Kurz vor der US-Wahl signalisieren viele Märkte Business as usual: Aktien aus Europa und den USA driften weiter auseinander, Gold gewinnt, China konsolidiert. Doch die wichtigste Entwicklung an den Kapitalmärkten ist an vielen Anlegern vorbeigegangen. Was uns der Markt der Märkte gerade sagt: Signale von den Zinsmärkten.
Egal, wie die US-Wahl in der Nacht zum Mittwoch ausgeht, werden die Folgen an den Märkten noch einen Nachhall haben. Es wird mindestens um nervenaufreibende Nachzählungen bei knappen Ergebnissen gehen. Schlimmstenfalls werden die Republikaner die Legitimität der Wahl selbst infrage stehen. Die Republikaner strengen bereits jetzt Klagen gegen das Wahlverfahren in vielen Staaten an, um nach den Wahlen Ergebnisse zügig anfechten. Die US-Wahl könnte die Märkte also noch über Monate bewegen. Wir konzentrieren uns heute auf den Markt der Märkte, der Einfluss auf alle Vermögensklassen hat: Anleihen. Hier hat sich eine bemerkenswerte Entwicklung seit Beginn des vierten Quartals vollzogen.
Vor der US-Wahl wankt der König der Märkte
An der Oberfläche hat sich an den Aktienmärkten wenig getan, sieht man von den eher harmlosen Aktienrennlisten „Demokraten“-vs. „Republikaner“ ab. Ziemlich hart zur Sache geht es allerdings bei Anleihen. Es kam im Oktober zu einer regelrechten Korrektur – für viele Anleger unbemerkt, so wie sich auch der Crash 2022 ebenfalls 2021 kaum spürbar angebahnt hatte. Anleihen weltweit haben in den vergangenen Wochen Kursverluste erlitten. Die Volatilität bei US-Staatsanleihen befindet sich auf Jahreshöchstniveaus.
Quelle: Financial Times
Besonders heftig erwischte es im Oktober länger laufende Anleihen. In den vergangenen fünf Wochen brachen US-Staatsanleihen mit Laufzeiten ab zehn Jahren um über 5 Prozent ein, wie aus der unteren, farblich markierten Tabelle hervorgeht. Der breite Treasury-Markt verlor knapp drei Prozent. Auch britische Staatsanleihen brachen um knapp fünf Prozent ein, und das britische Pfund sackte gegen den Euro ab. Der RexP, der Index für deutsche Staatsanleihen, verlor knapp 1,5 Prozent, was auch ziemlich viel für ein Monat ist.
Anleihen weltweit gerieten in die Treasury- und Gilt-Strudel. Globale Schwellenländer Dollar-Bonds verloren knapp drei Prozent, wie auch qualitativ hochwertige Unternehmensanleihen. Euro-Anleger, die unbesichert in US-Anleihen investierten, konnten wegen der Dollar-Stärke die Verluste reduzieren. Die meisten nahmen die Verluste allerdings mit, da Anleihen-Investoren typischerweise Fremdwährungsrisiken absichern.
Kreditrisiken kontra Laufzeitrisiken
Es war allerdings kein marktbreiter Sell-off bei Anleihen. Kreditmärkte zeigten sich stabil, und zwar je riskanter die Unternehmensanleihen sind, desto stabiler hielten sie sich. US-Hochzinsanleihen traten auf der Stelle. Währungsbereinigt konnten sie sogar aus Euro-Sicht seit Anfang Oktober ordentlich zulegen.
Was auf den ersten Blick erstaunt, wird auf den zweiten verständlich. Weil bei Bonds in diesem Jahr in erster Linie Laufzeitrisiken manifest wurden, waren Kredit-Märkte, vor allem High Yields, „the place to be“. Hochzinsanleihen haben deutlich geringere Laufzeiten, sodass diese von der Versteilung der Renditekurve deutlich weniger betroffen waren als Staatsanleihen, die längere Laufzeiten haben.
2024: Starker Anfang, schwaches Ende
Weitet man den Blick auf den bisherigen Jahresverlauf aus, dann zeigt sich, dass die freundliche Performance in den ersten Quartalen die schwache Entwicklung im vierten Quartal teilweise relativieren. Schwellenländer-Anleihen notieren noch ordentlich im Plus, wie auch qualitativ hochwertige Unternehmensanleihen. Hochzinsanleihen verzeichnen sogar ein hervorragendes Jahr. Kurzläufer spiegeln noch immer die guten Konditionen am Geldmarkt wider. Lediglich länger laufende US-Anleihen sind deutlich im Minus. Der RexP tritt in diesem Jahr auf der Stelle, wie aus der oberen Tabelle deutlich wird.
Woran hat es gelegen? Manche Beobachter sehen zu Beginn des vierten Quartals den Trump-Trade am Werk. Die Argumentation geht so: Weil zuletzt die Wahlchancen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten gemäß Umfragen gestiegen sind und dieser massive Steuersenkungen plant, strafen Anleger bereits jetzt die USA ab und treiben die Treasury-Renditen in die Höhe. Zollerhöhungen, wie sie Trump plant, werden als inflationstreibend eingeschätzt. Auch das ein Grund für steigende Renditen.
