Zinsen runter wohin mit dem Geld

Die Zinsen sinken – wohin mit dem Geld?

Investoren haben es schwarz auf weiß: die Zinsen sinken. Das wirft die Frage auf: wohin mit dem Geld? Wir diskutieren drei Investment-Thesen für Anlegen im neuen Zinsregime.

Seitdem die Europäische Zentralbank (EZB) im Juni die Zinsen erstmals gesenkt hat, ist klar: Das neue Zinsregime kommt. Die EZB hat Mitte September nachgelegt, inzwischen liegt der maßgebliche Zins bei 3,5 Prozent, also um 0,5 Prozentpunkte unter dem Höchstniveau. Die US-Notenbank wird diese Woche nachziehen. Viele Anleger erwarten, dass die Fed einen „großen Schluck aus der Pulle“ nehmen wird und den Leitzins um 0,5 Prozent senken wird. Das hätte auch technische Gründe: vor der US-Präsidentschaftswahl wird es keine Fed-Sitzung mehr geben. 

Nun haben wir gelernt, dass gelockerte geldpolitische Zügel die Inflation anheizen und deren Straffung die Inflation senkt. Als die Inflation ab Ende 2021 nach oben schnellte, reagierten Anleger mit dem ihm typischen Herdentrieb: Sie verkauften Risikopapiere. Allerdings nicht nur Aktien, sondern auch Anleihen, zunächst waren die Verluste bei Bonds moderat, aber als die Inflation 2022 von massiven Zinserhöhungen begleitet wurden, kam es zu einem historischen Ausverkauf an den Anleihenmärkten. Weil ältere, niedrig verzinste Anleihen an Attraktivität einbüßten, wurden die Kurse regelrecht in den Keller getrieben. Das hat neue Realitäten geschaffen, in denen wir noch heute leben. Heute ist auch der Geldmarktzins so auskömmlich, dass Anleger ohne Laufzeitrisiko üppige Zinsen vereinnahmen konnten. 

Die Macht der Zinsmärkte machte sich auch bei Aktien bemerkbar. Die hohen Zinsen ab 2022/23 haben bei Aktien zu einem Favoritenwechsel geführt. Wachstumswerte, Schwellenländer-Aktien und Nebenwerte wurden von Anlegern links liegen lassen. Stattdessen konnten Versorger, Energiewerte und Finanztitel ordentlich zulegen. Dass seit 2023 die Kurse von Nvidia und die anderen Mitglieder des Chip-Eliteklubs sowie deren Kunden, die Hyperscaler wie Alphabet, Meta, Amazon, Apple und Tesla, regelrecht explodierten, steht hierzu nicht im Widerspruch – die AI-Sonderkonjunktur hat den Einfluss des Hochzinsregimes zeitweilig in den Hintergrund geschoben.  

Heute, wo die Inflation besiegt erscheint, stehen wir am Anfang der Zinswende. Wir wollen den Beginn des neuen Zinszyklus zum Anlass nehmen und über die Frage reflektieren, welche Anlageklassen und Investment-Stile auf die neue Zinswirklichkeit reagieren werden – und wie. Wohin also mit dem Geld? Drei Thesen für Anleger.

Die Zinsen sinken, her mit den Langläufern!

Es gehörte zu den Eigenarten der letzten drei Jahre, dass der Langfristzins niedriger war als der kurzfristige. In der Fachsprache heißt das: Die Zinskurve war invers. An der Frage, warum das so war, scheiden sich die Geister. Fest steht allerdings, dass man am Rentenmarkt mit Kurzläufern gleichzeitig sein Laufzeitrisiko senken und seine Erträge optimieren konnte. Auch nach Abzug der Inflation konnte man mit geldmarktnahen Fonds ordentliche Realrenditen kassieren. Die Zeit des Bond-Oma-Blatts neigt sich allerdings jetzt dem Ende entgegen. Die Kurzfristzinsen werden sinken, was die Kurse länger laufender Papiere stützen sollte.

Unklar ist, wie stark dieser Effekt wirken wird, aber weil die US-Wirtschaft offenbar keinen nachhaltigen Schaden in der Hochzinsphase erlitten hat und man aktuell von einer Verlangsamung des Wachstumstempos der Wirtschaft ausgeht, werden Langläufer voraussichtlich keinen Kurs-Turbo zünden, aber die Opportunitätskosten von Kurzläufern werden steigen. Das bedeutet, dass Anleger weniger auf den Geldmarkt und wieder stärker auf normale Marktportfolios setzen sollten. Wie lange, ist natürlich die Preisfrage: Wo liegt der Gleichgewichtszins, die sogenannte „neutrale Rate“?

Irgendwann, wenn die niedrigeren Zinsen die Konjunktur zum Erhitzen gebracht haben, wird der Zyklus wieder drehen, und die Notenbanken werden die Zinsen wieder erhöhen. Doch das ist Schnee von morgen. Aktuell besteht die begründete Hoffnung, dass Anleger in länger laufenden Bonds genüsslich die Zinskurve herunterrutschen können. Wer Langläufer kauft, dürfte nach der derzeitigen Logik ordentliche Kursgewinne verbuchen. Und weil noch immer nicht klar ist, ob sich die Konjunktur deutlich abkühlen wird, haben diese Bond-Investoren eine Option auf üppige Rezessionsgewinne. Übrigens: Angesichts der gleichbleibenden Zinsdifferenz zwischen dem Euroraum und den USA ist es keine schlechte Idee, dass sich Anleger gegen Währungsverluste im Dollar-Raum absichern.

