Aktienvolatilität im Sommer: Alles nur ein Sturm im Fischteich?

Anfang August wurden die Märkte von einer heftigen Verkaufswelle erfasst. Die Aktienvolatilität steigerte sich auf Niveaus, die an Corona und Finanzkrise erinnern. Seitdem hat eine Aufholjagd die Verluste fast ausgeglichen. Was Anleger aus der Aktienvolatilität im Sommer lernen können.

Der Schlag Anfang August kam vollkommen unerwartet. Nach schwachen US-Arbeitsmarktdaten und einer Zinserhöhung der Bank of Japan brachen die Aktienkurse am 5. August weltweit ein. Die Aktienvolatilität stieg dramatisch an. Der VIX, der sogenannte Angstindex, sprang auf einen Wert von über 65 – die implizite Aktienvolatilität beim S&P 500 belief sich also auf 65 Prozent. Anleger waren also – gelinde gesagt – ziemlich nervös. Seitdem haben sich die Kurse allerdings beruhigt; am Montag dieser Woche waren die Kurse in den USA und Europa sogar fast wieder auf dem Niveau ihres Juli-Hochs.

Anleger drängen sich drei Fragen drängen auf: Wer oder was war der Auslöser – whudunnit? Waren die Kursstürze vor zwei Wochen der Beginn einer Korrektur oder schon deren Höhepunkt? Und, vor allem: was sollten Anleger aus den Ereignissen lernen?

Marktvolatilität im Sommer: Whodunnit?

Im Nachhinein haben Analysten und Medien viele mögliche Gründe für die plötzliche Aktienvolatilität ermittelt, hier das Bouquet an Begründungen:

Die Zinsen in den USA sind hoch, und die jüngsten Arbeitsmarktdaten haben Sorgen um die wirtschaftliche Stabilität geschürt. Manche Marktteilnehmer werfen der US-Notenbank vor, die Zinsen nicht bereits gesenkt zu haben und befürchten eine „harte Landung“, also eine Rezession in den USA.

Ein anderer Erzählstrang handelt von geopolitischen Spannungen im Nahen Osten. Nach Attentaten gegen islamistische Funktionäre im Libanon und dem Iran erwarten viele Gegenschläge der Hisbollah und des Iran gegen Israel, was die Eskalationsspirale weiterdrehen könnte.

Schlussendlich wird die jüngste Zinserhöhung der Bank of Japan als Ursache aufgeführt: Diese hat dem Yen zu neuer Stärke verholfen, was zur Auflösung von Carry-Trades geführt habe.

Auch die hohen Bewertungen von US-Technologieaktien und der KI-Hype wurden als Faktor für die Verkaufswelle an den Aktienmärkten genannt.

Alle die oben genannten Begründungen klingen plausibel, aber im Endeffekt wird man es nie wissen. Gesichert lässt sich aber nur sagen, dass ab der zweiten Julihälfte mehr Anlegende verkauft, als andere gekauft haben.

August-Rücksetzer: Kommt die Neubewertung von Risiken?

Gesichert lässt sich nur sagen, dass die Korrektur Anfang August die Kurse zunächst heftig nach unten trieb, diese sich danach aber zügig erholt haben und Anfang dieser Woche, also gerade einmal zwei Wochen später, alles auf Anfang gedreht wurde. Wer am 20. Juli seine mobilen Daten ausschaltete und sich in einen verlängerten Strandurlaub begab, nahm am 19. August ein Plus im MSCI World von 0,32 Prozent während seiner Abwesenheit wahr. So viel zum Thema Crash – es war kein Crash und im Ergebnis nicht einmal eine Korrektur.

Natürlich wissen wir nicht, ob es das bereits gewesen ist, oder ob uns ein „heißer Herbst“ bevorstehen könnte. Es spricht nicht viel für eine Rückkehr der Volatilität. (Der VIX ist seit dem 5. August regelrecht implodiert und notierte Anfang dieser Woche bei unter 15, was auf Tiefenentspannung der Anleger schließen lässt.) Die oben genannten „fundamentalen“ Gründe für den Rücksetzer sind eher dünn. Da sind einmal die US-Konjunkturdaten: Es wurden weniger Arbeitsplätze im zweiten Quartal geschaffen, als Analysten erwartet hatten. Der US-Jobmarkt ist nicht geschrumpft, sondern nur weniger stark gewachsen. Zudem können einzelne Datenpunkte Fehlsignale sein. Das schwache Wirtschaftswachstum im ersten Quartal hatte beispielsweise auch Befürchtungen über eine beginnende Rezession in den USA geweckt, die im zweiten Quartal nicht eintrat.

Politische Eskalationen sind im Nahen Osten leider Tagesgeschäft – auch wenn das Niveau der Gewalt seit dem 7. Oktober 2023 beängstigend ist. Auch wenn die Quartalszahlen der US-Tech-Giganten nicht brillant waren, waren sie nicht schlecht genug, um einen großen Abverkauf zu rechtfertigen. Börsenhöhenflüge werden typischerweise durch Schocks oder Rezessionen beendet, nicht durch hohe Bewertungen.

