US-Aktien sind schon seit Jahren die großen Gewinner unter den globalen Märkten. Aber es gibt Gewinner, die ungleicher sind als andere. Unter der Oberfläche brodelt es, die Divergenzen sind groß, wie unsere Umschau über die Entwicklung von S&P 500, Nasdaq und Co. 2024 zeigt.
Felix Amerika: US-Aktien sind seit der Finanzkrise die großen Gewinner an den weltweiten Märkten. Das lässt sich am Gewicht von US-Aktien im Weltaktien-Index MSCI World ablesen. Waren US-Aktien 2009 noch mit 47 Prozent gewichtet, dominieren sie heute den Index mit über 70 Prozent. Aber US-Aktien kommen ziemlich facettenreich daher, oder, um den längst verflossenen Showmaster Robert Lemke zu paraphrasieren: Welches US-Schweinderl hätten S‘ denn gern? Die Entwicklung unter der Oberfläche zeigt in diesem Jahr einen beeindruckenden Favoritenwechsel am US-Aktienmarkt. S&P 500 vs. Nasdaq? Oder kommen von unerwarteter Seite neue Favoriten ins Bild? Wer 2024 gewinnen könnte … und warum.
Es hat im Laufe des Jahres einen beeindruckenden Favoritenwechsel stattgefunden, wie die Umschau über die Performance des S&P 500, FT Wiltshire 5000 (Standardwerte), Nasdaq 100 (Standardwerte Growth), Russell 2000 (Nebenwerte), S&P Utilities (Versorger) und der Nasdaq Emerging Cloud Index (abgebildet durch den Wisdom Tree Cloud Computing ETF) zeigt.
Unerwartete Gewinner 2024: Versorger
Seit Januar 2024 sehen wir ein unerwartetes Bild: Versorger landen an der Börse mit weitem Abstand vor den Tech-Lieblingen. Der Sektor-Index S&P Utilities Select Sector liegt mit einem Plus von knapp 33 Prozent deutlich vorn (Performance in Dollar). Diese Renaissance der als defensiv geltenden Branche erklärt sich durch mehrere Faktoren. Zum einen profitiert die Branche von der Erwartung sinkender Zinsen, die ihre hohen Kapitalkosten reduzieren würden. Zum anderen erweist sich die Elektrifizierung der Wirtschaft als nachhaltiger Wachstumstreiber. Dieser Wandel im Geschäftsmodell der Versorger könnte eine Neubewertung dieser vormals defensiven Branche mit sich bringen.
Mit gebührendem Abstand folgen Standardwerte, wobei sich hier eine faustdicke Überraschung zeigt: Der S&P 500 liegt mit einem Plus von 27,4 Prozent recht deutlich vor dem Nasdaq 100, der zwischen Januar und dem 27. November “nur” um 24,2 Prozent zulegen konnte. Hintergrund ist, dass Banken und Versorger in diesem Jahr deutlich zulegen konnten. Beide Sektoren sind nicht im US-Growth-Index vertreten. Spiegelbildlich dazu gingen den Magnificent 7, die wiederum im Nasdaq 100 deutlich stärker vertreten sind als in marktbreiten Standardindizes. Den “Mag 7” ging im Laufe des Jahres die Puste aus.
Performance 2024 per 27.11.2024 und in US-Dollar, Quelle: Morningstar.
Im bisherigen Jahresverlauf lagen Nebenwerte indes ziemlich weit hinten: Das Plus von 20,7 Prozent beim Russell 2000 war zwar deutlich mehr als die allermeisten europäischen Aktien-Indizes erzielen konnten, aber gegenüber Standardwerten haben US-Nebenwerte erneut enttäuscht – zu Jahresanfang hatten viele Anleger angesichts der Perspektive sinkender Zinsen auf ein Comeback von Nebenwerten gehofft. Der Fokus auf Industriewerte und Pharma – jeweils rund 17 Prozent des Indexgewichts – hat dem Russell 2000 in diesem Jahr eher geschadet.
