Märkte 2024: Chancen und Risiken für Anleger

Einige Märkte haben Anlegern bisher 2024 eine ordentliche Performance beschert. Aber das Bild ist vielschichtiger, als es die Schlagzeilen nahelegen. Eine Annäherung an die Märkte zum Quartalsende und ein Ausblick auf das, was uns für den Rest des Jahres erwarten könnte. 

Im Nachhinein ist es erstaunlich, wie schief Marktbeobachter beim Versuch gelegen haben, die Treiber der Märkte Ende 2023 zu identifizieren. Für viele Beobachter waren sechs oder mehr Zinssenkungen der US-Notenbank ausgemachte Sache. Diese Zinssenkungsfantasie hatte den Märkten einen massiven Schub im vierten Quartal 2023 gegeben: Aktien, Anleihen, Gold, Kryptos: alles stieg im Zuge der „Everything Rally“.

Doch es kam bekanntlich anders: Die US-Wirtschaft boomt, die Inflation erweist sich weltweit als hartnäckig, und inzwischen haben die Marktteilnehmer eingesehen, dass die Federal Reserve 2024 allenfalls dreimal die Zinsen senken wird. Was haben Anleger daraus gemacht? Die Märkte 2024 haben in weiten Teilen die Fortsetzung der „Everything Rally“ markiert. Schwamm drüber, wenn die Märkte nur steigen? Es ist immer gut, investiert zu sein. Zugleich sollten Anleger aber die Story hinter der derzeitigen Hausse verstehen. Eine Annäherung in fünf Kapiteln. 

Ist das Bild der Märkte 2024 uneingeschränkt positiv?

Auf den ersten Blick schon. Vor allem für Euro-Anleger. Sie wurden – wieder einmal – gleich doppelt verwöhnt. Einmal stiegen die Kurse vieler Risiko-Assets. Und dann tendierten einige Fremdwährungen, vor allem der US-Dollar, gegenüber dem Euro fester, sodass international diversifizierte Portfolios einen weiteren Schub erhielten. Das betraf nicht nur in den US notierte Aktien, sondern auch Rohstoffe und, nun ja, Bitcoin und andere Krypto-Investments.

Machen wir das an den wichtigsten Asset-Klassen fest: Der MSCI World Aktien-Index legte im ersten Quartal um 8,9 Prozent zu. Umgerechnet in Euro lag das Plus bei 11,4 Prozent. Auch wenn die Hoffnungen auf Zinssenkungen einen Dämpfer erlitten, hat die Fed aus Sicht von Aktienanlegern die Zinssenkungen aus dem richtigen Grund aufgeschoben: die Wirtschaft in den USA brummt, und das ist zunächst wichtiger als Zinssenkungen um 25 oder sogar 50 Basispunkte. Vor allem der AI-Boom ging weiter. Halbleiter-Indizes, in denen Aktien wie Nvidia, TWSC oder ASML dominieren, stiegen um bis zu 40 Prozent in den ersten drei Monaten des Jahres.

Ermutigend ist auch, dass die Hausse an Breite gewinnt. Mit einem Plus von gut zehn Prozent zählten auch der DAX sowie Euroland-Aktienindizes zu den Gewinnern des abgelaufenen Quartals. Sie outperformten damit sogar den Nasdaq 100, der um 8,7 Prozent zulegte und sich nur dank der Dollar-Stärke mit einem Plus von 11,2 Prozent etwas vor die hiesigen Aktien-Benchmarks schob.

Rohstoffe hatten ein weiteres gutes Quartal, allen voran das Edelmetall Gold, dessen Preis aus Sicht von Euro-Anlegern um knapp 9,5 Prozent stieg.  Noch besser lief es für Energie-Indizes: Der S&P GSCI Energy legte aus Sicht von Euro-Anlegern um 18,4 Prozent zu, der breiter gefasste G&P GSCI TR kletterte um 12,9 Prozent.

Krypto-Assets, hier in Gestalt eines beliebten Bitcoin-Zertifikats, der XBT Provider Bitcoin Tracker ETN, schoss mit einem Plus von 77,2 Prozent im ersten Quartal die Lichter aus – nach einem Plus von gut 55 Prozent im Vorquartal.

Und was sagt der zweite Blick auf die Märkte 2024?

Die Lage ist fragiler, als es die Aktienmärkte zeigen. Es fängt an mit dem hervorragenden Quartal für Gold und andere Rohstoffe, vor allem Energien. Gold gilt als Krisenwährung, und dass der Ölpreis zulegt, geht weniger auf positive Ausblicke für die Weltwirtschaft zurück, als vielmehr auf die Krise in Nahost und die erfolgreichen Angriffe der Ukraine auf die russische Energie-Infrastruktur. Das macht Anleger nervös. 