Am plausibelsten klingen technische Faktoren, die von der Zinserhöhung in Japan ausgelöst wurden. In Zeiten dünner Börsenumsätze haben aufgelöste Carry-Trades offenbar relativ signifikante Verkäufe ausgelöst. Auch wenn die Zinsen in Japan nur 0,25 Prozent betragen, so war die Erhöhung der Zinsen von 0,1 Prozent auf 0,25 bedeutsam, zumal Carry Trades in aller Regel mit Fremdkapitaleinsatz einher gehen. Professionelle Anleger verschulden sich oft in Niedrigzinswährungen, um das Geld höherverzinst anderswo zu investieren – etwa in Schwellenländern oder auch den USA. Steigen die Zinsen, werden die Karten neu gemischt, und es fließen Gelder aus dem Hochzinsmarkt ab.

Allerdings zeigt die nachfolgende Erholung, dass man dieses Argument nicht zu weit treiben sollte. Mein Eindruck ist, dass Carry-Trades immer dann als Begründung für Marktbewegungen herhalten müssen, wenn Beobachter keine Ahnung haben, warum gerade etwas passiert – ähnlich wie früher die Hinweise auf Aktivitäten von ominösen „Hedgefonds“ oder „Short-Sellern“.

Die oben genannten Faktoren mögen das Zeug haben, in einem umsatzschwachen Sommer punktuell Verkaufswellen auszulösen, solange sich aber keine seriösen Anzeichen einer Rezession einstellen und die Gewinne der Unternehmen einigermaßen stabil bleiben, ist eine länger anhaltende Korrektur schwer vorstellbar – zumal die US-Notenbank aller Voraussicht nach im September erstmals seit März 2020 die Zinsen senken wird, was die Konjunktur stützen wird. Selbst wenn Donald Trump Anfang November die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen sollte, wäre eine Korrektur bei Risiko-Anlagen nicht ausgemachte Sache. Im November 2016 fielen die Kurse nur kurzzeitig am Tag nach Bekanntgabe vom Trumps überraschendem Sieg, danach legte der S&P 500 eine beachtliche Rally hin, die erst durch die – im Ergebnis relativ kurze – Corona-Krise im März 2020 beendet wurde.

Fazit und Ausblick: Was Anleger lernen können

Aus der Kurzkorrektur im August gibt Anlegenden zunächst eine einfache Lektion an die Hand: Nichts tun ist zumeist der beste Ratgeber. Die Unsicherheit an den Kapitalmärkten ist ein ständiger Begleiter – manchmal ist die sie größer, manchmal ist sie kleiner. Und auch die implizite Volatilität ist für Langfristanlegende kein guter Indikator für den Ausstieg. Auch im Jahr 2024 gilt das Motto: Wer sich bewegt, verliert. In den vergangenen zehn Jahren waren Korrekturen schneller vorbei, als man „Crash“ sagen kann. Das war im Dezember 2018 so, wie auch in der Covid-Krise, die bereits nach wenigen Wochen von einer Erholungsrally abgelöst wurde.

Anleger, die sich zu Beginn einer Korrektur entscheiden, laufen Gefahr, die besten Tage zu verpassen. Denn nach einer Korrektur (die Anlegende mitnehmen) folgen die Tage mit den höchsten Kursgewinnen (die besagte „Risikomanager“ verpassen). Wer die langfristig erzielbaren Renditen am Kapitalmarkt mitnehmen möchte, kommt nicht umhin, auch turbulente Phasen auszuhalten. Gestützt wird diese These durch folgende Rechnung: Wer seit Januar 2000 durchgehend in deutsche Aktien investiert blieb, erzielte mit dem DAX (vor Kosten) bis Ende Juli 2024 ein Plus von gut 160 Prozent. Wer dagegen die besten zehn Tage verpasste, landete bei einem Verlust von 25 Prozent. Die Strategie, Aktien oder Fonds zu kaufen und dann nichts mehr tun, auch Buy-and-Hold genannt, ist bestechend einfach und langfristig erfolgreich.  

Das bringt uns zur Frage: Sollten Anlegerinnen und Anleger Krisen also prinzipiell stoisch aussitzen, egal, was kommt und egal, worin sie investieren? Kritische Leser werden gemerkt haben, dass sich unsere Analyse auf eine ganz spezielle Marktsituation stützt. Was passiert, wenn sich die Hoffnungen auf eine Wirtschaftstransformation durch KI nicht erfüllen und Hyperscaler wie Meta, Google, Apple oder Amazon ihre dreistelligen Milliarden-Investments  in KI-Technologie abschreiben müssen? Was passiert mit Anlegerportfolios, sollte die exzessive Staatsverschuldung in den USA zu einem Vertrauensverlust in US-Anleihen und dem Standort USA führen? Was passiert bei einer weiteren Pandemie angesichts der nach Covid hoch verschuldeten öffentlichen Haushalte? Das bringt uns zur Frage, wie Anleger Risiken modellieren und wie sie ihre Portfolios gegen Extremereignisse schützen können. Das erläutern wir im zweiten Teil dieses Artikels.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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