Noch schlechter entwickelte sich im Jahresverlauf der Nasdaq Emerging Cloud Index. Er legte nur um 12,5 Prozent zu. Dieser Index setzt sich aus Software-Spezialisten zusammen. Die schwache Performance – der Cloud-Index liegt sogar hinter dem DAX – überrascht, da der globale Cloud-Infrastrukturmarkt seit Jahren stark wächst. 2023 lag das Umsatzwachstum bei 18 Prozent auf 290,4 Milliarden Dollar, wobei sich diese Dynamik 2024 noch beschleunigt hat. Die Performance dieses Index in diesem Jahr illustriert die Dominanz der Tech-Giganten, die die SaaS (Software as a Service)-Spezialisten wirtschaftlich und an der Börse regelrecht gezwergt haben.
Die Entwicklung beim FT Wiltshire 5000 ist eine interessante Fußnote. Dieser Index hat den Anspruch, alle investierbaren US-Aktien zu repräsentieren und umfasst auch Kleinstwerte (Micro-Caps). Allerdings zeigt die weitgehend identische Performance von Wiltshire-Index und S&P 500 den Gleichmacher-Effekt der Marktkapitalisierung. Indizes werden in der Regel nach Börsenwert der Firmen gewichtet. Das führt dazu, dass die großen Unternehmen den Ton angeben, egal, ob der Markt 500 Aktien (S&P 500) oder 3.700 (Wiltshire 5000) umfasst.
Regime-Wechsel: SaaS-Aktien im Vorwärtsgang
Die Entwicklung von US-Aktien im bisherigen Jahresverlauf verdeckt den Blick auf die Marktdynamik der letzten Monate. Diese wollen wir im zweiten Teil unserer Umschau zu US-Aktien zeigen. Es hat im vierten Quartal, also seit Anfang Oktober, ein bemerkenswerter Favoritenwechsel stattgefunden. Mit einer beeindruckenden Quartals-Performance von 23 Prozent führt der Nasdaq Cloud-Index die Rangliste an, gefolgt vom Russell 2000 mit einem Plus von knapp 9 Prozent. Der breite Markt, repräsentiert durch den S&P 500 und den FT Wiltshire 5000, liegt bei Plus vier bis fünf Prozent, während der technologielastige Nasdaq 100 mit 3,5 Prozent überraschend zurückbleibt und nur vom Utilities-Index (plus 2,5 Prozent) unterboten wird.
Performance seit Oktober 2024 per 27.11.2024 und in US-Dollar, Quelle: Morningstar.
Diese Performance-Entwicklung ist erklärungsbedürftig. Der Cloud-Index hat einen Schwerpunkt bei Nebenwerten, wohingegen der Nasdaq 100 von den Magnificent 7 dominiert wird. Die großen Tech-Plattformen haben eine interessante Metamorphose hinter sich. Sie kommen aus dem Growth-Stall, haben also über die Jahre von den niedrigen Zinsen profitiert. Wegen ihrer Quasi-Monopolstellung haben sie sich dagegen zu Gewinnmaschinen entwickelt. In unsicheren Zeiten suchen Anleger ihr Heil in Werthaltigkeit und Qualität, weshalb Alphabet, Apple, Microsoft und Co. die Gewinner der Post-Corona-Rally waren und zudem 2023 bis Anfang 2024 die Erholungs-Rally nach dem 2022-Crash angeführt haben. Diese Zeit geht offenbar zuende, die Mag-7-Hausse löst bei vielen Anlegern inzwischen Sorgen über hohe Bewertungen aus. Sie gehen auf die Suche nach günstigeren Alternativen in anderen Sektoren.
Enter Nasdaq Emerging Cloud Index! Er repräsentiert ein wachstumsstarkes Segment mit finanzstarken Unternehmen mit inzwischen relativ attraktiven Bewertungen. Der Index wird mit einem Enterprise Value-to-Sales (EV/Umsatz)-Multiple von 7,5 gehandelt. Das ist im historischen Vergleich niedrig. Die Unternehmen haben ein prognostiziertes Umsatzwachstum von 15 Prozent und eine gesunde freie Cashflow-Marge von 20 Prozent. Kombiniert man Wachstum mit Rentabilität, dann kommen diese Unternehmen Spitzenwerte bei der sogenannten Rule of 40, die für Qualität und Wachstum steht. Weil nach dem Armageddon des Jahres 2022 die kleineren Growth-Unternehmen ihr Wachstum zugunsten von Profitabilität heruntergeschraubt haben, sind die High-Growth-Unternehmen aus der Software as a Service-Branche aktuell gesünder als jemals zuvor: Fast alle 65 Aktien im Index weisen positive Free- Cashflow-Margen.