Auch wenn die teilweise phänomenalen Aktiengewinne die Schlagzeilen dominieren, gibt der Bond-Markt für viele den Takt vor. Hier ist das Bild gemischt. Anleihen hatten kein gutes erstes Quartal. Nach dem kräftigen Renditerückgang im vierten Quartal wurden viele Anleger von der beharrlichen Teuerung 2024 auf dem falschen Fuß erwischt. Der RexP verlor gut 1,1 Prozent zwischen Januar und März. Annualisiert betrachtet ist das für Bonds eine mittelschwere Korrektur.

So gesehen war das außerordentlich gute Plus von 4,4 Prozent beim RexP im vierten Quartal 2023, nun ja: außergewöhnlich. Seit Beginn des vierten Quartals 2020 sind die Kurse von Bundesanleihen stetig im Sinkflug – unterbrochen nur vom Plus im vierten Quartal 2023 und einer leichten Erholung im ersten Quartal 2023.

Einerseits können sich Bond-Investoren trösten: Die Kursverluste von heute sind die Rendite-Chancen  von morgen. Aufgeschoben ist also nicht aufgehoben. Andererseits zeigt das Verhalten von Bond-Anlegern, dass sie nicht glauben, dass die Inflation besiegt ist. Erwartungen sind mitunter für die realen Renditen wichtiger als die aktuelle Inflation. Und dass das No-Landing-Szenario tatsächlich eintritt, ist nicht ausgemachte Sache. Die Konjunkturrisiken sind nicht verschwunden. Der US-Verbraucher zeigt Anzeichen von Schwäche, und mit Deutschland befindet sich die größte Volkswirtschaft Europas in der Rezession.

Senken die Notenbanken die Zinsen aufgrund des Inflationsrückgangs bei gleichzeitig stabil-freundlicher Konjunktur, werden die Risikomärkte vermutlich den Turbo auch im zweiten Quartal zünden. Senken die Notenbanken dagegen die Zinsen vor dem Hintergrund einer schwächelnden Konjunktur, werden die Aktienmärkte volatiler werden – ungeachtet der herbeigesehnten Zinssenkungen. Die Höhenluft am Aktienmarkt ist also kein Selbstläufer in diesem Jahr.

Also besser auf Nummer sicher und ins Cash gehen?

Besser nicht im großen Stil. Zwar bringen Geldmarktfonds gerade ordentliche Renditen nördlich von vier Prozent p.a. Das ist ein so gutes Niveau, dass Anleger keinen Anlagenotstand haben und entspannt eine üppige Barreserve halten können, die derzeit gut verzinst wird. Auch Bond-Investoren sind derzeit mit Kurzläufern von rund zwei Jahren gut dabei, sodass sie im gesamten Laufzeiten-Mix durchaus einen Blick auf das kurze Ende werfen sollten.

Aber mit der Kurzläufer-Herrlichkeit wird es ziemlich schnell vorbei sein, sollten die Zinsen nachhaltig sinken. Dann werden die Renditen auch bei Langläufern zügig fallen. In dem Fall herrscht am kurzen Ende eine Zinsebbe, und zugleich sind die besten Zeiten am Rentenmarkt vorbei.

Es lohnt sich also, bei Anleihen gezielte Risiken einzugehen, um längerfristig die immer noch ordentlichen Renditeniveaus einzufangen. Das gilt für Laufzeiten, aber auch für die Bonitätsseite. Hier lautet das Motto: Durationsrisiken sind heute keine schlechten Risiken, und bei Ratings sollten es nicht nur AAA-Papiere sein. Gerade Euroland-Renten-Indizes, die ein Exposure zu Euro-Südländern haben (Spanien, Italien, Frankreich, aber auch Griechenland), bieten noch höhere Renditen als Bunds, was angesichts der eher düsteren Prognose für Deutschland nicht unbedingt nachvollziehbar ist.

Aber Staatsanleihen sind nicht einzige Alternative zu Cash. Da gibt es noch Aktien und die Kreditmärkte.

Sind Aktien und Corporates nicht zu riskant?

Risiken sind immer relativ. Angesichts der hartnäckigen Inflation sollten sich Anleger von der Chimäre befreien, dass Zinssenkungen die Renditen wieder auf Werte um oder sogar unter null Prozent drücken werden. Es spricht einiges dafür, dass die sogenannte Neutral Rate, also der Punkt, an dem der Leitzins weder restriktiv noch expansiv wirkt, eher bei 2-3 Prozent liegt. Anleihen-Investoren werden also nicht wie weiland zwischen 2010 und 2016 scheinbar endlos und genussvoll die Renditekurve herunterrutschen können.

