Seit 2022 sind die Zinsen wieder zurück, aber die Volatilität bei Anleihen prägt noch immer viele Portfolios. Anleger finden heute Chancen am Bond-Markt, aber auch Risiken. Daher wollen wir mit einer zweiteiligen Serie tiefer in die Materie eintauchen und die interessantesten Rentensegmente für Anleger identifizieren. Teil I: Die Übersicht und das Präludium.
Eine Mär geht in der Welt der Anlageportfolios um, und die lautet so: Aktien sind die Renditetreiber von Portfolios, Anleihen sind das Refugium für volatile Zeiten, wenn mit Aktien keine Schnitte zu machen ist. Folglich werden klassische Jedermann-Portfolios so konstruiert: risikobereite Investoren bekommen ein Portfolio, in dem Aktien eine höhere Quote als Anleihen haben, sagen wir im Verhältnis 70:30. Spiegelbildlich bekommen risikoscheue Anleger Portfolios, in denen Anleihen eine höhere Quote haben, sagen wir im Verhältnis 70:30.
Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass über Jahrzehnte entwickelte Heuristiken diese Struktur als empfehlenswert nahelegten. Allerdings wurden diese in Zeiten säkular rückläufiger Renditen entwickelt. Ab Anfang der 1980-er Jahre setzte eine Periode der Disinflation mit stark rückläufigen Zinsen ein. Das ging weiter und weiter und wurde mit der bekannten Nullzinspolitik nach der Finanzkrise auf die Spitze getrieben. Nach 2010 fiel der sichere Zins in weiten Teilen des globalen Nordens auf null oder noch tiefer. Anlegende, die auf klassische Aktien-Renten-Portfolios gesetzt hatten, landeten auf der Anleihenseite bei zinslosen Risiken. Denn die zunehmende Verschuldung vieler Staaten bei gleichzeitiger Verlängerung der Laufzeiten neuer Anleihen – nicht jeder hängt dem Ideal der Schuldenbremse nach – brachten nicht nur wenig Performance, sondern immer stärker steigende Laufzeitrisiken in Anleihenportfolios.
Der Krug ging zum Brunnen - bis 2022 kam
Die Ära niedriger bzw. negativer Zinsen fand im Jahr der russischen Invasion der Ukraine ein jähes Ende. Die Inflation schnellte 2022 nach oben, und bei Anleihen brach regelrecht die Hölle los. Die Kurse brachen angesichts stark steigender Renditen regelrecht ein. Deutsche Anleihen in Gestalt des REXP brachen 2022 um knapp 12 Prozent ein. Das hatte es bis dato noch nicht gegeben. Auch der breiter gefasste Euro-Index Bloomberg Euro Aggregate Bond verlor über 17 Prozent. Hier machte sich die Underperformance italienischer und anderer südeuropäischer Anleihen bemerkbar. US-Staatsanleihen verloren 2022 quer über alle Laufzeiten knapp 12,5 Prozent. Auf Dollar lautende Emerging Markets Bonds brachen um gut 16 Prozent ein.
Das waren Rekordverluste, die Anleger schockierten. Wer in einen ETF auf den Bloomberg Barclays Euro Aggregate investiert hatte, sitzt noch heute auf einem Verlust, der nur nach und nach „herausgerollt“ wird. Das wird durch die untere Grafik illustriert. Sie zeigt, dass Euro-Anleihen seit 2014 seitwärts pendelten, um dann 2022 Verluste in Rekordhöhe zu verbuchen. Und die Drawdowns sind noch längst nicht wieder aufgeholt.

Drawdowns in Prozent und per 31.8.2024, Quelle: Morningstar
Was für Anleger, die 2022 in Euro-Bonds investiert waren, noch immer eine bittere Angelegenheit ist, sieht für Neuanleger in Anleihen gar nicht so schlecht aus. Anleihen liefern inzwischen positive Realrenditen. Seit Mitte 2023 sind die Zinsen auf Niveaus gestiegen, die es zuletzt vor der großen Finanzkrise gegeben hatte. In der Eurozone lag der Leitzins in der Spitze bei 4,5 Prozent, in den USA belief sich die Zinsspanne auf zwischen 5,25 und 5,5 Prozent.
Weil viele Marktteilnehmer mit einer Rezession rechneten, rentierten Kurzfristanleihen deutlich höher als langfristige, man spricht auch von einer inversen Zinskurve. Das ergab eine perfekte Mischung: Kurzlaufende Anleihen brachten hohe Renditen bei gleichzeitig niedrigen Risiken. Wer in der Eurozone seit Mitte 2023 einen Geldmarktfonds oder -ETF hielt, kassierte den risikolosen EZB-Zins von gut 4,5 Prozent; ein wenig mehr Kreditrisiko hätte locker fünf Prozent und mehr pro Jahr gebracht. Doch diese Zeiten gehen dem Ende entgegen: Seit Sommer 2024 haben die Notenbanken angesichts stark rückläufiger Inflationsraten die Zinsen gesenkt. Und sowohl die EZB als auch die Fed haben zudem klar kommuniziert, dass wir uns erst am Anfang eines Zinssenkungszyklus befinden. Seit wenigen Wochen rentieren länger laufende Anleihen wieder etwas mehr als Kurzläufer. Das ändert die Gleichung für Anleger, wie wir bereits in allgemeiner Form erläutert haben. Wo bieten sich Chancen bei Anleihen, und wie sieht es im Verhältnis zu den eingegangenen Risiken aus? Das wollen das heute und in der nächsten Woche vertiefen.
