Rendite und Risiko durch Diversifikation vereint: Nachdenken über Harry Markowitz

Harry Markowitz hat maßgeblich dazu beigetragen, das Konzept der Diversifikation aus den Hörsälen der Finanzwissenschaft in die Praxis der Vermögensverwaltung und -Beratung zu katapultieren. Vor wenigen Tagen ist er 95-jährig verstorben. Warum wir Markowitz folgen sollten und ihn aber vor allem richtig verstehen müssen.

Harry Markowitz, ein stiller Vater der Diversifikation

Harry Markowitz, der Vater der modernen Portfolio-Theorie, gilt als Erfinder der intelligenten Diversifikation. Der Ökonom ist Ende letzter Woche 95-jährig verstorben. Im Gegensatz zu Vanguard-Gründer und ETF-Evangelisten John „Jack“ Bogle, dem auch etwas Messianisches anhing, war Markowitz eine eher stille Autorität – was möglicherweise auch daran lag, dass sich seine Ideen durchgesetzt hatten, als das Index-Baby von Bogle – der übrigens im selben Jahr wie Markowitz geboren wurde – noch als „unamerikanisch“ von Vertretern der US-Fondsindustrie gebrandmarkt wurde. Harry Markowitz hat – das ist keine Übertreibung – das Prinzip des Investierens revolutioniert. (Den besten Nachruf auf Harry Markowitz und seine Vita im Detail hat die New York Times veröffentlicht, bisher keine Pay-Wall)

Markowitz‘ Erkenntnis: Ein Portfolio weist ein anderes Verhalten auf als seine einzelnen Bestandteile. Als der Volkswirt 1952 seine Doktorarbeit „Portfolio Selection“ einreichte, befand sich die Vermögensverwaltungsbranche noch in einer intellektuellen Wüste. In Aktien zu investieren, haftete etwas Willkürliches an. Portfolios wurden zumeist auf der Grundlage von naivem Wunschdenken zusammengeschustert, so nach dem Motto: bringen wir die glamourösesten Aktien zusammen und alles wird gut. (Diese Idee feierte mit der Aktien-Boysgroup der Fangs, Facebook, Amazon, Netflix und Google eine fröhliche Wiederauferstehung; das Massaker von 2022 zeigt, dass man nicht all-in gehen sollte.)

Markowitz wies in den 1950-ern nach, dass man mit einer optimierten Auswahl an Aktien das Risiko eines Portfolios gezielt senken kann, ohne die Renditechancen zu vergeben. Ein intelligent diversifiziertes Portfolios ist mehr als die Summe seiner Teile. Auch wenn einzelne Bestandteile hohe Risiken beinhalten mögen, so bewirkt ihr Zusammenspiel ein geringeres Risiko. In einem diversifizierten Portfolio bewegen sich die Bestandteile nicht gleichzeitig in eine Richtung. In der Fachsprache heißt das, dass sie nicht oder nicht perfekt korreliert sind. Dabei sollte es sich um Assets handeln, deren Rendite einen positiven Erwartungswert haben. Was sich Anleger ins Portfolio packen, sollte also ökonomisch sinnvoll sein.

Markowitz hat das Mantra seines Schaffens sinngemäß so auf den Punkt gebracht: Am Markt bekommt man nur das Eine geschenkt: die Diversifikation. Salopp gesagt: Diversifikation a la Harry Markowitz ist auch robustes Risikomanagement. Dass sich Finanz-Alchemisten seitdem in derivatives Over-Engineering verloren haben,  spricht umso mehr für die robuste Diversifikation, die Markowitz damals im Sinn hatte. 

Der Zauber der Diversifikation: robuste Portfolios

Wie einfach und zugleich effektiv das Prinzip der Diversifikation nach Harry Markowitz umzusetzen ist, zeigen wir an einem Beispiel. Wir haben vier Aktienindizes zu einem Portfolio vereint: den S&P 500 für US-Aktien, den MSCI Europe, MSCI Japan und den MSCI Emerging Markets. Wir haben die vier Indizes zu einem gleichgewichteten Portfolio zusammengefasst, das wir zweimal im Jahr auf seine Ausgangslage zurückführen. Schauen wir uns das Ganze im Folgenden näher an.

