Buy the Dip ist eine der schillerndsten Investment-Strategien. Gezielt dann zu kaufen, wenn die Kurse gefallen sind, kündet von tollkühnen Investoren, die der Volatilität trotzen und mit ihrem Investment die Voraussetzung für hohe Renditen in der Zukunft schaffen. Doch die Realität ist viel komplexer. Teil III unserer Serie „Investieren in der Krise“.
Hinter der Strategie Buy the dip, also Kaufen, wenn die Märkte fallen, verbergen sich zahlreiche Vorgehensweisen, die sich teilweise konträr zueinander verhalten. Es handelt sich streng genommen um keine Strategie, sondern um ein Schlagwort, unter dem verschiedene Investorentypen unterschiedliches verstehen. Halten wir zunächst fest, dass hinter Buy the Dip ein gemeinsamer Nenner steht: Die Annahme, dass Märkte zur Übertreibung neigen und dass in Abwärtsphasen Vermögenswerte zu tieferen Preisen gehandelt werden, als es ihrem wahren, inneren Wert entspricht.
Buy the Dip: Value-Strategie in der Praxis
Wir können also bereits ein Fazit ziehen: Buy the Dip ist eine antizyklische Strategie, die unterstellt, dass Märkte eben nicht effizient sind. Der Glaubenssatz der Effizienzmarkthyptothese lautet, dass die Kurse von Wertpapieren jederzeit die verfügbaren Informationen der Summe der Investorenschaft widerspiegeln. Das wiederum bedeutet, dass Investoren per se nicht in der Lage sind, einen Informationsvorsprung auszunutzen und eine Outperformance gegenüber ihren Wettbewerbern am Markt zu erzielen. Wenn sich also Lieschen Müller anschickt, in fallenden Märkten gegen den Trend zu handeln, unterstellt sie implizit, dass sie „mehr weiß“ als die Profis in den Investmentbanken, Fondsgesellschaften und Hedgefonds. Das ist eine Ansage!
Entsprechend schlecht ist die Strategie Buy the Dip beleumundet. Es lassen sich einige Einwände formulieren, von denen manche psychologischer Natur sind, anderen liegen handfeste fundamentale Probleme zugrunde. Kommen wir zunächst zu den Einwänden aus der Ecke der Verhaltensforscher. Sie geben zu bedenken, dass Buy the Dip in der Theorie zwar verlockend klingt, in der Praxis jedoch allzu oft nicht funktioniert. Denn allzu häufig verlören Anleger die Nerven und kauften eben nicht dann, wenn die stark gefallen sind – oftmals mit der Ausrede, sie könnten ja noch viel tiefer fallen. Solche Investoren bleiben erfahrungsgemäß eher an der Seitenlinie stehen und verpassen wertvolle Zeit und Rendite. Das der Gewinn im Einkauf liegt mag die Monstranz der Value-Anleger sein, in der Praxis fehlen vielen Anlegern die Nerven, wenn um sie herum nur Panik herrscht.
Hier kommen wir zum Pudels Kern: Wer Buy the Dip als Strategie verfolgt, betreibt Market Timing. Solche Investoren gehen also davon aus, dass sie in der Lage sind, die Richtung der Kurse vorherzusagen. Doch in Anlehnung an Burton Malkiel entspricht die Richtung der Aktienkurse – zumindest kurzfristig – einem „Random Walk“. Sie sind schlicht nicht prognostizierbar.
Wer ins fallende Messer greift, greift ins fallende Messer
Damit hängt ein weiteres Problem mit Buy the Dip zusammen: Viele Anleger machen sich vorher nicht klar, dass eine derartige Strategie kurzfristig ganz fürchterliche Ergebnisse zeitigen kann. Wer in das fallende Messer greift, der greift nun einmal ins fallende Messer, und das tut dem Hörensagen nach ziemlich weh. Wenn ein Markt um 20 Prozent nachgegeben hat, dann kann er durchaus noch einmal 20, 30 oder mehr Prozent fallen, bis er seinen Boden gefunden hat. Anleger brauchen also starke Nerven, wenn ihr Investment-Schnäppchen weiter fällt und fällt und fällt. Wer bei fallenden Kursen zugreift, muss sich damit anfreunden, dass seine These möglicherweise erst nach Jahren aufgeht.