Langläufer vs. Kurzläufer – das Rennen wird spannender
Angesichts sinkender Zinsen wird die Attraktivität von Geldmarktfonds absehbar zurückgehen – von Tagesgeldkonditionen ganz zu schweigen; hier haben die Banken bereits vor gut sechs Monaten angefangen, die Konditionen für Sparer zu verschlechtern. Zugleich werden die Renditen langlaufender Anleihen attraktiver. Sie sind derzeit zwar noch niedriger als die Kurzfristzinsen, aber wer heute eine zehnjährige Bundesanleihe kauft, kann sicher sein, dass er gut 2,25 Prozent Zinsen jedes Jahr für zehn Jahre bekommt. Geldmarktkonditionen werden sich dagegen von Quartal zu Quartal verschlechtern. Aber bereits die erwähnten 2,25 Prozent zeigen, dass die Renditen bei Bundesanleihen nicht in den Himmel wachsen.
Und wie sieht es einem diversifizierten Euro-Renten-Portfolio aus? Bei ETFs auf den Bloomberg Barclays Euro Aggregate liegt die Rendite bei immerhin gut 2,7 Prozent. Wer auf einen ETF setzt, der das globale Pendant des Euro-Index abbildet, den Bloomberg Barclays Global Aggregate, bekommt aktuell eine Rendite von 3,3 Prozent – allerdings bei vollem Dollar-Risiko. Zudem sind die Laufzeiten-Risiken nicht zu verachten. Die Restlaufzeiten im globalen Index liegen im Schnitt bei knapp 8,5 Jahren, die Papiere im Euro-Index laufen im Schnitt in 7,7 Jahren aus. Das bringt Laufzeitrisiken mit sich. Die modifizierte Duration der beiden Indizes liegt bei gut 6,5 Prozent. Das bedeutet, vereinfacht gesagt, dass ein Zinsanstieg von einem Prozent einen Verlust von 6,5 Prozent in diesen Indizes mit sich brächte. Dieses Risiko ist nicht zu verachten und wirft die Frage auf, ob Standard-Anleihe-Portfolios tatsächlich attraktive Renditen aufweisen, wenn man sie ins Verhältnis zum eingegangenen Risiko setzt.
„Anleger, die heute in Standard-Rentenmärkte investieren, verbuchen positive Realrenditen, gehen aber signifikante Laufzeitrisiken ein"
Dazu ein kleiner Reminder zu den Folgen von Laufzeitrisiken. Anleger haben in den ersten Oktobertagen die leicht steigenden Renditen zu spüren bekommen. Globale Anleihenportfolios (in Dollar) haben einen Verlust von knapp 1,7 Prozent erlitten, der REXP verlor zwischen dem 1. und 10. Oktober 0,9 Prozent, marktbreite Euro-Rentenindizes büßten 0,6 Prozent ein. Das ist für Anleihen nicht ganz so wenig – man muss die Drawdowns ins Verhältnis zur Rendite setzen.
Es liegt also nahe, sich mit höher rentierlichen Papieren zu beschäftigen. Es klingt konter-intuitiv, aber im Jahr 2022 lautete das Motto: je riskanter die Anleihe, desto geringer der Verlust. Während Standard-Renten-Indizes um bis zu 20 Prozent einbrachen, büßten Hochzinsanleihen weltweit nur rund 10 bis 12 Prozent ein.
Was auf den ersten Blick überrascht, ist auf den zweiten leicht erklärlich: Hochzinsanleihen haben weitaus kürzere Laufzeiten als Staatsanleihen. Das mindert das Zinsänderungsrisiko. Und in Zeiten von Minizinsen bis 2021 hatten sich die Unternehmen mit schwacher Bilanzstruktur mit billigem Geld eingedeckt. Daher bestand in Zeiten explodierender Renditen bei den meisten kein Refinanzierungszwang. Auch dieser Umstand erklärt die relativ geringen Kursverluste. Im nächsten Teil unserer Serie gehen wir auf eine Auswahl an Anleihen-Segmente ein, die Anlegern nur wenig vertraut sind. Sie wirken auf den ersten Blick furchteinflößend, bieten aber bei besserer Durchsicht mitunter attraktivere Rendite-Risiko-Profile, als es die meisten Anleger vermuten.
Hier geht es zum 2. Teil unserer Serie zu Anleihen.
Autor
-
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
Alle Beiträge ansehen