„ High-Growth-Unternehmen aus der Software as a Service-Branche sind aktuell gesünder und günstiger bewertet als jemals zuvor“
Die herausragende Performance des Cloud-Computing-Sektors basiert auf fundamentalen Veränderungen im Technologiebereich: der starke Trend zu Subskriptionsmodellen im Cloud-Infrastrukturmarkt. Davon profitieren nach wie vor auch Anbieter wie Microsoft Azure, Google Cloud und Amazon AWS. Allerdings ist dieses Wachstum nach Einschätzung der Investoren offenbar in den Kursen weitgehend enthalten. Jetzt ist offenbar die zweite Tech-Garde an der Reihe, wie die Performance seit Anfang Oktober zeigt.
US-Aktien: Breiter Markt, enger Sektor, zweite Reihe
Die Umschau über die fünf Indizes für US-Aktien zeigt, warum die Performance so stark streut. Es gibt fundamentale Unterschiede in der Sektorallokation: Der Nasdaq Emerging Cloud Index besteht zu fast 100 Prozent aus Info-Tech-Unternehmen. Er ist damit hoch konzentriert und zeigt auch ein gewisses Liquiditätsrisiko, da er sich fast ausschließlich aus Nebenwerten rekrutiert. Der Nasdaq 100 ist ihm mit einem Gewicht von über 50 Prozent in Tech-Werten in gewisser Weise ähnlich, ist aber doch ein ganz anderes Biest: Er ist ein Index für Standardwerte. Er umfasst zudem auch Konsumgüter und Biotechnologie-Unternehmen. Weil er aber Banken ausschließt und so gut wie nie in Versorger oder Immobilien investiert, ist er kein marktbreiter Index. Viele Anleger, die seit Beginn des Höhenfluges des Nasdaq 100 ab 2012 auf Growth-Investments aus der ersten Reihe gesetzt haben, sollten diese eingeschränkte Diversifikation beachten.
Relativ gut diversifiziert sind dagegen der S&P 500 und der FT Wiltshire 5000. Auch wenn der Wiltshire 5000 mit 3.700 Aktien auf den ersten Blick deutlich breiter diversifiziert ist als der S&P 500, handelt es sich um klassische Standardwerte-Indizes, die beide ein hohes Gewicht an „Magnificent Seven“-Aktien haben. Unterperformen diese, sind Nebenwerte-Portfolios, die sich am Russell 2000 orientieren, relativ gesehen im Vorteil. Tech-Indizes wie der Nasdaq Emerging Cloud sind dagegen typische Themen-Investments, die abrupte Höhen, aber ebenso abrupte Tiefen an den Börsen erleben können.
Der S&P Utilities Index ist wiederum als reiner Branchenindex auf die 30 größten US-Versorgungsunternehmen beschränkt. Er könnte sich als Wolf im Schafspelz erweisen – waren Versorger bisher vor allem dividendenstarke Defensiv-Investments und bei Value-Anlegern beliebt, so könnte die neue KI-Welle gerade Versorger zu hohen Investitionen treiben. Das birgt Chancen – wie auch Risiken. Anleger haben die Qual der Wahl zwischen etlichen US-Aktien-Schweinderln’, sollten aber stets beachten, dass Kerninvestments kurzfristig nicht die beste Rendite bringen, aber zumeist langfristig mehr Stetigkeit beweisen als Nischenmärkte, die als Nische im Portfolio einen Platz haben, aber infolge der hohen Risiken kein Übergewicht im Portfolio haben sollten – auch wenn die Aufwärtsbewegung in der Hausse noch so verlockend erscheinen mag.
Autor
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Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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