Das gilt übrigens nicht nur für Zockerpapiere, sondern auch für Standardwerte-Indizes. Auch wenn der NASDAQ 100 bereits über 20 Prozent an Wert eingebüßt hat, könnte der Wachstumsindex nach Einschätzung von Goldman Sachs in diesem Jahr noch einmal um 17 Prozent fallen, sollte die US-Notenbank die Zinsen im Angesicht der hohen Inflationsrate deutlich erhöhen. Gleiches gilt für hochgradig zyklische Indizes wie den DAX: Geht die Konjunktur im Zuge einer Energiekrise in die Knie, sind insbesondere die vom Zyklus abhängigen Unternehmen im deutschen Leitindex gefährdet. Erinnern wir uns, dass Indizes in einer Krise nicht nur um 20 oder 30 Prozent fallen können, sondern auch einmal um 60 oder 70 Prozent. So war der Einbruch gerade beim NASDAQ 100 während der Dot-Com-Krise besonders dramatisch. Er verlor fast 90 Prozent an Wert und benötigte 14 Jahre, um sein Höchststand aus dem Jahr 2000 wieder zu erreichen.
Reddit-Leser wissen nicht mehr
Nun stellt sich die Frage, ob ausgerechnet Growth-Investoren, die in den vergangenen Jahren verstärkt an den Markt gekommen sind, die Nerven haben, eine harte Baisse auszuhalten. Gemäß einer Umfrage der FINRA Foundation der Universität Chicago hat rund ¼ der Investoren, die im Jahr 2020 ein Wertpapierdepot eröffnet haben, als Motiv eine Buy the Dip Strategie benannt. Die Hälfte davon waren unerfahrene Investoren. Wer sich nun die Diskussionsforen etwa bei Reddit ansieht, der könnte zu dem Schluss kommen, dass etliche Anleger durch riskante Wetten auf einzelne Aktien versuchen, schnell reich zu werden. Die Kaufmanie bei Aktien wie AMC oder GameStop sind Legende.
Und hier kommen wir zu einem fundamental begründeten Einwand gegen eine Market Timing getriebene Buy the Dip Strategie. Eine Börsenkrise, die von einem Rückgang des Wirtschaftswachstums ausgelöst wird, beschränkt sich nicht auf Kursrückgänge. Auch die Unternehmensgewinne können bedroht sein. Tiefe Konjunkturkrisen treffen Unternehmen hart. Das bedeutet, dass in bestimmten Situationen Bewertungen Schall und Rauch sind, da die fundamentalen Annahmen zu Märkten nach unten korrigiert werden müssen.
Analysten korrigieren in einer Krise ihre Prognosen zu Unternehmensgewinnen im selben Tempo nach unten wie sie diese laufend erhöhen, wenn die Wirtschaft brummt. Bereits jetzt bewirken die steigenden Rohstoffpreise und die negativen Aussichten, dass Gewinnrevisionen nach unten die Runde machen. Fallen die Gewinne stark, dann kann es sogar sein, dass die Aktienmärkte auch nach einem starken Kursrückgang höher bewertet sind als vor dem Beginn der Aktienkorrektur. Optisch günstige Kurse sind dann eine gefährliche Schimäre. Und hinter starken Gesamtmarktkorrekturen stehen mitunter Pleiten auf der Ebene der einzelnen Unternehmen. Das sollten Investoren, die in Einzelwerte investieren, dringend berücksichtigen.
Timing the Market versus Time in the Market
Langfristigkeit ist ein wichtiges Erfolgsrezept des Investierens. Ein weiteres Rezept zum Reichwerden ist, bereits wohlhabend zu sein und einen dicken Batzen langfristig für sich am Markt arbeiten zu lassen. Das weniger leider oft zu wenig thematisiert. Wer auf eine Buy the Dip Okkasion hofft, hält aller Voraussicht nach sein Pulver trocken. Das ist keine gute Idee. Wer investiert, sollte die maximal mögliche Kapitalbindungsdauer ausreizen. Das geht beim Einmal-Investments, nicht aber beim Scheibchenweisen Einstieg in den Markt. Die Teilabstinenz vom Markt wird langfristig durch unterdurchschnittliche Renditen bestraft. Das zeigt sich gut beim Kontrast zwischen Einmalanlagen und Sparplänen.
Die Historie hat gezeigt, dass Einmalanlagen Sparplänen überlegen sind. Wer einmalig 20.000 Euro investiert, hat nach 20 Jahren bei einer Rendite von fünf Prozent jährlich ein Endvermögen von gut 53.000 Euro. Wer dagegen seine Investments im selben Beispiel auf 20 Jahre stückelt und jedes Jahr 1.000 Euro in einen Sparplan investiert, kommt nach 20 Jahren beim identischen Kapitaleinsatz und Jahresrendite auf eine Endsumme von nur 34.700 Euro.