Das bedeutet, dass die Bäume bei Standard-Anleihen, aber auch bei Kurzläufern/Cash real gesehen nicht in den Himmel wachsen werden. Auch wenn die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen, einschließlich hochverzinslicher Papiere, gesunken sind, so weisen sie immer noch attraktive Renditen auf. In einem „Muddling-through“-Szenario, in dem die Konjunktur stagniert, aber nicht einbricht, die Zinsen moderat fallen und die Inflation zumindest eingehegt wird, werden Anleihen stabilen Renditen liefern, derweil viele Aktiensegmente, nun ja, aktienkonforme Risiken bringen – insbesondere bei High-Growth-Aktien wird die Luft auf aktuellen Bewertungsniveaus dünn. Es mehren sich die Stimmen, die das Problem der „Maturity Wall“ als beherrschbar bezeichnen. Bisher waren Beobachter davon ausgegangen, dass Unternehmen ohne Investment-Grade-Rating Schwierigkeiten bei der Refinanzierung anstehender Bond-Tilgungen haben würden. Diese scheinen sich aktuell zu relativ günstigen Konditionen refinanzieren zu können.  Das bedeutet, dass der vielerorts befürchtete Crash bei Hochzinsanleihen möglicherweise in den nächsten 1-2 Jahren doch nicht bevorsteht.

Auf der Aktienseite rücken europäische, japanische und Schwellenländer-Aktien in den Fokus. Besonders günstig sind derzeit Schwellenländer, allen voran China-Aktien sowie Märkte wie die Türkei und Brasilien, in denen einstellige KGVs die Regel sind. Value-Aktien finden sich ebenfalls reichlich in Europa, etwa in Italien, oder bei deutschen Automobilherstellern, deren Bewertungen noch immer den Tesla-Schock widerspiegeln. Doch Europa-Aktien sind nicht nur für Value-Anleger interessant. Quer über alle Branchen sind sie gegenüber ihren US-Pendants auf historisch niedrigen Bewertungsniveaus. Das gilt auch für europäische Qualitätsaktien, die relativ moderat (nicht: niedrig) bewertet sind. Die untere Auswertung von JPMorgan Asset Management zeigt, dass alle europäische Sektoren aktuell stärker gegenüber ihren US-Pendants unterbewertet sind als im langjährigen Durchschnitt. Das ist nicht nur für puristische Value-Anleger relevant.

Märkte 2024 Europa unterbewertet

Die Grafik zeigt das aktuelle Bewertungsniveau europäischer Sektoren (grüne Rauten) im Vergleich zu den durchschnittlichen Bewertungen zwischen 1995 und heute (graue Balken) gegenüber den US-Sektoren (Nulllinie). Quelle: JPMorgan Asset Management

Märkte 2024 - mit aktiven Fonds oder ETFs?

Bitte das Thema Märkte 2024 nicht auf diese sinnfreie Entweder-oder-Frage zuspitzen! In den envestor Beratungsmandaten sind ETFs auch 2024 gesetzt – wie auch aktiv verwaltete Fonds. ETFs liefern für viele Märkte ein transparentes, klar umrissenes und konkurrenzloses günstiges Exposure zu Märkten und Themen. Wer etwa USA-Standardwerte im Portfolio mit aktiven Managern darstellen will, muss verdammt gute Argumente finden, um diesen den Vorzug gegenüber einem ETF zu geben, der den S&P 500 für nur drei Basispunkte abbildet (das sind 0,03 Prozent an jährlichen Gebühren).

Andererseits sind manche Emerging Markets, etwas Indien, oder aber auch Nebenwerte oder Hochzinsanleihen mit ETFs nicht besonders effizient abzubilden, wenn es darum geht, einen optimalen Zugang zu Risikoprämien zu verschaffen. Gerade bei Hochzinsanleihen sind ETFs auf die liquiden Bereiche der Märkte konzentriert, was bedeutet, dass sie nur teilweise die Illiquiditätsprämie vereinnahmen können. Aktive Manager haben hier Vorteile, die freilich nur die besten unter ihnen auch nutzen können. Das gilt auch für den Bereich der Micro-Caps, in dem ETFs so gut wie überhaupt nicht vertreten sind. Hier führen die Spezialisten das Wort.

Gerade wenn der Hype um die Magnificent Seven dem Ende entgegengeht, die nicht nur den Nasdaq 100 dominieren, sondern auch den S&P 500 prägen, werden andere Themen die Märkte bewegen. Das muss nicht heißen, dass aktive Manager in der Breite reüssieren werden, aber die Dominanz der großen Wachstumswerte gegenüber „dem Rest“ wird sich nicht zwangsläufig fortsetzen. Die Märkte 2024 werden spannend genug, Top- oder Flop-Zuspitzungen sind das Letzte, was Anleger brauchen. Core-Satellite-Strategien mit ETFs und aktiv verwalteten Fonds können dafür sorgen, dass Anleger das Optimum aus den Märkten herausholen.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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