Harry Markowitz Diversifikation

Performance in Euro und in Prozent, ab einem Jahr annualisiert, per 31.5.2023, Quelle: Morningstar

Die Tabelle zeigt die Renditen und das Risiko der vier Bestandteile des Portfolios, deren ungewichtete Durchschnitte und – in der untersten Zeile – das Zusammenspiel der vier Indizes im globalen Portfolio. Bewegen wir uns von links nach rechts. Die Portfolio-Performance lag 2023 mit einem Plus von 9 Prozent zwar im Plus, hinkte aber der Performance von gleich drei Einzelindizes hinterher. Der MSCI Japan stiegt um gut 24 Prozent, der S&P 500 legte um knapp 15 Prozent zu und der MSCI Europe kletterte um 9,7 Prozent. Der Grund ist einfach: Der MSCI Emerging Markets stieg nur um 5 Prozent und zog damit die anderen 3 Indizes – 75 Prozent des Portfolios – nach unten. Damit zeigt sich ein vermeintlicher Nachteil der Diversifikation: Die Performance eines Portfolios ist üblicherweise geringer als die in ihm enthaltenen Kursraketen. Zumindest kurzfristig. (Und Kursraketen kann man erst im Nachhinein als solche identifizieren.)

Bewegen wir uns weiter nach rechts: Auch nach einem Jahr, nach 3 Jahren und nach fünf Jahren hinkt unser Portfolio sowohl dem ungewichteten Durchschnitt als auch 2-3 der Indizes hinterher. Der Grund ist wiederum die deutliche Performance-Schwäche des MSCI Emerging Markets. Aber das Bild ändert sich nach fünf Jahren bereits, und ab zehn Jahren sehen wir, dass die Rendite des globalen Portfolios nur noch zwei Indizes hinterhinkt. Dabei hat die Performance des Portfolios die Rendite den ungewichteten Durchschnitt seiner Bestandteile überholt. Nach zehn Jahren hat das globale Portfolio jedes Jahr ein Plus von 8,6 Prozent erwirtschaftet und damit den Durchschnittswert der vier Indizes jedes Jahr um gut 50 Basispunkte übertroffen. Das ist ein interessanter (nicht: zwingend notwendiger) Befund, den wir weiter unten diskutieren.

Noch bedeutsamer als die Renditezahlen ist die Risikokomponente der oberen Übersicht: Das globale Portfolio weist eine Volatilität von nur 12,2 Prozent pro Jahr auf, das ist weniger als der Durchschnitt und weniger als die Volatilität jedes einzelnen der vier Indizes. Auch der maximale Verlust liegt mit 19,3 Prozent unter dem maximalen Drawdown des Durchschnitts. Im Ergebnis ist die Risiko-adjustierte Rendite, hier in Gestalt der Sharpe Ratio, günstiger als der Durchschnitt der vier Indizes.

Wie wenig Gleichklang darf sein?

Kommen wir zu des Rätsels Lösung. Der Grund für das günstige Abschneiden des globalen Portfolios liegt im bereits angesprochenen Prinzip der Diversifikation, das auf der Korrelation der Renditen basiert. Die untere Grafik zeigt, dass sich die Bestandteile des globalen Portfolios nicht im Gleichklang bewegen.

Nehmen wir als Ausgangspunkt den MSCI Europe, den Index für europäische Aktien. Er weist nach zehn Jahren zwar einen Zusammenhang mit dem US-Index S&P 500 aus, der aber nicht perfekt ist. Ein absoluter Gleichklang würde herrschen, wenn die Korrelation zwischen den beiden Indizes beim Wert 1,0 liegen würde. Ein Wert von null würde keinerlei Zusammanhang bei den Renditen bedeuten. Der Wert beläuft sich auf 0,77. Auch zum MSCI Emerging Markets und zum MCSI Japan besteht eine hohe, aber keine perfekte Korrelation (0,74). Der MSCI Emerging Markets und der MSCI Japan weisen wiederum zum S&P 500 eine Korrelation von unter 0,7 im Zehnjahreszeitraum auf.

