Wann der Lotterie-Effekt eine gute Investment-Strategie sein kann. In einer lockeren Serie zeigen wir, warum sich Anlageideen weitab vom Mainstream lohnen können. Im ersten Teil zeigen wir, dass VL-Sparen Platz für lukrative Moonshots bietet.
Als ich neulich zum ersten Mal in die Details meines alten VL-Accounts sah, packte mich das Gruseln. Es war ein wohliges Gruseln, denn mir wurde klar, was für einen Glücksgriff ich im Jahr 2012 gemacht hatte. Ich hatte mit minimalem Einsatz den Jackpot geknackt. Ich hatte mich damals entschieden, die 40 Euro, die mir mein damaliger Arbeitgeber für Vermögenswirksame Leistungen spendierte (Thank you, Joe Mansueto!), in einen ETF auf einen damals eher suspekten Markt zu investieren. Das untere Bild sagt mehr als 1.000 Worte:
Nasdaq-ETFs für den Lotterie-Effekt
Aus Einzahlungen in Höhe von 4.567 Euro wurden per heute 17.760 Euro. Das entspricht einer Rendite von kumuliert 722 Prozent oder 19,4 Prozent annualisiert. Zwischen 2012 und 2021 hatte ich mit zwei aufeinander folgenden VL-Sparverträgen 40 Euro monatlich investiert. Lüften wir zunächst den Schleier um das Investment: Es handelt sich um einen ETF auf den Nasdaq 100 Index. Was heute als No-Brainer klingt, erschien damals nicht wie ein Oma-Blatt.
Zwischen 2000 und 2002 hatte der Auswahl-Index der gleichnamigen Börse knapp 80 Prozent verloren. Ja, der Index hatte ab 2003 deutlich zugelegt, wurde aber im Jahr 2008 mit minus 42 Prozent erneut regelrecht zerstört. Schon damals galt der Nasdaq 100 als richtig mieser Index: eine willkürliche Auswahl an Firmen, eine hohe Tech-Lastigkeit, kein Spiegel der US-Wirtschaft wie etwa der Wilshire 5000, S&P 500 oder Russell 3000.
Warum hatte ich mich für den Nasdaq-100 entschieden?
VL-Fonds: Perfekte Bedingungen für Risiko-Investments
Leider habe ich den Jackpot nicht wegen prophetischer Gaben geknackt. Der Grund für das Nasdaq-Investment war viel profaner. Die Beiträge waren geschenktes Geld, und weil 40 Euro keine exorbitant hohe Summe darstellte, waren meine Verlustängste gering.
Im Gegenteil: Die Volatilität war für mich in erster Linie eine Option auf hohe Gewinne, und da Apple, Microsoft, Google, Oracle, Intel und Amazon erfolgreiche oder zumindest aussichtsreiche Wachstums-Firmen waren, handelte es sich nicht um eine Harakiri-Wette. (Facebook war damals, im Sommer 2012, zwar schon an der Nasdaq notiert, aber an eine Zugehörigkeit zum Auswahlindex war nach der miesen Post-IPO Performance nicht zu denken.)
In gewisser Weise war der Nasdaq 100 genau das, wovor die Finanzwissenschaft Anleger warnt: eine Option, eine Art Lotterie-Los. Laut dem Lotterie-Paradoxon weiß der Käufer, dass die Chance auf einen Gewinn ziemlich niedrig ist, aber weil die theoretische Gewinnsumme exorbitant hoch ist, gibt er immer wieder Kleingeld aus, um die Hoffnung auf Reichtum am Leben zu erhalten. Rationaler ist es laut Finanzwissenschaft, vermeintliches Kleinvieh „vernünftig“ zu investieren. Das ist richtig, aber VL-Sparen ändert einige der üblichen Parameter, sodass ein irrationales Investment plötzlich ziemlich rational erscheint.
VL-Fonds: Lohnenswerter Lotterie-Effekt
Vermögenswirksame Leistungen eignen sich perfekt als Moonshots: investiert wird ratierlich, auch Themen- und Branchenfonds sind in der Regel einigermaßen diversifiziert, die Investment-Periode von sechs Jahren plus Ruhefrist garantieren, dass Anleger bei der Stange bleiben, und bei VL zahlt der Arbeitgeber den Deckel, auch wenn die monatlichen Beiträge versteuert werden müssen.
Auch einige technische Feinheiten pushen die Renditen: klassische Fondsplattformen thesaurieren die Fonds-Ausschüttungen automatisch (und kostenlos), und Anlegende können nahtlos mehrere VL-Perioden aneinanderhängen, sodass auch das Ende der sechsjährigen Einzahlphase kein Ende des Sparprozesses bringen muss. Alles in allem sind damit perfekte Bedingungen für ein Lotterie-Ticket mit hoher Gewinnquote gegeben.
Ob Anlegende auf ETFs von der Hyper-Growth-Anlegerin Cathie Wood setzen oder temperierte Wetten eingehen, ist Geschmackssache. Volatilität sollte bei VL als Freund des Anlegers gesehen werden. Länderfonds, Branchenfonds, Themenfonds, alles geht! Auch konzentrierte Einzelthemen, etwa Cybersecurity-Fonds, können angesichts des säkularen Wachstums der Branche langfristig eine gute Idee sein.
Einmalanlagen sind in aller Regel langfristig zwar erfolgreicher als Sparpläne, aber ratierliches Investieren ist aus psychologischer Sicht bei Risiko-Investments eine gute Alternative. Ich hätte 2012 sicher nicht auf Verdacht 4.500 Euro in den Nasdaq-100-ETF investiert. Aber Kleingeld, zumal geschenktes, in einen Sparplan zu stecken, war keine große psychologische Hürde. Gerade das ist der Clou des Lotterie-Effekts: Es geht um die sprichwörtlichen Peanuts – scheitert das Investment mittelfristig, mag man sich im Nachhinein ärgern, die finanzielle Gesundheit wird es uns nicht kosten.