Doch auch für die Demokraten unter Kamala Harris ist solide Fiskalpolitik ein Fremdwort. Sie planen zwar Steuererhöhungen für Unternehmen und wohlhabende Amerikaner, werden aber deutlich mehr für Sozialprogramme für die untere Mittelschicht auflegen, die das Defizit ebenfalls im nächsten Jahrzehnt in die Höhe schießen lassen wird, wenn auch voraussichtlich nicht auf Trumpsche Niveaus.
Aber sind hier wirklich die sogenannten Bond Vigilantes am Werk? Stellen sich heldenhafte Investoren, die eine Disziplinierung unverantwortlicher Regierungen anstreben, gegen die Welle von Neuemissionen und kaufen nur dann, wenn sie deutlich höhere Risikoprämien in Aussicht gestellt bekommen? Dass Anleihen-Investoren Staaten mit unsolider Haushaltspolitik abstrafen und Anleihen von Staaten mit Neigungen schwäbischer Hausfrauen kaufen, ist ein typisches Verhalten in nervösen Märkten, und wer würde bestreiten, dass sich die Anleihenmärkte gerade ziemlich nervös zeigen?
Der explodierende Spread zwischen britischen und deutschen Staatsanleihen ebenfalls spricht dafür. Während Großbritannien hohe Schulden aufnehmen wird, um aus seiner Austeritätsmisere herauszuwachsen, steht in Deutschland das Bekenntnis zur Schuldenbremse.
It's the Economy too, stupid!
Anleihen-Investoren sind notorische Pessimisten – ganz im Gegensatz zu den Sunny Boys von der Aktienseite. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass wir eine Rückkehr der sagenumwobenen Bond-Vigilantes erleben, die sich im Zuge von QE und Nullzinsregime rar gemacht hatten.
Aber es sind bei Anleihen noch andere Kräfte im Spiel. Die US-Wirtschaft ist weiter auf Wachstumskurs. Das weckt Befürchtungen, dass die Inflation doch noch einmal ihre hässliche Fratze zeigen könnte. Auch das setzt Bond-Kurse unter Druck. Senkt die US-Notenbank auf ihrer nächsten Sitzung zwei Tage nach der US-Wahl die Zinsen weiter um 0,25 Punkte, ist das kein Beleg für das Gegenteil.
Es könnte gut sein, dass wir in den nächsten Monaten – wie auch schon vor einem Jahr – bei Anleihen mehr Volatilität sehen werden. Allerdings ist die Richtung der Kurse nicht unbedingt klar. Anleihen könnten auf die erwartbar hässliche Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikaner nach der Wahl mit weiteren Kursverlusten reagieren, zumal die Ausweitung des US-Haushaltsdefizits im Vorfeld des neuen Haushaltsjahres erneut zum Politikum werden könnte – Stichwort: Debt Ceiling. Bereits 2011 hatten politische Auseinandersetzungen um das Budget die Rating-Agentur S&P dazu bewegt, die Bonität der USA von „AAA“ auf „AA+“ zu senken.
Doch es könnte auch anders kommen. Selbst bei einer Verschärfung der politischen Krise in den USA könnten Anleger nach Sicherheit streben – und gerade deshalb US-Staatsanleihen kaufen. Sichere Euro-Anleihen dürften dann ebenfalls gefragt sein. Die Folgen für Schwellenländer sind nicht so klar. Sinken die Zinsen in den USA und Europa, wäre das eine willkommene Erleichterung für die Staaten des globalen Südens. Die hohe Verschuldung nach der Corona-Krise haben die Finanzen dieser Staaten unter Druck gesetzt. Diese Länder haben nicht so tiefe Taschen wie die Fiskalsysteme der Länder des globalen Nordens. Das erhöht die Gefahr politischer Unruhen, von denen insbesondere afrikanische Länder betroffen sind.
Alles in allem verwundert es nicht, dass in dieser politischen Gemengelage Wertspeicher wie Gold gefragt sind. Der Preis des Edelmetalls eilt von Hoch zu Hoch. Dafür gibt es viele Gründe, einer davon dürfte das Streben von Investoren nach einer Versicherung sein, die greift, wenn die politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen weiter um sich greifen. Bei allen Asset-Preisen zeigen sich also die Anzeichen für um sich greifende Nervosität. Wirklich bei allen? Wer will, kann anhand der hohen Aktienkurse noch Anzeichen für Sorglosigkeit erkennen. Doch die Gewinne der Unternehmen in den USA sind unverändert auf hohen Niveaus, sodass man nicht zwingend von einem irrationalen Überschwang sprechen muss. Die Aktien-Story spinnen wir beizeiten in den nächsten Wochen ebenfalls an dieser Stelle weiter.
Im envestor Blog haben wir die US-Wahl und ihren Einfluss auf die Märkte engmaschig begleitet. Hier eine Übersicht über unsere Berichterstattung:
1. Die US-Wahl wirft ihre Schatten voraus. Es wird Gewinner und Verlierer auf der Aktienseite geben, aber ein Markt hat das Zeug, die Zeiger an der Börse nachhaltig zu bewegen.
2. Wie „Theo“ mit seiner Pro-Trump-Wette viel Geld verdiente – und was Anleger daraus lernen können
3. Gewinner und Verlierer des Trump Trades: Die Gewinner
4. Gewinner und Verlierer des Trump Trades: Die Verlierer
Autor
-
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
Alle Beiträge ansehen