Der Growth-Spatz auf dem Dach wird attraktiver

Wenn die Zinsen sinken, gewinnen die künftigen Cashflows gegenüber den heutigen an Attraktivität, weil der Diskontierungsfaktor sinkt. Das bedeutet, dass Unternehmen, die investieren und gezielt ihren Umsatz steigern, für Anleger wieder attraktiver werden. Heute sind Cashflow-starke Unternehmen im Vorteil. Das wird sich zukünftig ändern:  Wachstumswerte, Nebenwerte und auch Technologie-Aktien aus der zweiten und dritten Reihe werden von sinkenden Zinsen profitieren.

Allerdings wird es an dieser Stelle etwas nebelig. Seit dem dritten Quartal korrigieren vor allem Tech-Werte, und Unternehmen aus der zweiten Reihe haben sich in den vergangenen zwei Monaten auch unterdurchschnittlich entwickelt. Geht es nur nach der Cashflow-Logik, dann hätten sie outperformen sollen. Hierfür gibt es mehrere Erklärungsversuche: einmal schließen viele Anleger nicht aus, dass es doch zu einer Rezession kommt. Sie gehen auf Nummer sicher. Das erklärt, warum gerade Cashflow-Maschinen wie Versorger aktuell besonders kräftig zulegen, während Nebenwerte nach wie vor im Nachteil sind.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor betrifft die Profiteure der KI-Revolution. Aktuell sehen wir eine kräftige Kursdelle bei Unternehmen wie NVIDIA, ASML, AMD, TSMC, Broadcom, Lam Research und Co. Dass die Kurse angesichts der steigenden Bewertungen einen Rücksetzer machen, ist nicht verwunderlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Anleger nach etlichen Kursverdoppelungen bei vielen Aktien einiges an Luft ablassen würden. Dass der Hype ein Crash wird, etwa nach dem Vorbild der Tech-Bubble ab 2000, ist allerdings nicht gesagt. Die AI-Gewinner von heute machen reale Umsätze und haben solide Geschäftsmodelle. Ein Abverkauf der Magnificent 7 erscheint naheliegend, dürfte aber, Stand heute, überzogen sein. Vielleicht wäre ja die Reduzierung des Gewichts des Nasdaq-100-ETFs rechtfertigen?

Weil Portfolio-Umschichtungen keine Top- oder Flopp-Angelegenheit sein müssen, brauchen Anleger nicht abzuwägen, ob sie klassische Value-Branchen, etwa Energie, Finanzen und insbesondere Versorger zu Gunsten von kleineren Technologiewerten ersetzen sollten. Warum nicht beide Stile in Gestalt geeigneter Fonds oder ETFs im Depot zusammenbringen? Es geht nichts über diversifizierte Portfolios!

Wohin mit dem Geld? Vorhang auf für den Carry Trade

Bei der Frage: „Wohin mit dem Geld?“ darf in der heutigen Situation der Carry Trade nicht fehlen. Die Strategie gehört zum Standard-Repertoire von vielen Anlegern. Auch wer den Begriff nicht kennt, setzt den Carry Trade um. Im Wortsinn impliziert „Carry“, dass Anleger ihr Geld von einer niedrig(er) rentierlichen Anlageform in eine höher rentierliche „tragen“. In der Fachsprache ist der Carry Trade ein Investment aus einem Währungsraum mit niedrigen Zinsen in einen Währungsraum mit höheren Zinsen unter dem Einsatz von Fremdkapital. Die Logik für den Einsatz eines Hebels ist auf den ersten Blick bestechend: Je größer die Differenz zwischen den Zinsen für Kredite am Heimatmarkt und den Anlagezinsen am Zielmarkt, desto lohnender ist eine hohe Kreditaufnahme. Ändern sich allerdings die Parameter, kann es zu Verwerfungen kommen. Steigen etwa die Zinsen am Ausgangsmarkt, drohen hohe Verluste bei den gehebelten Investments. Erst im August dieses Jahres gab es massive Verwerfungen infolge der Auflösung von Carry Trades. So hat die massive Glattstellung von Yen-Krediten infolge der Zinserhöhung durch die Bank of Japan die Kurse von Aktien weltweit durcheinandergewirbelt.

Aber hier geht es nicht um die Risiken für Zocker, sondern um die Anlagestrategien, die auch Otto-Normal-Anlegern offenstehen. Mit den sinkenden Zinsen in den USA und Europa werden immer Anleger in die verbleibenden Hochzinsmärkte streben. In den nächsten Monaten dürften immer mehr Anleger in Anleihen aus Emerging Markets investieren. Dieser Trade ist sicherer, als es viele Investoren annehmen. Denn seit 2020 ächzen die Schwellenländer ganz besonders unter den hohen Zinsen. Länder wie Mexiko, Brasilien und Südafrika mussten im Gleichschritt mit der Fed und der EZB die Zinsen erhöhen und zugleich die Folgen der Corona-Krise durch hohe Haushaltsdefizite dämpfen.

Der Carry-Trade könnte sich für Anleger aus den USA und Europa doppelt lohnen: Einerseits haben Anleger die Aussicht auf auskömmlich Zinsdifferenz-Geschäfte. Zugleich werden die stärkeren Kapitalströme in Richtung Emerging Markets die lokalen Währungen dieser Länder stärken. Zu den Zinsgewinnen gesellen sich also Währungsgewinne. Emerging Markets Anleihenfonds, die auf lokale Währungen lauten, werden die Profiteure des neuen Zinsregimes der EZB und der Fed sein. Anleger können daran über Fonds und ETFs partizipieren.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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