 35 Prozent, 10XDNA knapp 32 Prozent und der Nikko ARK Disruptive Innovation über 40 Prozent. Für diejenigen, die im November in diese Fonds investierten, entsprechen die maximalen Drawdowns des tatsächlichen Verluste, die sie im Depot sehen können. Aber diese Zahlen sind für die meisten Anleger Schall und Rauch oder allenfalls ein Einstiegssignal.

Es ist dagegen sehr bedauerlich, das kaum jemand von der hervorragenden Performance von Value-Investments in diesem Jahr spricht. Der MSCI Europe Value lag per 25.1. mit knapp einem Prozent im Plus, und auch der britische Leitindex FTSE 100, der stark Value-getrieben ist, pendelte um die (schwarze) Nulllinie. Man musste also in diesem Jahr nicht nur auf Energie-Aktien, Banken oder exotische Assets setzen, um Kursverluste zu vermeiden!

Allerdings glüht das Feuer der US-Notenbank am Horizont

Ginge es also bloß um das bisherige Geschehen, dann wären die Verluste an den Märkten allenfalls eine Randnotiz wert. Denn kaum ein Anleger wird signifikante Verluste in breit aufgestellten Portfolios erlitten haben. Es ist zwar bedauerlich, dass viele jüngere Anleger mit Meme-Stocks, Kryptos und Highgrowth-Aktien zuletzt schlechte Erfahrungen gemacht haben, aber auch die haben, sofern sie nicht in den vergangenen sechs Monaten investiert haben, auf eine vermutlich erfreuliche Performance zurückblicken.

Doch es ist noch mehr im Gange als eine Korrektur bei Übertreibungs-Segmenten. Das Geldpolitische Regime steht vor einem Wechsel. Vordergründig zunächst nur in den USA (und ein wenig in Großbritannien), aber wenn die US-Notenbank eine Vorgabe macht, dann ist das relevant für die Anleihenmärkte weltweit. Die Fed ist offenkundig von der hohen Inflationsrate in den USA auf dem falschen Fuß erwischt worden. Sie schickt sich jetzt an, mit deutlich mehr als die bisher erwartete Zinserhöhungen dagegen zu halten und auch früher als geplant aus den Anleihekaufprogrammen auszusteigen. Geht es am Bond-Markt ruckartig und überraschend zu, dann resultiert das in aller Regel auch an den Aktienmärkten in Turbulenzen.

Optimisten sollten dabei folgendes Szenario ausschließen: Fed-Chef Jerome Powell wird nicht im Angesicht steigender Volatilität an den Aktienmärkten die eingeleitete straffere Linie kassieren, so, wie er es Anfang 2019 auf politischen Druck von Präsident Trump tat. Die Situation ist heute eine ganz andere. Eine Inflation war 2019 nicht im Ansatz vorhanden. Zwar hat die Fed ein deutlich breiteres Mandat und hat in ihrem Handeln, anders als die EZB, auch den Arbeitsmarkt im Blick. Aber die Fed ist eben kein Pudel der Aktienmärkte. Es ist nicht ihr Mandat, die Interessen der Silicon Valley Unternehmer-Milliardäre, die von den Folgen tiefer Zinsen profitiert haben, über das Wohlergehen der US-Gesellschaft zu stellen.

Ausblick 2022: Volatilität, Unsicherheit, aber vermutlich kein Beinbruch

Anleger müssen sich mit den neuen Rahmenbedingungen an den Märkten „anfreunden“. Das bedeutet, dass sie nicht mehr davon ausgehen können, dass alles steigt. Steigt der Preis des Geldes, dann werden nicht alle Boote von der Flut gehoben wie bisher. Es wird Gewinner geben – wie auch Verlierer. Die neue Linie der US-Notenbanken birgt Risiken in sich, die Anleger bisher nicht auf dem Radar hatten. Auch die geopolitischen Risiken, die die Ukraine-Krise mit sich bringt, werden in diesen Zeiten manifest (da sie sich kaum modellieren lassen, belassen wir es hier bei der bloßen Erwähnung als potentiell relevant.) Lässt sich die Inflation nicht durch Zinserhöhungen bändigen und verlangsamen sich die Wirtschaftsaktivitäten infolge dessen, droht die so genannte Stagflation. Das wäre für Aktien und Anleihen gleichermaß unfriedlich, wobei diese Entwicklung eher kein Basisszenario sein sollte.

Halten wir also fest, dass die Zeit der sorglosen Spekulation zu Ende geht. Der Lamborghini wird also möglicherweise nicht wie geplant 2022 vor der Tür stehen (oder 2025 oder 2030…). Aber angesichts u.a. der guten Chancen auf eine robuste Konjunkturentwicklung, könnte man auch ein positives Szenario entwerfen, so wir das in unserem Jahresausblick für dieses Jahr geschrieben haben: „Aus der höchst spannenden Gemengelage werden sich einige positive und einige negative Teilszenarien einstellen. Je nach Mischung können die Aktienmärkte erstmals seit 2018 – das Jahr haben wir übrigens alle locker überlebt! – 2022 im Minus landen. Anleihen werden dann ein denkbar schlechtes Investment sein, Gold wird auf der Stelle treten und Kryptos werden auch eher enttäuschen.“ Das wäre eine Verlängerung des Status Quo im Januar auf den gesamten Verlauf dieses Jahres. Anleger dürften ab jetzt selektiver vorgehen, ohne den Primat der Aktien aufzugeben – die Renditen an den Bond-Märkten sind nach wie sehr mickrig!

Als Research-getriebene Plattform fühlen wir uns – noch – sehr wohl mit unseren bisherigen Einschätzungen, die nie auf Markttiming, wohl aber auf eine möglichst effiziente Portfolio-Diversifikation abheben. Wir haben Anlegern frühzeitig empfohlen, mehr auf Substanzwerte zu setzen, und wir haben bereits vor gut sechs Monaten darauf hingewiesen, dass US-Aktien, und dabei vor allem Technologiewerte, ein zu hohes Gewicht in vielen Portfolios haben, vor allem in ETFs auf dem MSCI World Index. Korrespondierend dazu haben wir Anfang des Jahres dazu geraten, stärker auf Europa Aktien in diesem Jahr zu setzen. Auch wenn diese Prognosen immer wieder durch das Marktgeschehen in Frage gestellt werden dürfte, so meinen wir, dass sich die Vorteile der Diversifikation langfristig deutlich bemerkbar machen werden.

So gesehen stimmen wir dem Sponti-Spruch von heute „keep calm and buy stocks“ einerseits zu, würden diesen aber ergänzen um den Passus: „keep calm and buy stocks, but stay diversified“.

 

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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