Korrelationsmatrix basiert auf Zehnjahresrenditen, in Euro, per 31.5.2023, Quelle: Morningstar

Das Beispiel zeigt, dass sich bereits mit einem einfach konstruierten Portfolio ordentliche Diversifikationseffekte einstellen. Das Beispiel illustriert aber zugleich, dass Aktienportfolios in aller Regel keine zufriedenstellende Diversifikation ermöglichen. Dafür ist unsere Welt zu vernetzt, kein Aktienmarkt ist eine Insel (ok, Russland seit dem Jahr 2022 schon, aber das ist ein anderes Thema). Daher würde ein perfektes Portfolio weitere Anlagen umfassen, die historisch gesehen zwar einen positiven Rendite-Erwartungswert haben, aber gänzlich andere Eigenschaften aufweisen als Aktien.

Mir fallen beim Thema Diversifikation Anleihen und Rohstoffe bzw. Gold als Ergänzung von Aktienportfolios ein. Andere Portfolio-Konstrukteure würden Gold durch Bitcoin ersetzen oder Immobilien und Private Equity hinzufügen. Andere wiederum würden Private Lending Instrumente und andere Sachwerte außer Aktien hinzufügen (Schiffe, Container, Windräder usw). Es kommt es auf den Erwartungswert an, dem man der Rendite eines Assets zuweist. Wer einen negativen Erwartungswert für Bitcoin hat, wird Bitcoin aus der Gleichung entfernen, weil Bitcoin zwar möglicherweise unkorrelierte Renditen zu Aktienrenditen aufweist. Ein Asset, das auf null fallen kann, ist aber uninteressant.

Robuste Diversifikation: Wenn Markowitz, dann bitte richtig!

In unserem Nachruf auf Harry Markowitz haben wir Vorzüge der Diversifikation an einem einfachen Beispiel erläutert. Zum Abschluss allerdings eine Warnung vor einer zu unkritischen Rezeption seines Oeuvres. Wir haben bereits angedeutet, dass der Erwartungswert für die Renditen der Bestandteile eines Portfolios eine wichtige Rolle bei seiner Konstruktion spielt.

Aber Renditen zu schätzen, ist eine tückische Angelegenheit. Nicht ohne Grund steht unter jedem Chart in Fondsmarketing-Unterlagen, dass die Renditen der Vergangenheit keine Aufschluss geben für die Performance der Zukunft. Wer also ein Portfolio nach Markowitz optimiert und dabei nur die Renditen der Vergangenheit auf die Zukunft überträgt, läuft Gefahr, ein schlecht diversifiziertes Portfolio vorzufinden. Ein einfaches Beispiel: Wenn die südostasiatischen Aktienmärkte Thailand, Indonesien, Vietnam und die Philippinen in einem fünfjahrigen Zeitraum die weltweit höchsten Renditen erzielt haben und man diesen Zeitraum für die Optimierung eines Portfolios mit dem höchsten Erwartungswert verwendet, landet bei einem potentiell toxischen Asien-Portfolio.

Ich denke, dass niemand im Jahr 2023 derart krude Portfolios konstruiert, aber die Tatsache, dass Renditeschätzungen ein inhärenter Bestandteil der Portfoliokonstruktion a la Markowitz sind, zeigt, dass korrelationsbasierte Portfolios auf ökonomisch realen Prämissen basieren sollten, eine solide Heuristik aufweisen und die Optimierung auch nach fundamentalen Kriterien vorgenommen werden sollte. Zudem sollten Optimierungen nie als perfekter Bauplan verstanden werden, der 1:1 umgesetzt werden muss. Handelt es sich um ein wirtschaftliche tragfähiges Asset? Sind Renditeszenarien wirklich ergebnisoffen formuliert, also out of Sample konstruiert? Wie ist der Zeitraum zugeschnitten, welche Parameter wurden bei der Optimierung verwendet? Es gehört einiges an Sachverstand dazu, um zu beurteilen, wie tragfähig Portfolio-Optimierungen tatsächlich sind. Das zu erkennen, wäre die wichtigste Erkenntnis, die Anleger aus dem langjährigen Wirken von Harry Markowitz und seinen Gedanken zur Diversifikation ziehen sollten.

Über den Autor

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar.
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