Dieses theoretische Beispiel wird auch anhand der Marktentwicklung immer wieder bestätigt. Der Erfolg einer Buy-and-Hold Strategie ist frappierend und fällt mit zunehmender Dauer der Anlage immer eindrucksvoller aus. Das Researchhaus Morningstar hat anhand einer gut 90-jährigen US-Aktienhistorie zwischen 1926 und 2019 Sparpläne mit Einmalanlagen verglichen. Das Ergebnis: Bei einem Anlagehorizont von zehn Monaten waren Einmalanlagen in gut 72 Prozent der Fälle – ermittelt wurden 1.115 Zehn-Monats-Perioden – Sparplänen überlegen. Bei Zehn-Jahres-Perioden waren Einmalanlagen sogar in 90 Prozent der Fälle überlegen.
Buy the Dip: Es ist nicht alles schlecht
Nachdem wir die Risiken einer Buy the Dip Strategie skizziert haben, werden Anleger vielleicht überrascht sein, dass wir an dieser Stelle für eine bestimmte Art von Buy the Dip eine Lanze brechen. Wer Buy the Dip nicht als Timing Strategie versteht, sondern als Möglichkeit, sein Portfolio aufzubauen bzw. im Lot zu halten, der findet in uns überzeugte Fürsprecher.
Die meisten von uns haben nicht eine fette Erbschaft gemacht und sitzen leider nicht auf einem dicken Batzen Geld. Wir müssen aus unserem laufenden Cashflow Sparpläne bedienen. Langfristig zahlen sich Sparpläne bei Aktienfonds und -ETFs überwiegend aus. Sparpläne sollten bei fallenden Märkten nicht ausgesetzt werden. Bei einer gleichbleibenden Sparplanrate kaufen wir bei fallenden Märkten mehr Fondsanteile, was langfristig vorteilhaft sein kann. Sparpläne zu bedienen bedeutet, systematisch am Markt aktiv zu sein. Wir ziehen bei automatisierten Sparplänen im Zweifel nicht die Reißleine, wenn die Märkte einen Tauchgang einlegen. Ein derartiges mechanisches, antizyklisches Investieren diszipliniert.
Und dann gibt es noch das Thema Rebalancing als Teil einer langfristigen Asset Allocation. Wer regelmäßig sein Wertpapierportfolio auf die Ausgangslage zurückversetzt, macht dies, um das Rendite-Risiko-Profil seines Depot, das er für sich als optimal ermittelt hat, beizubehalten. Erreicht wird dieses Ziel faktisch durch ein Verkauf gut gelaufener Investments (die gegebenenfalls überbewertet sind) beim gleichzeitigen Kauf von Investments, die unterdurchschnittlich gelaufen sind (die gegebenenfalls unterbewertet sind). Rebalancing ist also auch eine Form des antizyklischen Investierens, bei der behutsam vorgeht und eben nicht alles auf eine Karte setzt, was bei All-in-Wetten bzw. Market Timing Versuchen der Fall wäre.
Fazit: Buy the Dip erfordert strategische Klarheit
Wir haben gesehen, dass Buy the Dip wegen der fehlenden Klarheit über Motive und Implikationen eine höchst schillernde Strategie ist. So schillernd, dass man eigentlich nicht von einer Strategie sprechen kann, sondern von einer Value-Philosophie. Das lässt sich in eine erfolgreiche Strategie ummünzen. Wer erkennt, dass er oder sie herumphilosophiert, muss irgendwann anfangen, sich mit praktischen Fragen auseinanderzusetzen. Wer das fundiert tut, gelangt schnell zur Erkenntnis, dass Market Timing und riskante Wetten auf einzelne Aktien keine guten Ideen sind, diszipliniertes Investieren dagegen sehr wohl.
Anleger, die ihr Portfolio rebalancen und Sparpläne bedienen, gehen antizyklisch vor und kaufen mehr von mutmaßlich günstigeren Assets und verkaufen die mutmaßlich teureren. Und wer ganz tollkühn ist, der möge von uns aus in Zeiten fallender Märkte seine Fonds- und ETF-Sparplanrate erhöhen. Als Wegmarke können hier Indikatoren wie etwa die 200-Tage-Linie dienen. Sobald diese unterschritten ist, mögen risikobereite Anleger mit langen Investment-Horizont ihre Sparrate solange hochfahren, bis die Linie wieder vom Kurs überschritten wird. (Das sollte allerdings nur auf Fonds- oder ETF-Ebene gemacht werden, nicht bei einzelnen Aktien!) . Wer das tut, kann sich mit dem Nimbus der Tollkühnheit schmücken, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich um Haus und Hof zu bringen.
Unsere Serie zum Thema „Investieren in der Krise“ in der Übersicht
Intro: Investieren in Krisenzeiten